Zwei Schlaglichter auf Weihnachten

Forschung & Wissenschaft
Hände greifen nach einem leuchtenden, sich öffnenden Spalt in einer Wand

von Thomas Sojer

I.

Beschenktwerden ist schön. Nicht nur, weil man etwas bekommt, das Freude macht. Beschenken ist kein Warentausch und mehr als der Wechsel von Besitzern. Schenken ist eine Geste, die eine Botschaft verkündet: „Ich mag dich.“ Es geht darum, die Erfahrung zu machen, im Beschenktwerden wirklich gemeint zu sein. Das kann niemand auf Knopfdruck. In Beziehungen wird man nach vielen Jahren des Zusammenlebens ab und zu einmal den Moment erleben, beschenkt zum Du geworden zu sein. Wer diese Erfahrung gemacht hat, kann oft nicht mehr anderes tun als Danke zu sagen. Ein Danke, das dann aber mehr als nur Antwort ist, denn gerade verändert sich etwas im Innen und Außen: Eine Berührung fand statt und Beziehung ist geworden, aus Sender und Empfänger wurde ein Wir. Die Geste schafft das.

Gesten sprechen, ohne Worte zu verwenden, und sie können uns tief berühren. Es ist schwer, sie in Worte zu übersetzen, und wer es versucht, stößt schnell an Grenzen. Jeder Geste eignet ein Überschuss, nämlich das Versprechen, wirklich gemeint zu sein. „Ich mag dich“ lässt sich kaum am finanziellen Wert des Geschenks oder am damit verbundenen Aufwand festmachen. Es handelt sich hier nicht um reine Information, die in Form des Geschenks übermittelt wird. Schenken ist ein Berühren und ein Du-Sagen, und es braucht dazu keine Worte, aber Hände, Blicke und geteilte Zeit. Es braucht den Kontakt. Die Wahrheit des „Du bist damit gemeint“ liegt im Augenblick der Geste.

Das Weihnachtsfest ist voller Gesten. Kein Zeichen, kein Brauch, kein Lied bleibt gestenlos. Alles sucht nach Berührung und Kontakt. Doch werden alle davon angesprochen? Wen berührt Weihnachten und wie? Sind alle beschenkt, einfach weil Weihnachten niemanden vergisst und an alle Türen klopft? Wer bleibt unantastbar, ohne Geschenk? Woran liegt es, wenn die Tür verschlossen bleibt, die Klingel nicht gehört wird, vielleicht in der Annahme, es läutet beim Nachbarn?

Weihnachten ist ein Skandal, weil sein Versprechen nicht eingelöst wird. Woran scheitert es? Ich habe keine Antwort, nur Beispiele. Erschöpft, zerstritten sein, oder gar niemanden zum Streiten haben ... Vielen tut das Fest der Liebe nicht gut. Es stiftet die Hoffnung auf etwas, das sehr verwundbar macht, nämlich auf die Möglichkeit, vielleicht doch auch gemeint zu sein. Zum Fest gehört die Zumutung am Versprechen festzuhalten. Wer sich dafür öffnet, riskiert viel. Im Überschuss der Geste schenkt sich also auch die ganze Tragik eines Lebens mit.

II.

jeder engel

fällt wie sand

aus schöpferhand

als menschenfinger sie umfassen

keine welt mehr in ihr ruht

 

das versprechen dieser nacht

halten nur die bäume

an ihnen hängt bald kreuzesnackt

tief aufgerissen “ja”

 

dort blauen rote himmel

da bricht das stundenglas

bricht der welt der morgen

und strahlt nun auch die nacht