Menschen mit Behinderung, Menschen mit Beeinträchtigung, mit Handicap oder Unterstützungsbedarf – „mir ist das eigentlich ziemlich egal, wie Sie das nennen“, sagt Franziska Gossen. „Viel wichtiger ist es, dass Sie mit Respekt von den Menschen sprechen, offen für deren Anliegen sind, auf sie zugehen und sie nicht ausgrenzen, beleidigen oder anstarren.“ Die 35-Jährige ist ganz pragmatisch unterwegs, wenn es ums „wording“ geht – offen und doch sensibel. Aber sie kämpft energisch, wenn es um die Sache geht. Nämlich darum, eben diesen Menschen an der Universität Erfurt trotz aller Beeinträchtigungen – seien sie nun physischer oder psychischer Natur – einen guten und ihren Bedarfen entsprechenden Arbeitsplatz zu schaffen.
Franziska Gossen managt das Sekretariat zweier Professuren an der Staatswissenschaftlichen Fakultät und engagiert sich seit 2018 – zusammen mit Gregor Herrmann und Susann Urtel – in der Schwerbehindertenvertretung für die Beschäftigten der Universität Erfurt. In dieser Funktion ist es ihre Aufgabe, die Interessen schwerbehinderter Beschäftigter an der Uni zu kommunizieren und zu vertreten – ob es bei Bewerbungs- bzw. Einstellungsverfahren ist, in der Betrieblichen Wiedereingliederung nach langer Krankheit, bei der Arbeitsplatzgestaltung oder in den universitären Gremien, z.B. dem Senat, wo auch die Schwerbehindertenvertretung Rederecht hat. Als Schwerbehindertenvertreterin ist Franziska Gossen aber auch seit seiner Gründung Mitglied im Diversitätsbeirat, einem Gremium, das u.a. das Präsidium zu grundsätzlichen Fragen der Diversität berät – zu den Rahmenbedingungen, Zielen und Möglichkeiten für einen konstruktiven Umgang mit Vielfalt auf dem Campus und natürlich auch zu Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung.
„Mir ist es wichtig, für das Thema zu sensibilisieren und den Betroffenen Gehör zu verschaffen“, sagt Franziska Gossen. „Denn oft werden ihre Anliegen im Alltag völlig vergessen – ob es die mit Fahrrädern zugeparkte Rollstuhlrampe ist, eine Tür, die so schwer ist, dass sie sich nur mit beiden Händen öffnen lässt, der fehlende Aufzug, eine kontrastarme Campus-Beschilderung oder eine mangelhafte Raum-Akustik.“ Und das sind nur die körperlichen Beeinträchtigungen, die man in der Regel sehen kann. Aber was ist mit den psychischen? Mit den unsichtbaren? An der Universität Erfurt gibt es aktuell rund 40 schwerbehinderte Beschäftigte (bzw. ihnen gleichgestellte Personen) – jedenfalls sind so viele der Schwerbehindertenvertretung bekannt. „Darüber hinaus gibt es sicher weitere, die uns bislang nicht kontaktiert bzw. unsere Unterstützung nicht in Anspruch genommen haben. Aber auch für sie wollen wir mitdenken und da sein, wenn es doch mal Hilfe braucht“, sagt die 35-Jährige. „Und wir setzen uns dafür ein, dass die Bedingungen für diese Menschen hier bei uns auf dem Campus so gut sind, dass sie gern zu uns kommen, gern hier arbeiten und sich wohlfühlen. Denn am Ende profitiert doch die gesamte Uni von der Vielfalt und einem offenen Miteinander.“
Franziska Gossen weiß, wovon sie spricht. Sie selbst ist seit ihrer Kindheit schwerbehindert. Ein Hirntumor – inoperabel, zum Glück nicht lebensbedrohlich, aber dennoch Spasmen verursachend, die ihr die Kontrolle über ihre rechte Körperhälfte verwehren. Auf den ersten Blick kaum sichtbar, nur die Hand am rechten Arm wirkt deformiert. Macht oft nicht, was sie soll. Mal greift sie nicht, mal lässt sie nicht locker. „Ich habe gelernt, damit umzugehen“, sagt die junge Frau. „Ich muss da oft kreativ sein.“ Was hier so einfach klingt, war dennoch eine große Anstrengung: „Ich musste zum Beispiel lernen, alles mit links zu machen, obwohl ich eigentlich Rechtshänderin bin.“ Auch Fahrradfahren und Schwimmenlernen kosteten Franziska Gossen mehr Kraft als andere. „Aber ich wollte mich nie von meiner Beeinträchtigung bestimmen lassen und zum Glück ist mir das gelungen. Klar, man muss sich halt was überlegen, wenn man nur 1,5 Hände zur Verfügung hat: Während andere beim Brötchen Aufschneiden das Messer bewegen, bewege ich halt das Brötchen. Bei der Maniküre wird mein Kinn zum Hilfsmittel und an meinem Fahrrad habe ich mir die Gangschaltung und die Hinterradbremse nach links bauen lassen. Geht alles.“ Und wie sieht es mit Hilfsmitteln an der Arbeit aus? „Naja, ich schreibe nur mit einer Hand. Deshalb habe ich eine Gamer-Tatstatur, also eine, die etwas kleiner ist, so dass meine Finger keine so großen Abstände zwischen den Tasten überwinden müssen. Damit komme ich prima zurecht. Ach ja, und eine Linkshänder-Schere habe ich auch bekommen.“ Der Unterstützungsbedarf ist bei Franziska Gossen überschaubar. Bei vielen anderen ist er deutlich höher. Da ist es keine Frage der Kreativität, von kleinen Tricks oder des „Wollens“. „Diese Menschen – Kolleg*innen, Kommiliton*innen – dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren. Sie verdienen unsere Unterstützung und vor allem unseren Respekt im täglichen Miteinander – und damit meine ich ausdrücklich beide ‚Seiten‘. Miteinander reden, sich austauschen, sich neuen Perspektiven öffnen, miteinander nach Lösungen suchen, das ist es doch, worum es geht. Und das ist am Ende nicht nur die Aufgabe der Schwerbehindertenvertretung, sondern unser aller Verantwortung.“ Also Augen auf – Herz auf!
Und während sie das sagt, bastelt Franziska schon wieder an einer neuen Idee. Eine Art Stammtisch – für Menschen, die sich für das Thema Schwerbehinderung – oder besser noch: Diversität – interessieren und in den Austausch miteinander kommen wollen. Einmal im Monat vielleicht, ja vielleicht sogar gleich hier auf dem Campus. Ohne Zwang, ohne großes Tamtam. Ein Ort des Miteinanders – für jeden offen. „Das fänd ich schön“, sagt die 35-Jährige. „Schreiben Sie gern meinen Kontakt unter den Text…“
Machen wir: :-)
Franziska Gossen
Tel.: 0361/737-4900
Auch die für schwerbehinderte Studierende gibt es an der Universität Erfurt eine Anlaufstelle. Ansprechpartner ist hier im Dezernat 1: Studium und Lehre Bernhard Becher (Tel.: 0361/737-5101).