Christian Congregational Music: Wie ein gemeinsames Thema verschiedene Wissenschaftliche Disziplinen und Glaubensrichtungen zusammenbringen kann

Kommentare & Meinungen , Veranstaltungen
Abstrakte Darstellung der Decke einer Kapelle

Grafik: Mark Porter

Seit 2011 kommen alle zwei Jahre Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt in Oxford zusammen, um über die Rolle von Musik in der religiösen Praxis von Gemeinden und religiösen Gruppierungen zu sprechen. In diesem Jahr hatte die Tagung "Christian Congregational Music: Local and Global Perspectives" rund 100 Teilnehmer*innen aus 18 Ländern. Mark Porter, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Fundamentaltheologie und Religionswissenschaf, ist Mitbegründer und Mitorganisator der Tagung. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie man es schafft, diese vielen verschiedenen Perspektiven konstruktiv miteinander ins Gespräch zu bringen und ob er es sich vorstellen könnte, eine ähnliche Veranstaltung in Deutschland zu organisieren.  

Kannst du ein bisschen mehr dazu erzählen, wie ihr die Veranstaltung ins Leben gerufen habt? War die globale Perspektive etwas, was euch von Anfang an wichtig war. Und wenn ja: war das nicht gerade am Anfang eine Herausforderung, als ihr die Tagung zum ersten Mal organisiert habt?

Na klar! Die Tagung gibt es inzwischen seit 12 Jahren und wir kommen alle zwei Jahre zusammen. Sie ist im Prinzip durch bestimmte Freundschaften und Begegnungen zwischen Personen mit sehr verschiedenen Lebenswegen und Backgrounds entstanden, die sich aber alle dafür interessieren, wie Gemeinden Musik nutzen und gegenüberstehen. Carolyn Landau war gerade dabei, ihre Promotion in Ethnomusikologie abzuschließen, in der sie sich mit archivierten Tonaufnahmen von Marokkanern, die in Großbritannien leben, beschäftigt hat. Tom Wagner war auch ein Ethnomusikologe, der die Art und Weise untersucht hat, auf die Hillsong Marketing und spirituelle Erfahrung in ihrer Musik kombinieren. Monique Ingalls hat zur Geschichte und Praxis zeitgenössischer Lobpreis-Musik in den USA geforscht. Martyn Percy war der Leiter eines kleinen theologischen Colleges und ich hatte ein paar Jahre lang als musikalischer Leiter einer Kirche gearbeitet.

Die Tagung ist aus unseren Begegnungen und Gesprächen miteinander entstanden und war vor allem eine Antwort auf das, was wir in der Forschung zu christlicher Musik vermisst haben.

Inmitten von musikwissenschaftlichen Arbeiten, die sich häufig auf einen engen Rahmen von europäischen Traditionen beschränkten, haben wir uns eine größere Diversität an Perspektiven gewünscht – sowohl im Sinne des Einbeziehens unterschiedlicher Traditionen als auch bezüglich verschiedener Methodologien. Und gegenüber dem Fokus auf Kunstmusik haben wir den Blick auf die Gemeinden, ihre Identitäten und Erfahrungen vermisst. Wir wollten den wissenschaftlichen Diskus öffnen, um einer größeren Bandbreite von menschlichen Erfahrungen und Praktiken gerecht zu werden, verglichen mit den Arbeiten, die wir selbst gelesen hatten.

Die globale Perspektive kam durch den Wunsch nach einem breiteren und inklusiveren wissenschaftlichen Diskurs ganz spontan und natürlich zustande. Wir waren allerdings überrascht davon, wie schnell auf dieses Angebot eingegangen wurde. Ohne dass wir Reisekosten erstattet hätten, haben an der ersten Tagung Wissenschaftler*innen teilgenommen, die aus Australien, den USA, Deutschland, Finnland, Taiwan, Ungarn, Kanada und Jamaika angereist sind. Und seither ist die Liste immer nur gewachsen: In diesem Jahr hatten wir Referent*innen aus den USA, Großbritannien, Deutschland, Finnland, Australien, Nigeria, Indonesien, Pakistan, den Niederlanden, Ungarn, Brasilien, Singapur, Litauen, Hong Kong, Georgien, Italien, Taiwan und Kanada. Es erfüllt uns jedes Mal mit Freude, wenn wir so viele verschiedene Menschen zusammenkommen sehen, die so eine reiche Bandbreite an Perspektiven und Erfahrung mitbringen, wie sie niemals zustande kommen könnte, wenn wir die Tagung in einem bestimmten nationalen oder regionalen akademischen Setting organisieren würden.

Tagungsteilnehmerinnen und Teilnehmer sitzen in einem lichtdurchfluteten Raum

Im Moment gibt es innerhalb der Katholischen Kirche große Spannungen, die sich auch in der Theologie widerspiegeln, zwischen Einzelpersonen und Gruppen, die sich eine Modernisierung der Kirche wünschen, und denjenigen, die diese Forderungen ablehnen. Bei einer Tagung mit so vielen verschiedenen Teilnehmer*innen aus der ganzen Welt gibt es doch sicher sehr unterschiedliche moralische Prinzipien und Haltungen gegenüber Themen wie Sexualität und Gleichberechtigung. Wie geht ihr mit diesen Unterschieden um?

