Ein bereichernder Prozess des Zuhörens: Die Kirchenrechtlerin Myriam Wijlens berichtet von der Weltsynode zu Synodalität

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Ein Foto der Teilnehmenden der Synode an mehreren runden Tischen

Vom 4. bis zum 29. Oktober 2023 fand in Rom die Weltsynode zu Synodalität statt. Prof. Dr. Myriam Wijlens hat als Expertin für Kirchenrecht an der Synode teilgenommen und teilt im Interview ihre EindrückeWeitere Informationen zu Prof. Wijlens' Forschung finden Sie auf der Profilseite der Professur.

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Prof. Wijlens, wie würden Sie jemandem, der sich damit nicht auskennt, den Begriff der Synodalität erklären?

Die Katholische Kirche hat auf Einladung von Papst Franziskus 2021 einen weltweiten Prozess begonnen, in dem es um die Frage geht: Wie kann die Kirche in der heutigen Zeit ihre Sendung erfüllen? Dabei geht es sowohl um die Art und Weise wie sie dies intern erörtert, d.h. wer in welcher Weise über die Frage nachdenkt und mitentscheidet als auch darum, welche Kirche sie gerufen ist, heute zu sein. Synodalität bedeutet, ausgehend von der ursprünglichen Bedeutung des griechischen Wortes, dass man den Weg zusammen geht. Menschen sind also dazu eingeladen, gemeinsam über diese Themen nachzudenken. Das stellt eine große Änderung für die katholische Kirche dar, weil wir uns inzwischen sehr daran gewöhnt haben, dass das Programm, sagen wir mal, aus Rom kommt. Im derzeitigen Prozess hat der Papst die Frage jedoch direkt an die Kirchen vor Ort übergeben. Dort hat ein Prozess des gemeinsamen Zuhörens begonnen zur Frage: Wie soll Kirche im Hören auf den Heiligen Geist hier und heute sein?

Eine weitere Neuerung stellte dar, dass zum ersten Mal auch Frauen mit Stimmrecht an der Synode teilnehmen durften. Sie waren als einzige Expertin aus Deutschland beteiligt. Können wir einen Moment in Ihrer Erinnerung zurückgehen? Wie war es für Sie, als Expertin ernannt zu werden und wie ist es dazu gekommen? Und wie waren Ihre Erfahrungen während des Synodalen Prozesses?

Für mich etwas überraschend, wurde ich 2021 zur Expertin im Koordinationsteam im Vatikan ernannt. Ich war die erste und einzige Frau sowie die einzige Nichtitalienerin. Der synodale Prozess läuft ja nun schon seit einigen Jahren und hat viele verschiedene Schritte umfasst – zuerst vor Ort in den Bistümern, dann auf nationaler, kontinentaler und schließlich derzeit auf internationaler Ebene. Ich durfte all diese Schritte mitgestalten und für die verschiedenen Phasen an den entsprechenden Dokumenten mitarbeiten. Ich war z.B. 2022 in Frascati und habe dort die Berichte von Bischofskonferenzen aus der ganzen Welt mit analysiert und einen Arbeitstext für die kontinentalen Sitzungen vorbereitet. In einer Sitzung in Prag im vergangenen Februar haben sich Menschen aus Europa getroffen und ich wurde dazu eingeladen, das dortige Enddokument mit zu verfassen. Im Frühjahr war ich erneut in Rom, um die Sitzung, die gerade im Vatikan stattgefunden hat, auf der Grundlage der kontinentalen Berichte konzeptuell und inhaltlich vorzubereiten. Daher war es eigentlich keine große Überraschung, dass ich dann auch im Expertenteam für die weltweite synodale Sitzung vom Papst ernannt wurde. Im Team waren wir mit vier Frauen. Wir waren auch nur vier Kirchenrechtler. Es war sicherlich wichtig, dort als Frau zu sein, aber es war vor allem meine Kompetenz als Kirchenrechtlerin gefragt. In den vergangenen zwei Jahren ist mir sehr klar geworden, dass ich im ganzen Prozess vor allem wegen meiner Forschungsprojekte hinzugezogen wurde.

