Pilgern als Feldforschung: Bericht von einer Reise mit dem "Coat of Hopes"

Forschung & Wissenschaft
Ein Ausschnitt des Coat's of Hope

Fotos: Mark Porter

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Im Rahmen seiner Feldforschung zu spirituell geprägtem Klima-Aktivismus hat sich unser Kollege Mark Porter auf eine Pilgerreise mit dem Coat of Hopes begeben. Im Interview berichtet er von seinen Erfahrungen, den Motivationen der Teilnehmer*innen und den Reaktionen der Menschen, denen die Pilger*innen unterwegs begegnet sind.

Kannst Du uns etwas über die Idee hinter der Aktion "Coat of Hopes" erzählen und darüber, wie du davon erfahren hast?

Der "Coat of Hopes" ist eine Art von Glauben inspirierter interaktiver, künstlerischer Klima-Aktivismus. Das Projekt wurde von der Künstlerin Barbara Keal im Vorfeld des COP 26-Klimagipfels in Glasgow vor ein paar Jahren ins Leben gerufen. Die Idee war, ein Kunstwerk zu schaffen, das seine Bedeutung durch die verschiedenen Begegnungen und die Reise, auf die es sich begibt, erhält und nicht durch die Arbeit der Künstlerin, die es geschaffen hat. Jeder, der wollte, wurde dazu eingeladen, einen Aufnäher anzufertigen, der dann auf den Mantel aufgenäht wird. Die Aufnäher sollten die Hoffnungen der Menschen in Bezug auf die Klimakrise repräsentieren, und es werden dem Mantel auch jetzt noch, einige Jahre später, neue Aufnäher hinzugefügt.

Der Mantel begann seine Pilgerreise zu Fuß von Südengland bis ganz hinauf nach Schottland. Verschiedene Menschen schlossen sich der Reise an verschiedenen Punkten an und übernachteten in Kirchen und anderen Gemeinschaftsgebäuden, wo auch immer sie eine Einladung erhielten. Während der Reise des Mantels wurde jeder, dem die Gruppe unterwegs begegnete, eingeladen, den Mantel als Symbol der Wärme, aber auch der Verantwortung, die wir alle tragen, überzulegen. Durch diese verschiedenen Begegnungen wurden unterschiedliche Menschen Teil der Reise des Mantels, und viele von ihnen waren von der Einladung unglaublich bewegt. Seit dieser ersten Reise nach Glasgow hat der Mantel seine Reise fortgesetzt und ist durch verschiedene Gemeinden im ganzen Land gewandert. Inzwischen umfasst er über 600 Aufnäher und wiegt insgesamt etwa 9 Kilogramm.

Ich bin auf das Projekt aufmerksam geworden, weil es zu dem Mantel ein Lied gibt, das während der Reise gesungen wird. Ich interessiere mich schon seit einigen Jahren für die Verbindung zwischen Glauben, Musik und Klimakrise, und als ich von dem Projekt hörte, setzte ich mich mit der Künstlerin in Verbindung, um mehr über die Geschichte hinter der Aktion zu erfahren. Ursprünglich handelte es sich um ein einmaliges Interview, aber seit diesem ersten Gespräch haben wir uns gelegentlich per E-Mail ausgetauscht, und sie lud mich ein, den Mantel Anfang des Jahres auf einem Teil seiner Reise zu begleiten. Da ich im Rahmen meiner Recherchen über den Mantel geschrieben hatte, bot es sich an, das Projekt für ein paar Tage zu begleiten und den Mantel sozusagen von Angesicht zu Angesicht zu sehen. So kam es, dass ich vor ein paar Wochen nach einer kalten und schlaflosen Nacht auf dem Boden eines Gemeindesaals bei Wind und Kälte durch Nordengland wanderte.

Video

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Welche Art von Menschen hast du dort getroffen? Was waren ihre Beweggründe für die Pilgerreise?

Als ich mich anmeldete, um ein paar Tage mit dem Mantel zu gehen, hatte ich kaum eine Vorstellung davon, was mich erwarten würde. Verschiedene Leute stoßen auf unterschiedlichen Etappen der Reise dazu und verabschieden sich dann wieder, manchmal ist es eine kleine Gruppe, manchmal eine größere. In unserem Fall war es am Anfang eine ziemlich kleine Gruppe bestehend aus fünf Personen. Die Leiterin und Routenplanerin war aus London angereist, und Wandergruppen zu leiten ist ihr Beruf. Ein Mitglied der Gruppe kam aus einer Quäker-Gemeinde in Schottland, ein Mitglied hatte einige Jahre lang im Wald in einem Zelt gelebt, und einer hatte vor kurzem ein Rehabilitationsprogramm hinter sich gebracht.

Neben dieser Kerngruppe gab es noch eine Reihe anderer Personen, die sich uns für ein oder zwei Tage auf dem Weg anschlossen. Einer von ihnen arbeitete als Ingenieur beim Bau von Zügen mit, ein anderer leitete Steinmetz-Workshops und arbeitete als Bildhauer. Die Gruppe brachte ein breites Spektrum unterschiedlicher spiritueller Hintergründe und Erwartungen mit, einige kamen, weil sie dem Mantel auf einer früheren Reise begegnet waren und er für sie eine Bedeutung hatte, andere hofften, dass sie auf dem Weg irgendeine Art von Begegnung haben oder irgendeine Form von Sinn finden würden.

Viele Formen des Klima-Aktivismus neigen dazu, weiße Menschen aus der Mittelschicht anzuziehen, und diese Pilgerreise war keine vollständige Ausnahme von dieser Regel, aber ich hatte das Gefühl, dass es eine interessante Gruppe mit vielen verschiedenen Perspektiven war.

