Bildquelle: U.S. Department of State, Public domain, via Wikimedia Commons
Am 5. März 2025 gab US-Außenminister Marco Rubio in einem Studio von Fox News ein Interview. Es war Aschermittwoch, der Politiker trug deutlich sichtbar ein Aschekreuz auf der Stirn. Symbole und Rituale im Dienst der Politik sind nicht ungewöhnlich. Der Kniefall von Bundeskanzler Willy Brandt 1970 am Warschauer Mahnmal zum Gedenken an den Aufstand im jüdischen Ghetto ist bildgewordenes Ritual, geradezu eine zeitgeschichtliche Ikone. Die Ratifizierung von Verträgen, die Eröffnung von (konstituierenden) Parlamentssitzungen, die öffentliche Begrüßung und Umarmung bei internationalen politischen Treffen wie im März 2025 in London beim Treffen der Ukraine-Unterstützer mit Wolodymyr Selenskyj – vieles wäre zu nennen.
Es gibt vertraute, wiederkehrende Rituale und Symbolhandlungen, es gibt überraschende. Für das Aschekreuz auf der Stirn eines Politikers in einem Fernsehstudio reicht allerdings das Adjektiv „überraschend“ nicht aus. Die Trump-Administration versucht, in möglichst viele kulturelle Bereiche einzudringen und sie unter ihren Einfluss zu bringen. Das zeigen die Auseinandersetzungen um das nationale Kulturzentrum Kennedy Center, in dessen Board Donald Trump nun Chairman ist, das dokumentieren die immer neuen Versuche, Bildungsprogramme einzustellen oder umzuwidmen, aber auch der massive Druck auf Universitäten wie zuletzt auf die Harvard University. Alles soll auf die Ziele der Trump-Politik ausgerichtet werden.
Vor diesem Hintergrund liest sich der Umgang mit dem Aschekreuz in theologischer und insbesondere liturgiewissenschaftlicher Hinsicht doch recht speziell. Natürlich ist es persönliches Zeichen und Bekenntnis, wenn Politiker:innen Gottesdienste feiern, ein Kreuz oder ein Aschekreuz tragen – aber ein Aschekreuz in einer Fernsehsendung, in der es zumal um den Gaza-Konflikt und damit vor allem um Menschen anderer Religionen geht?
Das Bild spricht für sich: Es ist eindeutig in einem Studio aufgenommen worden. Jeder Satz, jede Gestik, jedes Bilddetail ist, das darf man voraussetzen, genau bedacht: eine genaue Choreographie. Das Aschekreuz auf der Stirn ist nicht zu übersehen, so breit und dick ist es aufgetragen. Und das ist bewusst gemacht, es soll so zu sehen sein. Der Minister wird auf dem Weg zum Studio in der Maske gewesen sein; dass das Kreuz nicht abgewischt worden ist und dass es so deutlich zu sehen ist, kann kein Zufall sein.
Das Aschekreuz gehört in den Kontext gemeindlicher Liturgie. Es stammt ursprünglich aus einer Bußübung der Alten Kirche. Wer schwer gesündigt hatte, legte ein Bußgewand an, wurde mit Asche bestreut und als öffentlicher Büßer auf Zeit aus dem Gemeindegottesdienst ausgeschlossen. Nach der inneren Umkehr wurde die Person rituell wieder aufgenommen. Der gesamte Vorgang war keine Lappalie. Diesem Ritus schlossen sich seit dem 10. Jahrhundert andere Gläubige an. Es ist heute ein innerkirchliches Ritual, das außerhalb der Gemeinde nicht spricht – außer jemand wollte sich seiner oder ihrer Bußfertigkeit rühmen. Das Aschekreuz gehört in die Kirchen und Gemeinde, nicht in die Öffentlichkeit eines Fernsehstudios. Die Auflegung oder Aufzeichnung des Aschekreuzes auf die Stirn ist mit zwei möglichen Begleitworten verbunden. Im englischsprachigen Messbuch der katholischen Kirche, wie es in den USA verwendet wird, lauten sie: „Repent, and believe in the Gospel“ oder „Remember that you are dust, and to dust you shall return“. Sehr klare Worte, die sich an einzelne Christ:innen im Gottesdienst in dem Moment richten, in dem ihnen das Aschekreuz aufgezeichnet wird. Sie richten sich aber wie der ganze Ritus sicherlich nicht an die Zuschauer:innen von Fox News.