Ja, das stimmt, bei unserer Tagung gibt es jede Menge Teilnehmer*innen, die ganz unterschiedliche Haltungen und Überzeugungen haben. Es ist uns ein zentrales Anliegen gegenüber den unterschiedlichen Hintergründen, Glaubensrichtungen und Perspektiven, die Teilnehmer*innen mitbringen, offen zu sein – und wir haben ein breites Spektrum an Redner*innen: manche haben einen fundamentalistischen Background, manche sind Atheist*innen, andere progressive Christ*innen. Es gibt Mitglieder verschiedener Konfessionen und auch von nicht-christlichen Religionsgemeinschaften, es gibt solche, die ihre Religion praktizieren und solche, die sie aus einer eher theoretischen, distanzierteren Perspektive untersuchen.

Ich glaube, dass sowohl die große Bandbreite an Perspektiven als auch die gastfreundliche und entspannte Atmosphäre dafür sorgen, dass allen schon bewusst ist, dass ihr Blickwinkel einer unter vielen sein wird und das bedeutet, dass sie einander trotz aller Unterschiede zuhören möchten.

Viele Teilnehmer*innen hatten in unterschiedlichen Lebensphasen selbst sich verändernde und wandelnde Meinungen und Perspektiven, wenn sie von einer Gemeinschaft zu einer anderen gewechselt sind oder desillusionieret waren von einer bestimmten religiösen Richtung oder etwas Neues für sich entdeckt haben. Und ich glaube, dass das sehr hilfreich dabei ist, andere Haltungen nachzuvollziehen. 

Generell ist den Teilnehmer*innen bewusst, dass jeder aus einem bestimmten Kontext kommt und unterschiedliche Erfahrungen gemacht hat und sie sind sicherlich bereit dazu, sich gegenseitig herauszufordern und schwierige Fragen zu stellen, aber selten aus eine Art und Weise, die unterstellt, dass eine bestimmte Sichtweise eine größere Berechtigung hätte als eine andere. Wir nehmen die Spannungen wahr und sind davon manchmal etwas verunsichert, aber wir schaffen es dann, einen Schritt zurückzugehen und zu versuchen herauszufinden, was der- oder diejenige meint, anstatt sich gleich aufzuregen und ich glaube, das ist der Schlüssel.

Ein Mann und eine Frau sind von hinten zu sehen, während sie auf einer Bank in der Sonne sitzen und miteinander diskutieren.

Du hast sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland in einem akademischen Kontext gearbeitet. Wenn du versuchst, die vorzustellen, eine ähnliche Tagung in Deutschland zu organisieren – denkst du, das wäre machbar? Und wir schätzt du das Interesse gegenüber einer Veranstaltung ein, die von den gängigeren Formaten abweicht?

Das ist eine sehr spannende Frage. Unsere Tagung ist in vielerlei Hinsicht etwas außergewöhnlich: Wir sind nicht Teil einer Forschungsgemeinschaft und haben keinerlei institutionellen Status. Wir finanzieren uns über Teilnehmer*innen-Beiträge und die finanzielle Unterstützung verschiedener britischer und amerikanischer Universitäten und Stiftungen und bis vor ein paar Jahren haben wir zwischen den Veranstaltungen über keinerlei finanziellen Mittel verfügt. Wenn man darüber nachdenkt, ist es erstaunlich, dass dieses Event so lange überlebt hat, aber das hat es, weil diejenigen, die daran teilnehmen, dort eine offene und herzliche Community gefunden haben, mit der sie sich gerne immer wieder treffen.

Ich bin mir nicht sicher, ob eine solche Art der Finanzierung in Deutschland möglich wäre und ich glaube, eine weitere Hürde wäre, dass Initiativen, die nicht ganz einfach einem Fachbereich oder einer Organisationsstruktur zuzuordnen sind, hier nur schwer irgendwo unterkommen. Akademische Wissenschaft ist in Deutschland sehr strukturiert zwischen verschiedenen Fakultäten und Lehrstühlen, weshalb es nicht immer einfach ist, eine Finanzierung und einen organisatorischen Rahmen für weniger konventionelle Initiativen zu finden. Ich habe ein paar Jahre lang versucht, deutsche Wissenschaftler*innen für die Konferenz zu gewinnen, und wir haben es manchmal bei einem oder zweien geschafft, aber mehr auch nicht. Meiner Erfahrung nach ist die deutsche Forschung in diesem Bereich meist sehr auf deutsche Traditionen und Praktiken fokussiert und ich fände es schön, wenn sich das ändern würde, aber das ist ein langer Prozess. Ich hoffe aber trotzdem sehr darauf!

Fragen, Übersetzung und Redaktion: Sophie v. Kalckreuth

Die Fotos in diesem Beitrag wurden freundlicherweise vom Organisationskomitee der Tagung zur Verfügung gestellt. 

Sie möchten mehr Informationen zur Tagung oder denken sogar darüber nach, beim nächsten Mal selbst daran teilzunehmen? 

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