Wir haben darüber gesprochen, wie Sie Ihre Forschungsexpertise in den Synodalen Prozess einbringen. Haben Sie auch das Gefühl, aus dem Prozess neue Erkenntnisse für Ihre Forschung mitnehmen zu können? Inwiefern beeinflussen sich beide Tätigkeiten gegenseitig?

Seit 2004 leite ich eine internationale Forschungsgruppe zu Reformen in der Kirche und seit 2020 ein Forschungsprojekt mit dem Titel Transparency – Accountability – Responsibility: Reform of Church Structures and Practices. Genau diese drei Stichwörter sind im synodalen Prozess sehr stark in den Vordergrund getreten und es scheint hier seitens der Weltkirche ein sehr großes Interesse an weiterer Forschung zu bestehen. Daher haben wir seitens meiner Forschergruppe, aus der fünf Personen an der Synode in Rom teilgenommen haben, überlegt, wie wir die Erkenntnisse, die wir im Rahmen unserer Forschung bereits gewonnen haben, zusammenfassen und der Kirche als Hilfestellung zur Verfügung stellen können. Eines unserer Forschungsprojekte beschäftigt sich mit der Frage, welche Implikationen sich aus einer Dezentralisierung und Kontextualisierung der Kirche vor allem mit Blick auf den Verkündigungsauftrag auf der Ebene einer Bischofskonferenz ergeben. Die Kirche sieht sich dann mit Diversität und Einheit konfrontiert. Vor allem bei ethischen Themen wird es spannend, wie man dann damit umgeht. Die Ergebnisse dieses Projektes wurden bereits auf Englisch bzw. Französisch veröffentlicht, und am 2. Dezember werden sie in einer italienischen Übersetzung im Rahmen einer Buchpräsentation in Rom veröffentlicht. Da wollen wir der Frage nachgehen, wie unser Projekt auf die von der Synode gestellten Fragen bereits eine Antwort geben kann.

Prof. Dr. Myriam Wijlens vor dem Hintergrund des Petersplatzes

Internationalität und Einheit trotz Diversität sind zwei gute Stichwörter. Haben Sie das Gefühl, dass gerade die Themen, mit denen Sie sich beschäftigen, also z. B. Transparenz, innerhalb der Weltkirche konsensfähig sind? Oder gehen die Ansichten der verschiedenen Ortskirchen weit auseinander?

Es handelt sich hierbei um Themen, die gerade weltweit sehr in den Vordergrund rücken. In der Synode wurde bestätigt, dass die kirchenrechtlichen Strukturen dementsprechend gestärkt und modifiziert werden müssen, damit die Umsetzung in die Praxis auch funktioniert. Transparenz z. B. in Finanzbereich ist ein interessantes Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Kirche weltweit aufgestellt ist. In manchen Ländern gibt es staatliche Bestimmungen, die dazu führen, dass die Kirchen, wie alle anderen Rechtspersonen, ihre Finanzen offenlegen müssen, wenn sie z.B. als gemeinnützig anerkannt werden wollen. In anderen müssen sie das jedoch nicht. Im Bereich der Transparenz sehen wir also große Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern.

Ich glaube aber, dass allgemein das Bewusstsein dafür wächst, dass es gut ist, bestimmte Dinge offenzulegen, auch dann, wenn die Kirche dazu nicht verpflichtet ist, da es zum Vertrauen in die Institution beiträgt.

Wenn es um die Aufarbeitung von Beschuldigungen von sexuellem Missbrauch geht, sehen wir, dass verschiedene Länder hier mit unterschiedlicher Geschwindigkeit vorgehen. In Deutschland kam dieses Thema in den vergangenen Jahren verstärkt auf, während es beispielsweise in den USA und Kanada schon in den 1990er-Jahren in den Fokus geriet und dort damals schon Bischöfe zurücktreten mussten. Dort hat man damals nicht verstanden, wie man in Deutschland sagen konnte, das sei hier kein Problem. Es stellt sich die Frage, warum die Kirchen sich in diesem Bereich so schwertun, voneinander zu lernen. Es macht auch klar, dass man nicht immer sich selbst als Kriterium für die Bewertung anderer nehmen darf.

Aus welcher Perspektive man etwas bewertet, scheint auch in den Medienberichten zur Synode eine große Rolle zu spielen.