Im konkreten Fall ist ein Ortswechsel vorgenommen worden: vom Kirchenraum und der spezifischen Öffentlichkeit einer Gemeinde in die Öffentlichkeit eines Fernsehstudios. Das ist keine Kleinigkeit. Die Hermeneutik des Ritus wird verändert, dem Zeichen wird eine neue (Be-)Deutung gegeben: Aus der Kirche wird etwas in eine Öffentlichkeit getragen, in der, und die medialen Reaktionen zeigen das, das Aschekreuz zunächst einmal in höchstem Maße erklärungsbedürftig ist. Wichtiger: Hier wird eine neue Botschaft vermittelt, nicht persönliche Umkehr zugesagt. Niemand geht mit dem Aschekreuz in die Öffentlichkeit, wenn er damit nicht etwas vermitteln will.
Das persönliche, im kirchlichen Umfeld sprechende Zeichen wird hier zur (staats-)politischen Demonstration christlichen Glaubens im politischen und medialen Kontext. Es interessiert in diesem Studio und diesem Moment nicht, wie Außenminister Rubio seinen Glauben lebt und wie wichtig ihm Umkehr, Versöhnung, Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit sind.
Die Neukontextualisierung deutet das Zeichen anders – es wird zum Zeichen einer Identitätspolitik, die das eigene Handeln als christlich grundiert ausweisen will. Als ein dem Körper aufgezeichnetes Kreuz will es den Politiker, der sich mit dem Zeichen des Kreuzes in dieser Weise in der Öffentlichkeit zeigt, und seine Politik als christlich legitimieren – eine sehr plakative Performance, um eine politische Programmatik zu präsentieren. Dabei wird eine Öffentlichkeit hergestellt, die beim Aschekreuz gar nicht intendiert ist. Man darf unterstellen, dass das kein Zufall, sondern geplant und inszeniert ist. Das Aschekreuz wird umcodiert, mit dem Aschekreuz eine vorgeblich christliche Politik präsentiert.
Theologisch ist Widerspruch angezeigt, zumal es nicht der einzige Versuch der Trump-Administration ist, Religion für ihre Weise von Politik zu vereinnahmen. In einem Interview ist das Aschekreuz ein deutliches Zeichen in Richtung nichtchristlicher Religionen, insbesondere des Islam. Man wird nicht gleich von Kreuzrittertum sprechen müssen, um die Problematik der Situation zu erkennen. Aber ein Minister soll Angehörige aller Religionen in und mit seiner Politik vertreten. Was empfinden Juden, was Muslime, wenn in einer Fernsehsendung mit politischem Inhalt eben dieser Minister so auftritt? Respekt gegenüber anderen Religionen kommt so sicherlich nicht zum Ausdruck. Eine bestimmte Politik wird religiös ummantelt, ein religiöser Ritus und sein Zeichen werden politisch funktionalisiert. Dass dafür der Zeichenhaushalt einer Kernzeit des Kirchenjahres benutzt wird, macht den Vorgang noch unerträglicher!
Das Kreuz steht für eine Glaubensbotschaft. Es symbolisiert Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi. Auf den Körper, hier die Stirn, aufgezeichnet, ist es Teil körperlichen Gedächtnisses. Ähnliches begegnet in vielen Facetten im christlichen Gottesdienst. Hier, im Fernsehstudio wird es in einem engen, problematischen Sinn instrumentalisiert. Es wird in seiner Aussagekraft beschnitten, in dem es mit einer Regierungspolitik in Zusammenhang gebracht wird. Das nimmt dem Kreuz seine Bedeutung, beschädigt den damit verbundenen Ritus und verzweckt ihn.
Dem Zeichen, das gegen Gewalt stehen soll, wird Gewalt angetan. Das Kreuz, auch als Aschekreuz, bedeutet Unterbrechung, indem es auf Leid wie Hoffnung hinweist, zugleich zur Frage zwingt, wo im Lichte des Ereignisses von Golgotha heute Strukturen bestehen, die Menschen unterdrücken, ihnen Gewalt antun, sie gar töten. Die Botschaft vom Kreuz besitzt einen politischen Stachel im Sinne einer gefährlichen, weil unterbrechenden Erinnerung – und der wird ihr durch eine Aktion wie die im Fox News-Studio genommen. Das Aschekreuz wird in seiner Sinnhaftigkeit geradezu verkehrt, das damit verbundene Ritual und seine Semantik gleichermaßen. Dem Zeichen wird seine Aussagekraft geraubt, es wird banalisiert und letztlich beschädigt. Mehr noch: Es wird ihm seine implizite politische Kraft und seine Widerständigkeit genommen, die gerade in der Gegenwart dringend notwendig sind. Und das verdient entschiedenen Widerspruch!
Benedikt Kranemann ist Professor für Liturgiewissenschaft an unserer Fakultät. Mehr Informationen zu seiner Forschung finden Sie auf der Seite der Professur.