Am 24. April 2025 veröffentlichte Patrick Chappatte eine Karikatur mit dem Titel „Der nächste Papst“ in der französischen Zeitung Le Monde, um die bevorstehende Wahl eines neuen Papstes zu kommentieren. Chappatte, ein libanesisch-schweizerischer Karikaturist, der 1967 in Pakistan geboren wurde und für seine Arbeiten in Publikationen wie Der Spiegel und der International Edition der New York Times bekannt ist, entwirft ein Bild, das sich hervorragend als Einstieg in eine Diskussion über das Verhältnis der katholischen Kirche zur Moderne eignet.
Die Karikatur präsentiert sich zunächst als einfacher satirischer Kommentar zum Zeitgeschehen. Drei Vertreter der katholischen Hierarchie, offensichtlich Kardinäle, beraten miteinander, was sie von einem Nachfolger für Papst Franziskus erwarten. Sie denken an „einen Papst der Reichen“, der „den Klimawandel infrage stellt“ und „antidemokratisch“ ist. Die als Titel über das Bild gesetzte Frage – „Kann die katholische Kirche mit der Zeit gehen und auf der Höhe der Zeit sein?“ – zielt offenbar darauf ab, dass ihre Überlegungen Ausdruck einer rückwärtsgewandten Haltung sind, die sich gegen Fortschritt und Moderne richtet.
Damit scheint die Karikatur auf den ersten Blick konservative Positionen innerhalb der römisch-katholischen Kirche zu adressieren und zu verspotten, die zentrale Anliegen von Papst Franziskus ablehnen, mit Fokus auf den Dienst an den Armen, den Einsatz für die Anliegen des Umweltschutzes und das Bemühen, Laien und Frauen mehr an der Leitung der katholischen Kirche zu beteiligen. Die Karikatur scheint zu suggerieren, dass „mit der Zeit zu gehen“ und „auf der Höhe der Zeit zu sein“ bedeutet, den eher progressiven Ansatz von Papst Franziskus fortzusetzen.
Blickt man länger auf die Karikatur und denkt man genauer nach, stellt sich eine tiefer gehende, mehr philosophische Frage: Was bedeutet es eigentlich in der gegenwärtigen Welt, „mit der Zeit zu gehen“ und „auf der Höhe der Zeit zu sein“? Wir leben nicht mehr in der Epoche der progressiven Reformen, die um das Zweite Vatikanische Konzil (1962–65) herum Gesellschaft und Kultur prägten, oder in einer Zeit, die weitgehend von einem liberalen Denken bestimmt ist. Wir erleben weltweit das Erstarken rechts-populistischer oder gar rechtsextremer Bewegungen, die Infragestellung demokratischer Normen, Ablehnung gegenüber Initiativen zum Klimaschutz und eine breite Preisgabe liberaler Werte, die einst als Errungenschaften und Kennzeichen eines unaufhaltsamen Fortschritts galten.
Zur gegenwärtigen politischen, kulturellen und sozialen Wirklichkeit gehören Strömungen, die Gleichheit, Integration, Frauenrechte, sexuelle Selbstbestimmung, Gendertheorien, soziale Gerechtigkeit und sogar die fundamentalen Menschenrechte, die Rechtsstaatlichkeit und die Grundsätze des Völkerrechts explizit ablehnen. Was einst als Ausdruck von Fortschritt galt, ist heute in vielen Gesellschaften weltweit ein umkämpftes Terrain.
Dadurch ergibt sich ein tiefgreifendes Dilemma, auch für die Kirche: Bedeutet „mit der Zeit zu gehen“, sich an diese neuen politischen und kulturellen Realitäten anzupassen? Oder bedeutet es, „mit dem Ohr am Puls der Zeit“ für Werte einzustehen, die einst als „fortschrittlich“ galten, deren Verteidigung jetzt aber den Widerstand gegen aktuelle Entwicklungen bedeutet?
Es dürfte sich lohnen, die Geschichte der Beziehung zwischen der katholischen Kirche und dem westlichen liberalen Denken genauer zu bedenken. Denn es ließe sich fragen, ob grundlegende Vorstellungen der Aufklärung und des modernen liberalen Denkens nicht auch Wurzeln in der intellektuellen Tradition der katholischen Kirche haben – angefangen etwa beim Naturrecht und der Menschenwürde bis hin zur vernunftbestimmten Forschung und zu allgemein gültigen Prinzipien von Moral und Ethik.