Sehr vereinzelt wurde kommentiert, dass das Ergebnis der Synode nicht ausreiche. Als ich das hörte, kam mir folgende Gedanke: Menschen aus der ganzen Welt, die alle in sehr verschiedenen Kontexten leben, sind einander auf einer ganz tiefen Ebene begegnet. Es haben teilweise Menschen miteinander am Tisch gesessen, deren Heimatländern miteinander im Krieg sind oder die ihrer Identität im Rahmen einer De- oder Entkolonialisierung suchen. Und wenn man es trotzdem erreichen kann, dass diese Menschen miteinander ins Gespräch kommen und sich gemeinsam zu wichtigen Fragestellungen einigen, dann hat man m. E. Immenses erreicht. Das Gespräch wurde trotz der Unterschiede nicht ab- oder unterbrochen. Essenziell ist hier, dass es sich beim weltweiten synodalen Prozess um einen Prozess des Zuhörens handelt und jeder sich die Frage stellt: Was sagt der andere? Bin ich in der Lage, dem anderen zuzuhören? Kann ich auch verstehen, dass der andere vielleicht ein Bedürfnis hat, über Themen zu sprechen, die mir selbst nicht so wichtig sind? Auf der individuellen Ebene versuchen wir das im Christentum ja ohnehin schon zu machen. Aber schaffen wir es auch auf der kirchlichen Ebene, diesen Weg zu gehen? In dieser Hinsicht war die Synode ein beeindruckendes Erlebnis.

Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die Umsetzung der von der Synode gefassten Beschlüsse und die Frage, wie groß der Wille der Entscheidungsträger ist, tatsächlich etwas zu verändern. Wie würden Sie auf diese Kritik reagieren?

Es war von Anfang an klar, dass es kein Abschlussdokument geben würde, sondern dass wir zuerst einmal gemeinsam die Themen und Fragestellungen festhalten wollen, die wichtig sind und alle beschäftigen. Sich mit etwa 350 Personen aus einer weltweiten Kirche darauf zu einigen, ist schon nicht einfach. Da geht es der Kirche nicht anders als der internationalen Gemeinschaft. Hierbei erwies sich die Methode, die für die Sitzung gewählt wurde, als sehr hilfreich: Menschen haben sich in Arbeitsgruppen an runden Tischen ausgetauscht. Es gab fünf große Themenbereiche und zu jedem Bereich gab es Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven. So hat z.B. eine Gruppe sich mit der Frage befasst: Wie kann man Frauen besser an der Leitung der Kirche beteiligen? Eine andere Gruppe hat sich zur gleichen Zeit mit der Frage befasst, wie Bischöfe ihr Amt unter Beteiligung der anderen Gläubigen besser ausüben können. Das sind zwei Zugangswege zum Thema: Wie kann Mitverantwortung von allen übernommen werden?

Die Gespräche wurden von professionellen Moderator:inen geleitet. Das war neu und wurde als sehr hilfreich empfunden. Runde Tische bedeuten, dass niemand wichtiger ist als die anderen: Die Gleichheit in Würde kam zum Ausdruck.

Reihum haben sich die Menschen zu einem bestimmten Aspekt eines Themas geäußert. Jede Person durfte vier Minuten reden, und das war vor dem Hintergrund der kulturellen Unterschiede sehr wichtig. Man hat die Aussage des Anderen nicht sofort kommentiert, sondern es wurde erst einmal zugehört. Nach einigen Beiträgen wurde geschwiegen: Was habe ich bislang gehört? Nach einer Runde hat jede Person sagen dürfen, welche Gedanken ihr beim Zuhören gekommen sind. So wurde zusammen vertieft und es konnte geklärt werden, wo Übereinstimmung bestehen, was weiter theologisch vertieft werden muss und wie die nächsten Schritte aussehen sollen. Die 36 Runden Tische, die in fünf Sprachen gearbeitet haben, haben im Plenum ihre Ergebnisse vorgestellt und daraufhin hat jede Gruppe sich erneut die Frage gestellt: Nachdem wir alles gehört haben, wie sehen wir diesen Punkt? Daraufhin haben sie jeweils ihren Endbericht eingereicht. Als Expertin hatte ich mit den etwa 20 Kolleg:innen die Aufgabe, die Ergebnisse der 36 Runden Tische zu den verschiedenen Themen in den fünf Arbeitssprachen zu analysieren und festzuhalten, wo es Übereinstimmungen gibt, was vertieft werden muss und welche Schritte anstehen - So wurde die Grundlage für das Enddokument geschaffen. Dass dieses dann in den einzelnen Punkten mit einer überwältigende 2/3 Mehrheit, die sich zwischen 80 % und 99 % bewegte, angenommen wurde, zeigt, dass man mittels der Methode einen Weg gefunden hatte, auch sehr schwierige und kontroverse Themen auf den Tisch zu bringen und dass so die Grundlage für weitere Gespräche geschaffen wurde.