Unterwegs machten wir an zwei Kirchen und einem Quäker-Versammlungshaus halt. Ich fand es interessant, wie schnell einige Leute in den Kirchen zu Tränen gerührt waren, als sie den Mantel anprobierten. Ich hatte keine Ahnung, dass ein Gegenstand jemanden so berühren kann. Das bildete einen interessanten Kontrast zu der Quäkergruppe, die viel mehr daran interessiert war, gemeinsam über die Klimakrise nachzudenken und über die vor uns liegenden gesellschaftlichen Herausforderungen zu sprechen.

Auf unserer Wanderung begegneten wir einer Reihe von Menschen. Am ersten Tag trafen wir den örtlichen Abgeordneten, der sich bereit erklärte, den Mantel anzuprobieren und sich fotografieren zu lassen. Danach trafen wir auf eine Frau aus Australien, die ihre eigenen Klimaschutzprojekte leitet, eine Reihe von Anwohner*innen, die in unterschiedlichem Maße begeistert waren, den Mantel anzuprobieren oder sich davon fernzuhalten, auf einen Klimaleugner, der sich auf einen Streit einlassen wollte, und wir kamen auch durch ein paar Gegenden, an denen relativ viele Drogen konsumiert wurden, was andere Arten von Begegnungen mit sich brachte. Auf dem Weg wurde sehr deutlich, dass einige Menschen vom Zusammentreffen mit dem Mantel tief bewegt waren, andere ließen sich nur widerwillig darauf ein, und wieder andere wollten wirklich Abstand von der ganzen Sache halten.

Der Coat of Hopes

Pilgern und Klimaaktivismus scheint eine recht ungewöhnliche Kombination zu sein, da viele Menschen das Pilgern eher als eine Art persönliche spirituelle Reise betrachten. Wie haben diese beiden Dimensionen in Deiner Erfahrung zusammengewirkt?

Ich habe noch nicht so viele Pilgerreisen mitgemacht und fühle mich in vielerlei Hinsicht nicht qualifiziert, diese Frage zu beantworten. Ich glaube, es war den Beteiligten an diesem Projekt wirklich wichtig, dass der Mantel eine echte Einladung an alle ist und nicht als ein Akt der Opposition oder des Protests wahrgenommen wird. In dieser Hinsicht unterscheidet er sich von einigen öffentlichkeitswirksamen Formen des Klima-Aktivismus, da er die Bedeutung der Inklusion betont und versucht, die Herausforderungen und existentiellen Ängste anzuerkennen, die so viele Menschen haben, unabhängig von ihrem Engagement für eine bestimmte Klima-Agenda.

Ich denke, dass einige der Teilnehmer die Wanderung als eine Art spirituelle Reise sahen, und einige von ihnen fanden, dass sich diese Hoffnungen erfüllten, während ich denke, dass andere ein gewisses Maß an Enttäuschung darüber empfanden, dass die Reise nicht alle Erwartungen erfüllte, mit denen sie sie angetreten hatten. Nach der Pilgerreise unterhielt ich mich mit der Schöpferin des Mantels, um darüber zu reflektieren, und wir sprachen ein wenig darüber, dass diese Dynamik der Hoffnung, der Erfahrung und der Enttäuschung bei Pilgerreisen eigentlich eine bemerkenswert häufige Dynamik ist.

Einer der schwierigsten Momente für uns war, als wir durch ein riesiges Einkaufszentrum außerhalb der Stadt liefen, umgeben von mehrspurigen Straßen, die mit Autos verstopft waren, und wo klar war, dass wir uns in einem Raum befanden, der einfach nicht zum Gehen gedacht war.

In einer solchen Umgebung fühlte sich der Mantel wirklich wie ein Fremdkörper an, und wir hatten nicht so sehr das Gefühl, dass wir etwas spirituell Sinnvolles taten, sondern dass das Engagement für das Klima für große Teile unserer Gesellschaft völlig fremd ist. Auf der Pilgerreise durchlebt man alle möglichen unterschiedlichen Erfahrungen und Räume, aber ich glaube, was wirklich alle auf der Reise miteinander verband, war das Gefühl, dass zumindest für einige Menschen, zumindest in einigen dieser Räume, diese Erfahrung etwas war, das bedeutungsvoll werden konnte, und dass etwas von diesem Potenzial es wirklich wert war, daran festzuhalten.

Glaubst Du, dass Initiativen wie diese tatsächlich etwas bewirken oder zumindest die Menschen für den Klimawandel und die damit verbundenen Probleme sensibilisieren können?

Ich glaube nicht, dass irgendjemand, den wir getroffen haben, sich des Klimawandels nicht bewusst war, und ich denke, sie alle waren sich zumindest einiger der Probleme und Herausforderungen bewusst, die er mit sich bringt. Ich denke, der Unterschied, den diese Art von Projekt ausmacht, besteht darin, dass es einigen dieser Menschen hilft, sich als Teil von etwas Größerem zu fühlen, zu erkennen, dass ihre eigenen Hoffnungen und Ängste mit den Hoffnungen und Ängsten anderer Menschen verbunden sind und einen Moment der Bestätigung zu erhalten, dass es diese Art von Resonanz zwischen ihren eigenen Erfahrungen und den Erfahrungen anderer gibt. Es ist kein Projekt, das im Alleingang die Klimakrise lösen kann. Aber es ist ein Projekt, das bei der emotionalen und spirituellen Arbeit helfen kann, die die Menschen angesichts dieser Krise leisten müssen, und wir sollten den Wert dieser Art von Dimensionen nicht unterschätzen, wenn es darum geht, die Richtung zu bestimmen, in die wir uns als Gesellschaft bewegen.

Mehr Informationen zum "Coat of Hopes" finden Sie hier:

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