Die Kirche hat, nicht zuletzt in der Tradition der Scholastik, Formen des Rationalismus entwickelt und gepflegt, die später während der europäischen Aufklärung aufgenommen und weiterentwickelt wurden. Die Universitäten, die für die intellektuelle Entwicklung des Westens von zentraler Bedeutung waren, sind aus den mittelalterlichen Ausbildungseinrichtungen der Kirche hervorgegangen. In dieser Perspektive ließen sich viele Aspekte des modernen westlichen Liberalismus so verstehen, dass sie sich im Dialog mit den Traditionen der Kirche entwickelt haben. Auch wenn sie heute von der Kirche losgelöst sind, führen sie bestimmte Elemente einer gemeinsamen Geschichte fort.
Eine solche historische Verbindung legt nahe, dass die Kirche, wenn sie sich für Werte wie Menschenrechte, demokratische Prinzipien und dem Schutz von Klima und Umwelt einsetzt, sich nicht an äußere, ihr fremde politische und kulturelle Entwicklungen anpasst, sondern Überzeugungen anerkennt, die zutiefst mit ihrer eigenen jahrhundertealten Tradition verbunden sind.
Aus diesem Grund könnte man sagen, dass die Kirche, wenn sie sich für Aspekte des liberalen Westens einsetzt, in gewisser Weise für ihr eigenes intellektuelles und moralisches Erbe eintritt, nicht für etwas, das ihrer eigenen Tradition fremd ist.
Dies lässt sich mit einer Metapher aus dem Leben von Familien verdeutlichen und verstehen. Vielleicht könnte sich die Kirche mit den Prinzipien und Ideen des modernen demokratischen und liberalen Westens in der Weise auseinandersetzen, wie Eltern mit ihren erwachsenen Kindern umgehen, die eigene Vorstellungen und Perspektiven entwickelt haben. Wie kluge Eltern anerkennen, dass ihre erwachsenen Kinder Einsichten und Herangehensweisen entwickeln, die ihre eigenen Vorstellungen hinter sich lassen, könnte die Kirche anerkennen, dass das liberale Denken des Westens Grundsätze, die Wurzeln in der Tradition der Kirche haben, fortgeschrieben und dabei auf wertvolle Weise verfeinert und erweitert hat. Diese Sichtweise ermöglicht wechselseitiges Lernen und Respekt und kann die historische Zusammengehörigkeit anerkennen.
Aus dieser Sicht geht es bei der Auseinandersetzung der Kirche mit der Moderne weniger um eine kontinuierliche Anpassung an wechselnde politische und kulturelle Strömungen als vielmehr um eine überlegte sorgfältige Unterscheidung – um die stete Prüfung, welche Aspekte des zeitgenössischen Denkens mit der eigenen Tradition und den Grundprinzipien des Christentums übereinstimmen und welche nicht.
Echtes aggiornamento – Aktualisierung oder „Modernisierung“, ein Begriff, den Papst Johannes XXIII. während des Zweiten Vatikanischen Konzils als Teil der Reformagenda der katholischen Kirche in den frühen 1960er Jahren populär gemacht hat – erfordert mehr als nur eine einfache Anpassung an die vorherrschenden politischen und kulturellen Entwicklungen. Das Zweite Vatikanische Konzil versuchte, sich auf die moderne Welt einzulassen und gleichzeitig die grundlegenden Lehren der Kirche zu bewahren. Dieses Sich-Einlassen auf die Welt erfordert ein sorgfältiges Nachdenken darüber, welche Werte der modernen Welt man annehmen und welche man ablehnen sollte.
Die Kirche hat zu Recht damit begonnen, „mit der Zeit zu gehen“ und sich der modernen Welt zu öffnen. Wenn jedoch zu den aktuellen Trends heute eine Bewegung in Richtung Autoritarismus, Ungleichheit oder Einschränkung der Menschenwürde gehört, dann könnte „mit dem Ohr am Puls der Zeit“ bedeuten, den wechselnden Strömungen der Zeit zu widerstehen und bewusst in prophetischer Opposition bestimmten Aspekten der heutigen Zeit entgegenzutreten.