Ein Thema, das für unsere theologische Fakultät sehr wichtig ist, betrifft die Frage nach der Rolle der Theologie in diesem Prozess. Denn in diesem Papier steht auch, dass wir bei vielen Themen einen großen Bedarf an theologischen und kirchenrechtlichen Vertiefungen haben. Diese Vertiefung soll nicht allein in Rom geschehen. Wenn eines im Laufe des synodalen Prozesses klar geworden ist, dann, dass sowohl inhaltlich als auch vom Prozess her, eine Kommunikation zwischen den verschiedenen Ebenen, von den Ortskirchen nach Rom, zwischen den Ortskirchen und auf der kontinentalen Ebene, hergestellt werden muss. Das bedeutet auch, dass die Theologie vor Ort sich mit diesen Fragestellungen beschäftigen muss, denn sie muss kontextuell vorgehen und denken. Das wiederum beinhaltet, dass wir uns bewusst sein müssen, dass auch wir in Europa zutiefst kontextuell arbeiten und denken. Die Antworten können zu bestimmten Themen in der Theologie unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob man an einer theologischen Fakultät in Japan, in Burkina Faso, Argentinien oder Deutschland forscht.

In Bezug auf die Synode stellt sich darüber hinaus die Frage, was es eigentlich bedeutet in einer synodalen Kirche theologische Forschung zu betreiben. Denn auch die Theologie tendiert manchmal dazu, zu verkünden und zu reden, anstatt erst den Menschen zuzuhören.

Zu unseren Studierenden sage ich öfter: Wenn Sie in die Domstraße kommen, laufen die meisten von Ihnen über den Domplatz, wo es jeden Morgen einen Markt gibt. Eigentlich müssten wir Theolog:innen uns den Menschen, die dort jeden Morgen sind, zuwenden und sie nach ihren Ängsten, Hoffnungen und Sorgen fragen und diese dann mitnehmen in die Hörsäle und Seminarräume und als theologische Fragestellungen formulieren und reflektieren. Wenn wir dann theologische Antworten darauf gefunden haben, müssen wir die Treppe zum Domplatz wieder heruntersteigen und den Menschen davon berichten – nicht in der wissenschaftlichen Sprache der Theologie, sondern in einer Sprache, die sie auch verstehen. Wenn wir das schaffen, dann haben wir unsere Aufgabe erfüllt.

Was die Menschen genau bewegt und welche Sorgen, Ängste und Hoffnungen im Vordergrund stehen, ist aber natürlich immer kontextuell. Fragestellungen und Antworten können also in verschiedenen Ländern ganz unterschiedlich ausfallen. Ich glaube, was wir in Rom in dieser synodalen Sitzung geleistet haben, war vor allem, einen Weg zu finden, um über solche Themen und die Herangehensweisen miteinander ins Gespräch zu kommen. Dass hierbei alle einander zugehört haben und wir diesen Prozess gemeinsam gestaltet haben und uns auf ein gemeinsames Dokument einigen konnten – das war für mich eine bereichernde Erfahrung und vielleicht für die derzeitige Welt, in der so viel Wut und Krieg ist, ein Zeichen der Hoffnung, das zeigt, dass es sich lohnt, gerade bei allen Differenzen weiterhin das Gespräch miteinander zu suchen.

Weitere Informationen zur Synode und alle veröffentlichten Dokumente finden Sie auf der Website der Synode.

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