1 Projekt – 150 Perspektiven: Willy Brandt School-Studierende erarbeiten Konzepte zur Arbeitsmigration

On Campus
Das Gebäude der Willy Brandt School der Universität Erfurt

Das Wort "Kleinstadtregion" bedeutet wörtlich erst einmal – klar: die Region um eine Kleinstadt. Ein eher ländlicher Ort, der Gegensatz zur Großstadt. Welche persönlichen Assoziationen jedoch mit "Kleinstadtregion" einhergehen, das hängt ganz vom kulturellen Hintergrund und den Lebenserfahrungen ab: von weiten Feldern und verstreuten Dorfgemeinden bis hin zur Kleinstadt mit schwacher Infrastruktur könnte alles dabei ein. So breit fächerten sich zumindest die Vorstellungen der zehn internationalen Studierenden der Willy-Brandt-School of Public Policy der Universität Erfurt, die in diesem Semester an dem Praxisprojekt "150 Perspektiven – Migration und Regionalentwicklung in Thüringen am Beispiel der Stadt Zeulenroda-Triebes" teilnehmen. Zeulenroda-Triebes ist definitiv keine Großstadt, keiner der Projektteilnehmer kannte den Ort zuvor. Er muss also irgendwie ländlich sein. Studentin und Weltenbummlerin Frederike, selbst aus einer deutschen Kleinstadt im Sauerland stammend, versuchte deshalb, die Projektgruppe auf die ländliche Kleinstadt einzustimmen, die sie aus der eigenen Heimat kannte. Was das Team letztlich aber bei seinem ersten Besuch in Zeulenroda-Triebes vorfand, überraschte alle – positiv.

"Ich hatte schon erwartet, dass es dort sehr ruhig sein wird, klein und niedlich", erzählt die US-Amerikanerin Heather. Sie ist wie Frederike eine der Studierenden, die sich in diesem Semester für das Praxisprojekt mit der Kleinstadt Zeulenroda-Triebes entschieden hat. Heather verbrachte in ihrer Kindheit fünf Jahre in Österreich. Ihren Bachelor absolvierte sie zunächst in der Heimat USA, das international ausgelegte Master-Programm Public Policy an der Willy Brandt School lockte sie dann aber doch wieder zurück in die deutschsprachige Region. "Kleine und niedliche" deutsche Städte kannte sie im Gegensatz zu einigen ihrer Kommilitonen zum Beispiel aus Afghanistan, Guatemala, Malaysia oder Mexiko also bereits. "Klein und niedlich war der Ort dann auch", sagt sie. "Überrascht haben mich daher vor allem die schöne Umgebung des Ortes und die Menschen dort. Sie sind sehr aufgeschlossen und freundlich, viele sprechen Englisch." Frederike, die lange in den USA, in Tschechien und den Niederlanden studiert und gearbeitet hat, nickt zustimmend und fügt hinzu: "Zudem fanden wir entgegen unserer Erwartungen eine industriell gut entwickelte Stadt vor, mit einer sehr aktiven Infrastruktur und vielen sogenannten 'hidden champions', also Firmen, die in ihrem kleinen Sektor weltführend sind." Eine wunderbare Grundlage also für ein Praxisprojekt wie "150 Perspektiven". Dieses startete als Weiterführung einer Master-Arbeit, die eine Brandt-School-Studentin im vergangenen Jahr ablegte. Ihren Ergebnissen und Empfehlungen sollen nun ergänzend weitere, internationale Perspektiven gegenübergestellt werden. Ziel ist es, die Potenziale des Ortes Zeulenroda-Triebes so zu nutzen, dass der Ort für Fachkräfte und Auszubildende attraktiv ist. Eine städtische Willkommenskultur soll jedes Jahr 150 junge Europäer in die Kleinstadt locken und ihnen eine Lebens- und Arbeitsperspektive bieten. "Es soll eine Art Campus entstehen, kein klassischer Uni-Campus, eher im übertragenen Sinne, der Campus als Lebensraum mit einem Begegnungscenter und Möglichkeiten, wo Menschen – Bürger, Migranten, Auszubildende – miteinander in Kontakt kommen können, zum Beispiel um neue Ideen zu entwickeln", erklärt Frederike. "Außerdem ist der Ort ein Kandidat für die Internationale Bauausstellung IBA und er hat das Zeug, zum tatsächlichen IBA-Standort zu werden. Auch das soll mit unseren Analysen und Ergebnissen angestoßen werden." Um das zu erreichen, haben sich die Projektteilnehmer, die von drei Kontinenten und aus insgesamt neun Ländern stammen, in Gruppen aufgeteilt, die unterschiedliche Teilaufgaben bearbeiten. In den vergangenen Wochen haben sie so gruppenweise Informationen gesammelt und in wöchentlichen Treffen des Seminars diskutiert und ausgewertet. "Jetzt beginnt die Zusammenführung unserer Ergebnisse und die Formulierung von Empfehlungen. Für unseren Klienten, also die Stadt Zeulenroda-Triebes, fassen wir diese dann in einem Projektdossier zusammen", erzählt Frederike. Und eine ihrer Empfehlungen kann sie auch schon verraten: "Die Stadt ist familienfreundlich, bietet viele Outdoor- und sehr gute Karrieremöglichkeiten sowohl für Auszubildende als auch für Berufserfahrene. Eine Empfehlung ist es deshalb, sich auch genau an diese Zielgruppen zu wenden: junge Familien, Outdoor-Fans, Fachkräfte."

Was allerdings mit dieser und den weiteren Empfehlungen von Frederike, Heather und ihren Mitstreitern passiert, hängt letztlich von der Stadt und der Landesentwicklungsgesellschaft ab. "Wir hoffen natürlich, dass viele unserer Ideen umgesetzt werden", sagt Heather, "dass Zeulenroda-Triebes IBA-Standort wird und langfristig deutschlandweit als Pilotprojekt Vorbild für andere Arbeitsmigrationsprojekte wird". Darauf haben die Studierenden allerdings kaum noch Einfluss, denn mit Abgabe des Projektdossiers Anfang Februar endet für die Brandt-School-Studierenden auch offiziell das Projekt. Gelernt haben sie bis dahin aber schon eine Menge – nicht nur wie schwierig es ist, verschiedene kulturelle und akademische Hintergründe, Arbeitsweisen und Perspektiven unter einen Hut zu bringen, sondern auch viel über Projektmanagement: Planung, Abschätzung von Möglichkeiten, Recherche, Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen, langfristige und kurzfristige Ziele – und nicht zuletzt, wie viel Potenzial eine Kleinstadtregion haben kann. Heather und Frederike haben hier viele neue Kontakte geknüpft, die sie auch weiterhin aufrechterhalten wollen. Und sie wollen natürlich auch wissen, was aus ihren Ideen wird. "Es bleibt jedem Projektteilnehmer ja selbst überlassen, wie sehr er oder sie die Entwicklung von Zeulenroda-Triebes weiterverfolgt. Für uns beide steht aber fest: Das Ende unseres Semesterprojektes ist für uns nicht der Schlusspunkt." 


Übrigens: Frederike und Heather sind auch an euren Perspektiven interessiert. Kommt ihr aus einer Kleinstadtregion wie Zeulenroda-Triebes und könnt erzählen, welche Maßnahmen es dort gibt? Oder nehmt ihr auch gerade an einem spannenden Praxisprojekt teil? Die beiden tauschen sich gern mit euch aus! Kontakt: heather.mac_donald@uni-erfurt.de