Wo Angst entsteht: "Theologie im Gespräch" debattiert über Ursachen extremistischer Haltungen

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Blick in den Festsaal des Erfurter Rathauses auf das Publikum und die Moderator*innen der Podiumsdiskussion "Theologie im Gespräch"

Fremdenfeindlichkeit, Abschottung, Populismus – Wieso verfallen gefühlt immer mehr Menschen in extremistische Haltungen? Was treibt sie an? Wo entstehen Ängste? Darüber debattierten am 21. November die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Podiumsdiskussion “Theologie im Gespräch” im Erfurter Rathaus.

“Ich bin überzeugt, wir brauchen Visionen!” Mit diesem Statement eröffnete Prof. Dr. Dr. Thomas Johann Bauer, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, den zweiten Diskussionsabend im Rahmen der Veranstaltungsreihe “Theologie im Gespräch”.

Wie schon bei der Eröffnungsveranstaltung zwei Wochen zuvor war der Festsaal des Erfurter Rathauses gut besucht. Mehr als 100 Gäste hatten sich eingefunden, um mit der ehemaligen Bundesministerin für Bildung und Forschung Annette Schavan (CDU), den Landtagsabgeordneten Astrid Rothe-Beinlich (Bündnis 90/Die Grünen) und Christian Schaft (Die Linke) sowie dem Moraltheologen Prof. Dr. Josef Römelt und dem Religionsphilosophen Prof. em. Dr. Eberhard Tiefensee von der Universität Erfurt über die Frage “In was für einer Welt wollen wir leben?” zu diskutieren.

"Unerhörte Spaltungsversuche"

Moderiert von Dr. Stefan Orth, stellvertretender Chefredakteur der Herder Korrespondenz, knüpfte der Abend an die Diskussion um Haltungen und Wertvorstellungen an, wie sie bereits von den Referentinnen und Referenten der vorausgegangenen Podiumsdiskussion am 7. November thematisiert worden waren.

“Wir leben in einer Zeit, in der vieles was schon erreicht war, wieder gespalten wird”, monierte etwa Annette Schavan. Sie sah Christinnen und Christen dabei in der besonderen Rolle, eine starke Stimme der Solidarität in die Gesellschaft einzubringen. Man müsse Haltung zeigen und sich gegen unerhörte Spaltungsversuche zur Wehr setzen.

Ähnlich fuhr Landtagsabgeordnete Astrid Rothe-Beinlich fort. Sie erinnerte sich an ihre Jugend als Christin in der DDR: “Ich war damals Teil einer kirchlichen Oppositionsbewegung, die für Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit eingetreten ist. Ich hätte nie erwartet, dass diese hart erkämpften Rechte 30 Jahre später wieder zur Debatte stehen.”

Ängste nicht verurteilen, sondern ernst nehmen

In diesem Kontext formulierte der Moraltheologe Josef Römelt den Apell, Anhängerinnen und Anhänger extremistischer Gesinnungen nicht pauschal zu verurteilen. Stattdessen gelte es, die Ursachen für ihre Haltung, die Ängste, die sie antrieben, zu hinterfragen: “Es ist mir wichtig, dass wir die Angst nicht verteufeln, sondern sie ernst nehmen auf unserer Spurensuche.”

Extreme Profile versprächen Identifizierung und Halt, die den Menschen an anderer Stelle heute fehle, so Römelt weiter. Der geweihte Priester entlarvte in aktuellen Entwicklungen damit auch ein markantes Versagen der Kirchen, indem er die Frage aufwarf: “Was machen wir in unseren Kirchen falsch, dass die Menschen sich heute so boden- und haltlos fühlen?”

Der Mensch als Mängelwesen

Religionsphilosoph Eberhard Tiefensee knüpfte an diese Überlegung an: “Wir sind nicht in der Lage, diese Ängste wegzunehmen.” Angst sei nichts Rationales und gleichzeitig doch zutiefst menschlich und überlebensnotwendig. Gefördert werde sie durch soziale Unsicherheiten und Unwissenheit, ergänzten Christian Schaft und Astrid Rothe-Beinlich. An die Politik und auch die Kirchen gewandt formulierte Tiefensee die Forderung, den Menschen wieder beizubringen “mit ihrer natürlichen Angst zu leben.”

Unter diesem Gedanken mahnte der Theologe abschließend, Menschen, die von Ängsten getrieben seien, keinesfalls als “defizitär” wahrzunehmen. Selbiges gelte für den Umgang mit Menschen anderer Konfessionen oder jenen, die frei von jeglichem Glaubensbekenntnis lebten. “Jeder von uns ist ein Mängelwesen. Wir sollten uns diese Mängel nicht gegenseitig um die Ohren hauen!”


Bericht & Fotos: Desiree Haak

Weitere Informationen zur Veranstaltung:

Die Veranstaltungsreihe “Theologie im Gespräch” wurde im November 2018 erstmals von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, unter Leitung des Dekanats und des Projektes Wissenstransfer, in Kooperation mit dem Katholischen Forum im Land Thüringen durchgeführt. Aufgrund der regen Nachfrage ist eine Fortsetzung des Formates für das Jahr 2019 geplant. Über künftige Veranstaltungen informiert der Newsletter der Katholisch-Theologischen Fakultät.