Die Beziehung zwischen der Kirche und dem modernen Westen ist nicht nur in eine Richtung gerichtet und kann und wird dies auch niemals sein. Beide haben sich in wechselseitiger Beeinflussung entwickelt, wobei Einsicht und Verständnis in beide Richtungen fließen. Die Kirche hat sich durch die Auseinandersetzung mit dem modernen westlichen Denken gewandelt, während der liberale demokratische Westen unterschiedliche Aspekte seines religiösen Erbes sowohl angenommen als auch abgelehnt hat.
Die Karikatur lässt an eine faszinierende historische Umkehr denken: Die katholische Kirche, die lange in Opposition zu zahlreichen Aspekten der Moderne in der westlichen Welt stand, könnte heute als Institution eine der einflussreichsten Verteidigerinnen der freiheitlichen demokratischen Werte des Westens werden, und zwar genau in dem Moment, in dem die Geltung und Akzeptanz dieser Werte vor der größten Herausforderung stehen.
Dies führt zu einer tiefgreifenden Frage zur Zukunft der Kirche: Wenn die Kirche feststellt, dass bestimmte Aspekte der liberalen westlichen Demokratie grundlegende Wahrheiten über die Würde des Menschen widerspiegeln, die sich aus ihrer eigenen theologischen Tradition ableiten, dann muss sie dazu kommen, diese Werte unabhängig von den wechselnden politischen und kulturellen Strömungen zu verteidigen – nicht, weil sie „modern“ sind, sondern weil sie zutiefst wahr sind.
In diesem Licht bedeutet „mit der Zeit gehen“ weniger, der politischen und kulturellen Mode zu folgen, sondern vielmehr, beständige Wahrheiten inmitten der sich wandelnden Zeiten zu erkennen – ein weitaus komplexeres Unterfangen, als Chappattes Karikatur zunächst vermuten lässt, aber eines, das zum Kern der Mission der Kirche in der Welt gehört.
Hier zeigt sich die besondere Qualität von Chappattes Karikatur. Was zunächst als einfache satirische Kommentierung zur Kirchenpolitik nach dem Tod von Papst Franziskus erscheint, öffnet die Tür zu tiefgründigen Fragen über das Verhältnis der Kirche zur Moderne, ihre historische Rolle bei der Ausbildung der westlichen Werte und ihre bleibende Verantwortung, beständig zu prüfen, welche Aspekte und Überzeugungen der zeitgenössischen Kultur zu übernehmen oder abzulehnen sind.
Der Wert der Karikatur liegt genau darin, dass sie dazu anregt, über ein oberflächliches Verständnis dessen hinauszugehen, was „mit der Zeit zu gehen“ und „auf der Höhe der Zeit zu sein“ für eine Institution mit der komplexen Geschichte und Mission der katholischen Kirche bedeuten könnte. Indem sie Kirchenvertreter zeigt, die eine Weichenstellung in Erwägung ziehen, die im Widerspruch steht zu Franziskus’ Option für den Dienst an den Armen, den Klimaschutz und demokratische Werte, fordert sie heraus, darüber nachzudenken, welche Grundsätze die Kirche bei ihrem Engagement in einer sich verändernden Welt leiten sollten.
Auf diese Weise kann die Karikatur, die auf den ersten Blick nur satirisch das Zeitgeschehen kommentieren will, zu einem Katalysator werden für ein weiterführendes Nachdenken über religiöse Reformen, kulturellen Wandel und das komplexe Zusammenspiel zwischen Tradition und Innovation, das alle Institutionen – insbesondere solche mit der langen Geschichte und der Bedeutung der katholischen Kirche – meistern müssen. Der Beitrag der Karikatur liegt freilich nicht darin, Antworten zu liefern, sondern dazu anzuregen, grundlegende Fragen zu stellen, mit denen sich sowohl die Anhänger einer Religion als auch die breitere Gesellschaft beständig auseinandersetzen müssen.
Hinweis: Diese Überlegungen entstanden im Austausch mit Claude, einem KI-Assistenten von Anthropic. Claude half dabei, meine Gedanken zu Chappattes Karikatur zu sammeln, zu organisieren und zu verfeinern, um ihre philosophische Bedeutung im Hinblick auf das Verhältnis der katholischen Kirche zur Moderne hervorzuheben.
Thomas Johann Bauer ist Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments an unserer Fakultät. Mehr Informationen zu seiner Forschung finden Sie auf der Seite der Professur.