„Feiernde Männer und arbeitende Frauen?!“. Biblische Frauenfiguren und ein didaktisches Experiment

Forschung & Wissenschaft , Veranstaltungen
Das Gemälde Women Working in a Field von Winslow Homer
Dr. habil. Cornelia Aßmann
Dr. habil. Cornelia Aßmann

„Feiernde Männer und arbeitende Frauen?!“ – eine Überschrift, die zahlreiche Klischees bedient und provoziert. Dass sich hinter dem Bild mehr verbirgt, als eine Schwarz-Weiß-Malerei des altorientalisch-biblischen Verständnisses von Mann und Frau, wurde den Studierenden des Seminars „Feiernde Männer und arbeitende Frauen. Ein Disput über die Work-Life-Balance in biblischen Erzählungen und in der Gegenwart?!“ (SoSe 2025) im Rahmen des Studium Fundamentale schnell deutlich. Neben der Definition von Arbeit und deren anthropologische Betrachtung standen Fragen der Work-Life-Balance, Debatten um Arbeitsorganisation und -verteilung sowie Geschlechterrollen im Fokus. 

Das Thema regte nicht nur Studierende verschiedenster Fächer der Universität Erfurt an, sondern ebenso die Religionsklassen der Jahrgangsstufe 9 des Staatlichen Gymnasiums Albert Schweitzer in Erfurt. Unter der Leitung von Esther Kirsch und Ilka Sempf (Religionslehrerinnen) in Kooperation mit Inga M. Schütte (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt) sowie Dr. Cornelia Aßmann (Universität Erfurt) kam es am 16. Mai 2025 zur Begegnung von 19 Schüler:innen mit 15 Studierenden der Universität Erfurt. Finanziell unterstützt wurde der Projekttag durch das Gleichstellungs- und Familienbüro der Universität Erfurt sowie durch den Theologinnenkonvent der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands (EKM).

Am Vormittag erhielten die Schüler:innen des Albert Schweitzer Gymnasiums Gelegenheit, die Räumlichkeiten der Katholisch-Theologischen Fakultät zu erkunden. In einer 45-minütigen Vorlesung zum Thema „Frauenarbeit in der Bibel. Die Frauen im Stammbaum Jesu (k)ein Musterbeispiel“ lernten sie die alttestamentlichen Frauenfiguren Tamar, Rahab, Rut sowie Batseba als soziale und dennoch bedeutsame Randfiguren des Alten Testaments kennen. Dem schloss sich eine gemeinsame Projektarbeit mit den Studierenden an. Im Fokus der Arbeit standen die namenlose Händlerin aus Spr 31,10-31 sowie das Schwesternpaar Maria und Marta. Alle drei Frauenfiguren verkörpern verschiedene Arbeitskonzepte, die zugleich mit Geschlechterstereotypen operieren. 

Die Purpurhändlerin ist durch ihren Mann, der sie nach außen rechtlich vertritt (vgl. Spr 31,23), in das patriarchale System eingebunden. Dennoch agiert sie eigenständig, wenn sie überlegt, einen Acker zu kaufen. 

Weiter heißt es und „vom Ertrag ihrer Hände pflanzt sie einen Weinberg“ (Spr 31,16). Überschriften von Übersetzenden wie „Das Lob der tüchtigen Frau“ oder gar „Hausfrau“ reduzieren hingegen die alttestamentliche Gestalt auf ihr fürsorgliches, vorausschauendes, caritatives Handeln. Hingegen ist die Frau aus Spr 31 – so stellten Schüler:innen und Studierende erstaunt fest – eine Ökonomin, die es versteht, sich innerhalb der gesellschaftlich gesetzten Grenzen frei zu bewegen. 

Marta verkörpert dagegen das Ideal einer Gastgeberin, die auf das Wohl der Gäste bedacht ist. Das Lukasevangelium lässt dieses Bild nicht unkritisch stehen, wenn Marta sich bei Jesus beschwert: „Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen!“ (Lk 10,40). Jesus kommt dem Wunsch Martas nicht nach, sondern antwortet ihr: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden“ (Lk 10,41-42). Modern gesprochen leistet Marta Care-Arbeit, d.h. unbezahlte, häufig übersehene oder geringgeschätzte Sorgeleistungen. Jesus wertet diese nicht ab, sondern nimmt die Leistung Martas war. Gleichzeitig macht er deutlich, dass Maria nicht Nichts tut. Auch sie arbeitet, wenn auch auf andere Weise. Indem sie beim Gast bleibt, nimmt sie ebenso die Rolle der Gastgeberin ein. Den Freiraum, den sie sich schafft, nutzt sie zum Hören

Das biblisch-christliche Verständnis betrachtet Arbeit als Teil menschlichen Daseins, aber nicht als Daseinsgrund. Der Mensch darf an der Schöpfung mittun und sie gestalten. Zugleich bedarf es Zeiten der Ruhe, des Hörens und des Nicht-Tuns. Damit ist die Frage nach der Work-Life-Balance keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. 

Obwohl sich die Definition von Arbeit kulturell wie geschichtlich fortentwickelt und damit auch die Verhältnisbestimmung von Ruhe, bleibt dennoch die Grundidee bestehen: Ruhe und Arbeit gehören zusammen.

Die Erkenntnisse, die die Schüler:innen und Studierenden an diesem Tag gewannen, flossen in die Wanderausstellung „Marginalisiert und dennoch stark. Die Frauen im Stammbaum Jesu (Mt 1,1-17)“ ein. Gestaltet wurden drei neue Frauenfiguren: die Händlerin aus Spr 31, Maria und Marta. Als lebensgroße Pappfiguren, die ihre biblische Geschichte erzählen und Rätselaufgabe stellen, bereichern die drei Frauen das didaktische Programm der Ausstellung.  Erstmalig präsentiert wurden die neuen Frauengestalten in der Kirche St. Wigbert in Erfurt im Juli-August 2025. Derzeit warten sie darauf, weitere Reisen zu neuen Ausstellungsorten anzutreten.

Cornelia Aßmann war von 2018 bis 2025 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Exegese und Theologie des Alten Testaments. Mehr Informationen zu ihrer Forschung und Biographie finden Sie auf der Seite der Professur. 

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