Karfreitag statt Klimaschutz? Christliche Hoffnung angesichts ökologischer Katastrophen

Forschung & Wissenschaft
Nahaufnahme eines alten Stück Holz
Dr. Dominique-Marcel Kosack
Dr. Dominique-Marcel Kosack

Wer sich informieren möchte, was eigentlich christlicher Glaube über Klimawandel und Ökologie zu sagen hat, sucht meist nicht in theologischen Bibliotheken oder kirchlichen Verlautbarungen. Der naheliegendste Schritt ist, danach zu googlen – gerne auch nach Videos. Die mit großem Abstand reichweitenstärksten Videos sind im deutschsprachigen Raum der Vortrag „Ökologie des Herzens“, den Johannes Hartl 2020 bei der charismatischen MEHR-Konferenz in Augsburg hielt, und die Predigt „Was würde Jesus zum Klimawandel sagen?“ von Leo Bigger, dem Leiter der pfingstlich-evangelikalen Freikirche ICF Zürich, von 2023. Hier möchte ich einen kurzen Einblick darin geben, welche christlichen Hoffnungsperspektiven die beiden angesichts von Klimakrise und anderen ökologischen Katastrophen formulieren – und welche Alternativen sich dazu ergeben.

 

Karfreitag mit oder ohne Schöpfung

Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass sich Hartl und Bigger stark von der ökologischen Bewegung, vor allem von „Friday for Future“, abgrenzen. Für sie findet sich die eigentliche christliche Hoffnung in der individuellen Erlösung durch den Kreuzestod Jesu – und von der solle ökologisches Engagement nicht ablenken. Bigger nennt das „Karfreitag for Future statt Friday for Future“. Und für Hartl ist Karfreitag der eigentliche „Friday for Future“. Für sie gibt christliche Erlösung eine Hoffnungsperspektive für den einzelnen Menschen, der unter der gestörten Beziehung zu Gott, zum Nächsten und zu sich selbst leidet. Aber obwohl sie die ökologische Frage als Aufhänger ihrer Verkündigung wählen, geht es ihnen gerade nicht um eine Hoffnung für die leidende Schöpfung.

Diese Tendenz, sich auf das Heil des Menschen zu konzentrieren und dabei den größten Teil der Schöpfung auszublenden, ist in der Geschichte des Christentums nicht neu. Solche Linien finden sich über Jahrhunderte, auch wenn Bigger und Hartl sie sogar noch verstärken. Aber angesichts ökologischer Katastrophen lässt sich christlich auch anders hoffen:  In seiner bekannten Enzyklika Laudato si spricht Papst Franziskus davon, dass Gott in Jesus Christus nicht nur Mensch geworden ist, sondern sich „in den geschaffenen Kosmos eingefügt“ hat. Wenn er diesen Weg „bis zum Kreuz“ (Nr. 100) gegangen ist, dann hat er eben nicht nur an den menschlichen Nöten, sondern jenen des ganzen Ökosystems Anteil. Ich würde das als ein „holistisches“, also umfassendes Verständnis von christlicher Erlösung bezeichnen. Gott klammert die Schöpfung in seinem Heilshandeln nicht aus, sondern schließt sie ein und verbindet sich mit ihrem Leiden. Doch inwiefern eröffnet das eine neue Hoffnung?

Für eine ausführliche Analyse und theologische Diskussion ist hier keine Gelegenheit. Aber ich möchte die Hoffnungsfrage anhand von zwei Beispielen aus den Videos von Bigger und Hartl etwas weiterverfolgen. Dabei beziehe ich zum einen ökotheologische Perspektiven aus der pfingstlich-charismatischen Bewegung ein und zum anderen Überlegungen aus unserem eigenen Projekt zur Hoffnungsforschung.

 

Die Apokalypse und die Geisttaufe der Schöpfung

Angesichts der weitreichenden und in weiten Teilen unumkehrbaren Folgen des Klimawandels ist die Klimabewegung an vielen Stellen durch apokalyptische Motive geprägt: Die Bedingungen auf der Erde werden immer schlimmer und wir steuern auf ein dramatisches Ende zu. Eine ähnliche Bildsprache greift auch Bigger unter Verwendung christlicher Motivik auf. Doch er kehrt dabei die Zielrichtung um – es geht ihm nicht darum, zu ökologischem Engagement zu motivieren, sondern sich auf das ewige Leben, das Gericht Gottes und die individuelle Entscheidung für ihn zu konzentrieren. „Es wird noch viel schlimmer werden, weil der Richter wird auf die Welt kommen und uns Menschen richten. Ich hoffe, du hast ein Ticket für das Gericht.“ Der Klimawandel ist für ihn nicht das eigentliche Problem, sondern am ehesten ein Symptom für eine seines Erachtens notwendige Entwicklung oder sogar eine Verheißung. Begeistert ruft er den Teilnehmer:innen des Gottesdienstes zu: „Ja, es wird schlimmer. Yes, come on! Weißt du, warum? Weil Jesus kommt. Das ist unsere Botschaft. Amen.“

