"Leichter gesagt als getan". CJD Erfurt und Studierende der Universität Erfurt entwickeln Stadtführer in „Leichter Sprache“

Vorgestellt
Stadtführer in leichter Sprache

"Ich habe unheimlich viel mitgenommen und ja, man kann auch sagen, dass ich dabei die eine oder andere Grenzerfahrung gemacht habe." Ein bisschen stolz wirkt Elisa Thiel schon, wenn sie über das gerade zu Ende gegangene Seminar im Studium Fundamentale an der Uni Erfurt spricht. Darin haben sie und ihre Kommilitonen gemeinsam mit dem Erfurter Büro für „Leichte Sprache“ des Christlichen Jugenddorfwerks Deutschland einen ganz besonderen Stadtführer entwickelt. Nämlich einen in "Leichter Sprache", der ein ganz neues und vor allem barrierefreies Angebot für den Tourismus in der Thüringer Landeshauptstadt darstellen soll. "Mit diesem Stadtführer richten wir uns besonders an Menschen mit Lernschwierigkeiten", berichtet Elisa. "Aber auch andere profitieren davon, wie zum Beispiel ältere Menschen und Kinder, denen das Lesen in kleiner Schrift oder von komplizierten, langen Texten schwerfällt, an Menschen mit Migrationshintergrund, Förderschul- und Kindergartengruppen."

Als die 27-jährige Studentin der Uni Erfurt von dem Seminarangebot hörte, war sie sofort dabei. Als angehende Förderpädagogin lag das Thema für sie schließlich sehr nahe – und letztlich auch als Mutter einer eineinhalbjährigen Tochter, der sie immer wieder die Welt erklären möchte. Nicht verschwurbelt und kompliziert, mit Fremdwörtern gespickt und in Bandwurmsätzen, sondern in einfachen kurzen Sätzen, in Bildern – eben in "Leichter Sprache". "Das Schöne an diesem Seminar ist, dass es einen direkten Praxisbezug hat. Wir sind die Akteure", ist Elisa Thiel begeistert. "Und natürlich ist es toll, dass wir direkt erproben können, ob das, was wir uns ausgedacht und formuliert haben, auch wirklich bei den Nutzern ankommt." Dafür gibt’s die sogenannten "Prüfer", also Mitarbeiter des Büros für "Leichte Sprache" beim CJD, die selbst Lernschwierigkeiten haben, also genau wissen, was sie von einem Stadtführer in "Leichter Sprache" erwarten müssen. "Die Prüfer sind ziemlich streng", sagt Elisa und lacht. "Da bin ich manchmal schon an meine Grenzen gekommen. Es ist gar nicht so einfach, komplexe Texte so zu übersetzen, dass sie wirklich für jedermann zugänglich sind. Bei dieser Arbeit merkt man erstmal wie kompliziert wir uns manchmal ausdrücken."

Rund 20 Teilnehmer hat das Seminar bei Prof. Dr. Harald Goll, das im Wintersemester fortgesetzt wird. In Gruppen erarbeiten die Studierenden unterschiedliche Themen, die am Ende Eingang in den neuen Stadtführer finden sollen. So befassen sich die einen beispielsweise mit den Sehenswürdigkeiten Erfurts, andere wiederum mit dem gastronomischen Angebot der Stadt, wieder andere mit den kulturellen Möglichkeiten. "Geheimtipps", Informationen zu Eintrittsgeldern und wichtigen Terminen oder zur Barrierefreiheit gibt’s natürlich auch. Elisa und ihre Gruppe entwickeln eine kleine Familienroute – also einen Spaziergang durch die Stadt, der sich an den bunten Figuren des KinderKanals entlanghangelt. Vom KiKaninchen bis zu Rudi Rabe, sozusagen. Sie schreiben selbst Texte; andere, bereits bestehende, werden in "Leichte Sprache" übersetzt. Und manchmal müssen sie daran auch ganz schön feilen bis bei den Prüfern der Daumen hoch geht. "Durch die Zusammenarbeit der Studierenden mit Menschen mit Lernschwierigkeiten, also den Experten in eigener Sache, wird aus Theorie gelebte Teilhabe. Sie können an einem Produkt mitarbeiten, das später die eigene Stadt in ‚Leichter Sprache‘ vorstellt und vielen Menschen einen Stadtbesuch zumindest sprachlich attraktiver macht", erklärt Dr. Nancy Brack, Leiterin des Büros für ‚Leichte Sprache‘ des CJD Erfurt.

"Für mich ist das eine wunderbare Erfahrung", sagt Elisa Thiel. Berührungsängste seien für sie zwar von Anfang an kein Thema gewesen, dennoch sei die Zusammenarbeit mit Menschen mit Lernschwierigkeiten schon etwas Besonderes. "Mir ist zum Beispiel noch einmal deutlich geworden, dass man vieles, was man selbst vielleicht mehr oder weniger umständlich sagen würde, auch einfach mit einer Umarmung vermitteln kann." Die 27-jährige Studentin hat dies im wahrsten Sinne des Wortes "am eigenen Leib erfahren". Ihr hat es geholfen, sich noch stärker zu öffnen – für neue bzw. andere Kommunikationswege und auch Erfahrungswelten als die ihr bislang vertrauten.

Im nächsten Semester soll es weitergehen – dann wird alles, was konzipiert, recherchiert, geschrieben und erarbeitet wurde, in einem Buch zusammengetragen – in großen Lettern, damit der Stadtführer auch für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen lesbar ist, und mit vielen tollen Bildern, denn die sagen ja bekanntlich manchmal mehr als 1000 Worte. Im Frühjahr 2017 soll der Stadtführer erscheinen. Und wenn man Elisa heute nach einem neuen Wunschprojekt in "Leichter Sprache" fragt, dann muss sie nicht lange überlegen: "Gesetzestexte, die sollte sich mal jemand vornehmen. An denen beißen sich ja nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten die Zähne aus."