Frontalunterricht oder Kooperatives Lernen – Was schafft mehr Medienkompetenz?

Zwischen Mensa und Hörsaal
Gruppenbild der Studierenden mit ihren Dozenten

Dass man bereits im Bachelor-Studium an eigenen Forschungsprojekten arbeiten kann, ist eine Besonderheit im Studium der Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt. In der sogenannten Projektstudienphase, einem einzigartigen Konzept im deutschen Lehrbetrieb, wenden Studierende ein Jahr lang in kleinen Gruppen ihr im Studium erworbenes Wissen zur Lösung von realen oder realitätsnahen Problemstellungen innerhalb der Kommunikationswissenschaft an. Projektpartner sind dabei Medien- und Wirtschaftsunternehmen sowie öffentliche Institutionen und Organisationen. Die Projektstudienphase liefert zugleich interessante Einblicke in eine mögliche wissenschaftliche Karriere. Dass die Studierenden dabei auch schon publizieren, ist nicht selbstverständlich. Umso schöner, wenn sich ihnen doch die Chance dazu bietet. Wie bei Enikő Czentnár, Franka Bergmann, Lennart Zieger, Milena Stein, Julia Dötsch, und Lena Friedrich, die ihre gemeinsame Studie zum Thema Medienkompetenz jetzt im Open-Access-Journal "kommunikation.medien" veröffentlicht haben. Wir stellen sie hier in Auszügen vor…

Wie können Gymnasiast*innen für Desinformationen und Deepfakes sensibilisiert werden? Das haben sich die sechs Studierenden der Kommunikationswissenschaft gefragt und sich auf die Suche nach Antworten begeben. Mit Hilfe eines quasi-experimentellen Ansatzes mit Vorher-Nachher-Befragungen und Gruppendiskussionen sind sie der Frage nachgegangen, wie sich Frontalunterricht und Kooperatives Lernen auf das Medienwissen und die kritische Bewertungsfähigkeit von Schüler*innen der 9. und 11. Jahrgangsstufe auswirken. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass Desinformationen im digitalen Zeitalter immer mehr zuzunehmen scheinen. Dabei sind neben manipulierten Bildern, die durch das Hinzufügen und Entfernen von Objekten aus dem Kontext gerissen werden, vermehrt gefälschte audiovisuelle Inhalte zu finden, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) erstellt werden. Denn KI ermöglicht sogenannte Deepfakes, also die gezielte Manipulation von Bild-, Audio- und Videodateien. Damit hebt KI die Produktion und Verbreitung von Desinformationen auf eine neue Ebene, auf der manipulierte Informationen und Inhalte ständig präziser werden. Nun können auch Amateur*innen immer realistischere Video-Täuschungen erstellen. 

Ein solcher Missbrauch von Informationen untergräbt jedoch das Vertrauen der Bevölkerung in die Medien, das sie aber zur Orientierung im demokratischen Diskurs benötigen. Insbesondere in Krisensituationen spielen die Massenmedien eine große Rolle, denn ihre Darstellung von Konflikten kann einen Einfluss darauf haben, wie Beteiligte handeln. Da sich die Gesellschaft durch Unsicherheiten gerade in diesen Zeiten besonders intensiv an den Medien orientiert, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, durch diese manipuliert zu werden. Dieses Szenario lässt sich am Krieg in der Ukraine und Russland verdeutlichen, in dessen Zuge Deepfakes als strategisches Mittel verwendet werden, um die ukrainische Bevölkerung zu täuschen, zu manipulieren und sie somit dazu zu bringen, aufzugeben. Auch der frühere Bundeskanzler Olaf Scholz wurde im November 2022 Opfer eines Deepfakes russischer Programmierer*innen. In diesem vermeintlichen Video bedauerte er es, russisches Gas aufgegeben zu haben. Täuschungsversuche und Manipulationen könnten in Zukunft zur Normalität werden. Deshalb werden Deepfakes von Fachleuten aktuell als eine der größten Gefahren im Bereich der Desinformation und des Missbrauchs neuer Technologien der Künstlichen Intelligenz (KI) eingestuft. 

