"Lehre sollte die Heterogenität der Studierenden in den Blick nehmen"

On Campus
Muster aus bunten Umrissen von Personen

Für Hochschulen ist Diversität gelebter Alltag. Studierende und Lehrende unterscheiden sich z. B. aufgrund von Alter, Sprache, Herkunft, Überzeugungen, gesundheitlichen Aspekten oder Lern- und Lehrgewohnheiten. All dies ist relevant bei Themen wie z. B. Hochschulzugang, Selbstwirksamkeit, soziale Unterstützung, Eingebundenheit und akademische Lernerfahrungen, was wiederum direkten oder indirekten Einfluss auf einen erfolgreichen Lehr-Lern-Prozess hat. Mit Diversität in der Lehre hat sich auch Maya Bräuer, Studentin an der Universität Erfurt, in ihrer Master-Arbeit beschäftigt. Wie sieht es aus mit Selbst- und Fremdwahrnehmung, wenn es um Vielfalt auf dem Campus geht? Wir haben mit ihr darüber gesprochen...

Wie kam es dazu, dass Sie sich mit genau diesem Thema beschäftigen wollten – gab es einen konkreten Anlass?
Anlass für die Untersuchung bot meine Erfahrung, dass Hochschullehre stark auf die Vorstellungen eines „Normstudierenden“ ausgelegt ist. Diese entspricht heute aber kaum noch der Realität. Die Studierendenschaft ist viel diverser. Damit meine ich nicht nur, dass Menschen sich hinsichtlich ihres Geschlechts, Alters oder ihrer ethnischen Herkunft unterscheiden. Für den Lehr-Lern-Prozess ist wesentlich relevanter, dass sie auch vielfältige Wahrnehmungsperspektiven, Lebenswege, Lernzugänge, Motivationen und Bildungsziele aufweisen. Neben dieser Heterogenität der Studierenden selbst, können Unterschiede auch durch das Hochschulsystem erzeugt werden, beispielsweise durch disziplinäre Prägungen. Deshalb ist es wichtig, dass Lehre die Heterogenität aller Studierenden in den Blick nimmt, sodass Diskriminierung reduziert und auf eine gleichberechtigte Bildungsteilhabe aller hingearbeitet werden kann. Also habe ich mir also die Frage gestellt, wie sich der Umgang mit Vielfalt überhaupt messen lässt und ob sich die Urteile darüber zwischen Lehrpersonen und Studierenden unterscheiden.

Wie haben Sie sich dem Thema genähert?
Zunächst habe ich einen Fragebogen entwickelt, der aus lediglich vier Fragen zum Umgang mit Vielfalt in der Lehre bestand. Dieser wurde sowohl von Lehrpersonen als auch von Studierenden beantwortet. Damit wollte ich untersuchen, ob es einen statistisch bedeutsamen Unterschied zwischen der Perspektive der Lehrpersonen und der Perspektive der Studierenden bei der Bewertung des Umgangs mit Vielfalt gibt. Zudem wollte ich erforschen, ob die Art und Weise, wie die Fragen formuliert sind, einen Einfluss auf deren Beantwortung hat. Daraus ergaben sich jeweils für Studierende und Lehrpersonen zwei Versionen des Fragebogens.
Um möglichst viele Teilnehmende zu erreichen, habe ich mich an das Team des Qualitätsmanagements der Universität Erfurt gewandt, damit es den Frageblock in die semesterweise stattfindende Lehrevaluation aufnimmt. Neben dem Qualitätsmanagement habe ich auch den Diversitätsbeauftragten der Uni kontaktiert, um in einen fachlichen Austausch zu treten und auch diese Stelle in das Vorhaben einzubinden. Ich empfand beide Kooperationen als wichtiges Zeichen dafür, dass ein angemessener Umgang mit Vielfalt ein Bestandteil „guter Lehre“ ist und damit im Interesse der Hochschule liegt.

Was waren Ihre wichtigsten Fragestellungen?
Ein Ziel der Arbeit war es, zu untersuchen, wie sich diversitätssensible Hochschullehre quantitativ erfassen lässt. Konkret bin ich der Frage nachgegangen, ob es dabei einen Unterschied macht, wen ich frage – Studierende oder Lehrperson – und wie ich frage – also die Art der Item-Formulierung. Die Ableitung von Bedingungen für einen konstruktiven Umgang mit Vielfalt in der Hochschullehre stellte das zweite Forschungsziel dar. Ich habe gefragt, inwiefern diversitätsbezogene Persönlichkeitseigenschaften der Lehrperson mit ihrem Lehrhandeln zusammenhängen. Dafür habe ich an den Fragebogen der Lehrpersonen einen zusätzlichen Block gehängt, der deren Diversitätsakzeptanz erfassen sollte.