Eine solche Gleichgültigkeit gegenüber dem Klimawandel, die in der Erwartung eines baldigen endzeitlichen Gerichts gründet, ist geradezu klischeehaft für Teile des evangelikalen und des pfingstlich-charismatischen Christentums. Aber sie kann für diese Bewegungen weder verallgemeinert werden noch folgt aus dem Endzeitglauben zwangsläufig ein ökologisches Desinteresse. So unternehmen pfingstliche Ökotheolog:innen eine Art Neuinterpretation der eigenen Apokalyptik und finden dafür zahlreiche Anknüpfungspunkte in der pfingstkirchlichen Tradition. Sie deuten die Vorstellung eines „neuen Himmels und einer neuen Erde“ (Offb 21) nicht als Zerstörung, sondern als Erneuerung des ganzen Kosmos. Erlösung heißt dann nicht allein, dass Menschen von Schuld befreit sind und die Kraft des Heiligen Geistes erfahren. Theolog:innen wie Shane Clifton, Anton J. Swoboda, John D. Griffiths und andere sprechen auch von einer „Geisttaufe“ der ganzen Schöpfung.[i] Damit ist jedoch der vermeintliche Gegensatz von beispielsweise Klimaaktivismus und christlicher Hoffnung aufgehoben. Denn wenn der Erlösungsglaube die Heilung und Vollendung der Schöpfung einschließt, wird ökologisches Engagement zur Teilhabe an Gottes Wirken und damit der christlichen Sendung.

 

Hoffnung als neue Perspektive

Nicht nur Hoffnungserzählungen, sondern auch die Wahrnehmung der Natur insgesamt ist in den Beiträgen von Bigger und Hartl sehr enggeführt. Die Hoffnung, die Hartl als christliche Botschaft formuliert, ist zwar nicht jenseitsorientiert wie bei Bigger – aber auch ihm geht es um das Heil des individuellen Menschen. Konkret spricht er von emotionaler Gesundheit und stabilen Beziehungen. „Denn wenn wir in drei Jahrzehnten CO2-neutral sind, aber nicht mehr fähig sind, tiefe, echte Beziehungen zu leben, dann sterben wir auf eine andere Weise auch aus.“ Dabei stellt Hartl nicht nur die Priorität ökologischer Fragen zurück. Die Natur, insbesondere die Tierwelt, wird sogar zur Negativfolie dessen, was für ihn ein gelungenes (christliches) Leben ausmacht. Der Kreuzestod Jesu ermögliche es, dass der „Mensch sinnerfüllt, in Verbundenheit und in Schönheit lebt“, statt dass er anfängt, „wie ein Tier zu leben“. An zahlreichen Stellen macht Hartl deutlich, dass sich für ihn das Menschsein gerade dort zeigt, wo es von der übrigen Natur grundlegend unterschieden ist.

Was hat das mit Hoffnungsforschung zu tun? In ihrer Untersuchung ökologischer Literatur auf Hoffnungsnarrative hält Anna-Zoë Herr als ein Charakteristikum der Hoffnung fest, dass sie angesichts von Krisen unsere Vorstellungsweisen („Imaginative“) der Welt verändert und geeignete „Gegen-Imaginative“ hervorbringt.[ii] Hartls Vorstellung von Natur, die sowohl Engführungen in der christlichen Tradition als in der westlichen Moderne aufgreift und verschärft, bietet keine Antworten auf ökologische Katastrophen. Eher verfestigt sie die Art von Naturverhältnis, die Klimawandel, Artensterben, überdüngte Böden usw. überhaupt erst hervorbringt. Wenn dagegen pfingstliche Theolog:innen oder auch Papst Franziskus eine Hoffnung auf Gottes Heilshandeln an und in der Schöpfung ausdrücken, ist das nicht nur Vertröstung. Es ist eine Irritation eingefahrener Weltbilder, ein „Gegen-Imaginativ“, das es uns ermöglicht, das Verhältnis von Menschheit und Natur neu zu bestimmen, es anders zu leben – und damit neue Handlungsperspektiven zu entwickeln.

 

[i] Vgl. u.a. Shane Clifton, Preaching the Full Gospel in the Context of Global Environmental Crisis, in: Amos Yong (Hg.), The Spirit Renews the Face of the Earth, Eugene (Oreg.) 2009, 117–134; Anton J. Swoboda, Tongues and Trees: Towards a Green Pentecostal Pneumatology (Doctoral Thesis, University of Birmingham 2011), online: etheses.bham.ac.uk/3003/1/Swoboda11PhD.pdf, zugegriffen: 16.10.2024; John D. Griffiths, Spirit-Baptised Creation. Locating Pentecost in the Meta-Narrative of Creation and Its Implications for a Pentecostal Ecology, in: Australasian Pentecostal Studies 22 (2021), 46–60.

[ii] Anna-Zoë Herr, Narratives of Hope. Imagination and Alternative Futures in Climate Change Literature, in: Transcience 13 (2022), 88–111.

Dominique-Marcel Kosack ist Teil des Teams aus Nachwuchswissenschaftler*innen der Universität Erfurt und der Paris Lodron Universität Salzburg, die im Projekt "Theologie als Hoffnungsforschung? Auswirkungen der Klimakrise auf theologische Reflexion und religiöse Praxis" erforschen, welche Rolle Hoffnung bei der Bewältigung der Klimakrise spielt und wie die Theologie im Dialog mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen komplexe Phänomene untersuchen kann.

In diesem Blog-Beitrag erfahren Sie mehr über das Projekt.