Nun kursieren gefälschte Inhalte besonders häufig in sozialen Medien, die wiederum insbesondere von Jugendlichen genutzt werden: So sind laut dem Digital News Report 2024 Online-Plattformen für die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen die erste Wahl für den Nachrichtenkonsum. Darüber hinaus ist auch in der Altersklasse der 14- bis 29-Jährigen mit 64 Prozent eine besonders hohe Nachrichtennutzung in den sozialen Medien zu verzeichnen. Gleichzeitig sind gerade junge Menschen anfälliger für Desinformationen, da ihre Wertvorstellungen noch nicht vollständig entwickelt und sie somit leichter zu manipulieren sind. Medienkritische Kompetenzen können sich je nach Alter und Sozialisationsbedingungen unterschiedlich ausbilden und darstellen, weshalb Jugendliche bereits im schulischen Kontext dabei gefördert werden müssen, Medieninhalte kritisch zu hinterfragen und einzuordnen. 

Aus diesen Erkenntnissen resultierte nun die forschungsleitende Fragestellung der Erfurter Studierenden: Welche mediendidaktischen Konzepte eignen sich, um Jugendliche an Gymnasien für Desinformationen zu sensibilisieren? Um darauf Antworten zu finden, stellen sie in ihrer Studie zunächst die Besonderheiten von Desinformation und Deepfakes dar und bringen sie in einen Zusammenhang mit Medienvertrauen, Medienbildung und Medienkompetenz. Anschließend stellen sie zwei mediendidaktische Konzepte vor: den Frontalunterricht und das Kooperative Lernen, die verschiedene Dimensionen von Medienkompetenz besonders gut fördern und im Zuge der Untersuchung in den Jahrgangsstufen 9 und 11 an zwei Gymnasien mit 156 Schüler*innen erprobt wurden. Vor und nach dem Workshop wurden die Schüler*innen dann befragt, um die Veränderungen ihres Wissens- und Bewertungsstandes zu erfassen. In einer anschließenden Gruppendiskussion mit jeweils vier Schüler*innen wurden die Workshops dann evaluiert. “Unser Ziel war es, herauszufinden, welches der Konzepte sich besser dafür eignet, den Jugendlichen beizubringen, Medieninhalte in Zukunft kritischer zu hinterfragen und sich von den zahlreichen Desinformationen und Deepfakes, die im Internet kursieren, weniger beeinflussen zu lassen”, erläutern die Erfurter Studierenden. Mit diesem Ansatz verbindet ihre Studie mediendidaktische Konzepte mit kommunikationswissenschaftlichen Perspektiven auf Medienrezeption und Desinformationen und wählt einen bislang wenig untersuchten, interdisziplinären Zugang. Sie liefert Erkenntnisse zur Förderung kritischer Medienkompetenz im schulischen Kontext und behandelt aktuelle Herausforderungen wie Desinformationen, insbesondere KI-generierte Deepfakes, sowie das rückläufige Vertrauen in Medien.

“Im Ergebnis hat sich gezeigt, dass beide Unterrichtsformen das Wissen der Schüler*innen um etwa fünf Punkte steigern, unabhängig von der Klassenstufe. Wenn es jedoch darum geht, Informationen kritisch zu bewerten, wirkt Kooperatives Lernen bei Neuntklässler*innen stärker als Frontalunterricht." So hätten sich die Konzepte in der Klassenstufe 11 weitgehend angeglichen. Unterschiede zwischen den beiden Schulen lassen laut der Studie vermuten, dass Faktoren wie das Engagement der vortragenden Person oder der Fachkontext Einfluss auf das Ergebnis haben. “Insgesamt bestätigen die Daten, dass Frontalunterricht und Gruppenarbeiten Wissen zuverlässig vermitteln, kooperative Settings aber gerade bei jüngeren Lernenden die kritisch-reflektierende Kompetenz stärker fördern.” Und diese Effekte wissenschaftlich breiter abzusichern, seien jedoch größere und vielfältigere Stichproben nötig.

Weiterlesen...

Wer mehr über die Studie “Medienkompetenzförderung und kritisches Denken. Wie können Jugendliche für Desinformationen und Deepfakes sensibilisiert werden?” erfahren möchte, kann sie im Journal “kommunikation.medien”, Jahrgang 2025, Heft 17, nachlesen.

Link zur Studie