Und was sind die wichtigsten Erkenntnisse bzw. Ergebnisse Ihrer Arbeit?
In Hinblick auf die Frage, ob und wie sich diversitätssensible Hochschullehre messen lässt, bleibt festzuhalten, dass die Fragen unterschiedliche Konstrukte erfassten, je nachdem ob sie von Lehrpersonen oder Studierenden beantwortet wurden. Somit lassen die verwendeten Fragen zur Messung diversitätssensibler zum jetzigen Stand keine Erfassung eines gemeinsamen Konstrukts durch Studierende und Lehrpersonen zu. Die Item-Formulierung führte lediglich bei einer einzigen Frage dazu, dass sich die Unterschiede zwischen den Perspektiven verringerten.

Darüber hinaus habe ich festgestellt, dass Diversitätsakzeptanz als Persönlichkeitseigenschaft nicht mit dem Umgang mit Vielfalt als beobachtbares Lehrhandeln zusammenhängt. Es stellt sich also die Frage, unter welchen Umständen eine Lehrperson mit hoher Diversitätsakzeptanz ihre Lehre entsprechend gestalten könnte. Dabei kam ich zu dem Schluss, dass es letztendlich im Verantwortungsbereich der Lehrperson liegt, sich der Bedeutung von Diversität in der täglichen Hochschulpraxis bewusst zu werden und Bereitschaft zu zeigen, diese als Teil ihrer Vorstellungen über gute Lehre zu integrieren. Selbstreflexion, beispielsweise angestoßen durch Checklisten für eine diversitätssensible Lehrpraxis, können helfen, sich Diskrepanzen zwischen den Vorstellungen und dem beobachtbaren Umgang mit Vielfalt bewusstzumachen.

Inwiefern kann die Universität Erfurt von Ihrer Arbeit profitieren – haben Sie z.B. die Ergebnisse im Diversitätsbeirat einmal vorgestellt o.ä.?
Ja, ich hatte zweimal die Gelegenheit, die Ergebnisse der Studie im Rahmen des Diversitätsaudits in einem Diversity-Workshop vorzustellen. Das hat mich sehr gefreut, weil es zeigt, dass entsprechende Forschungsvorhaben Unterstützung und Gehör finden und überdies zur Diskussion anregen. Zudem liegt der Mehrwert dieser Arbeit insbesondere im multiperspektivischen Studiendesign, das die Sicht von Studierenden und Lehrpersonen gleichermaßen wertschätzt. Meiner Meinung nach bietet dies eine wichtige Gesprächsgrundlage für die Entwicklung eines gemeinsamen Diversitätsverständnisses und einer Passung zwischen Angebot und Nutzung von Hochschullehre.

Gab es bei Ihrer Arbeit besondere Herausforderungen, die Sie bewältigen mussten?
Da mit dem Thema Diversität oft Fragen nach Ungleichheit und Privilegien aufkommen und diese individuelle Betroffenheit implizieren, ist allein der Begriff emotional aufgeladen. Eine besondere Herausforderung lag darin, Lehrpersonen für die Teilnahme zu gewinnen, ohne ihnen das Gefühl zu geben, unter „Generalverdacht“ zu stehen. Die Mehrheit der Lehrenden äußerte sich positiv über das Aufgreifen des Themas „Umgang mit Vielfalt im universitären Lehrhandeln“ und zeigte sich interessiert. Bei Einzelnen stieß ich jedoch auf Zweifel bis hin zur Ablehnung des Themas, da es „ideologisch aufgeladen“ sei. Diese Personen gaben an, sich durch die Berücksichtigung einer heterogenen Studierendenschaft in ihrer Lehrfreiheit eingeschränkt zu fühlen.

Was bedeutet Ihnen das Thema Diversität bzw. Diversität an Hochschulen persönlich?
Ein offener und anerkennender Umgang mit unterschiedlichen Lebensformen will gelernt sein und ist ein lebenslanger Prozess. Für mich persönlich bedeutet das, ein Bewusstsein sowohl für gesellschaftliche als auch persönliche Vorurteile zu schaffen und somit einen stetigen Reflexionsprozess zuzulassen. Insbesondere im Hochschulkontext halte ich das für essenziell. Es ist wichtig, sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten zwischen Studierenden wahrzunehmen, anzuerkennen und dies als Chance für den Lernprozess aller zu begreifen.

Lesen Sie hier den Ergebnisbericht zur Master-Arbeit von Maya Bräuer. Wer noch mehr zu dieser Arbeit erfahren möchte, kann über den Diversitätsbeauftragten der Universität Erfurt Kontakt zu ihr aufnehmen.

Link zum Ergebnisbericht