Sprache als Fähigkeit zu handeln - In einem außerschulischen Sprachprojekt für Flüchtlingskinder erproben Studierende interkulturelle Lehrkompetenz

Engagement , On Campus
Eine Lehramtsstudentin unterrichtet ein Kind

Lehrerinnen und Lehrer stehen heute zunehmend einem anderen Klassenbild gegenüber als noch vor einigen Jahren. Schulen werden internationaler, multikultureller und stellen die Lehrenden vor neue Herausforderungen, deren Bewältigung bisher kaum Teil der Lehrerausbildung war. Wie integriere ich Kinder in den Klassenverband, die noch nicht angemessen Deutsch beherrschen? Wie erziele ich Unterrichtserfolge trotz Sprachbarriere? Wie können sich Kinder gleichzeitig sprachlich und fachlich weiterentwickeln? Und wie gehe ich auf kulturelle Unterschiede ein? Auch in der Lehrerausbildung der Universität Erfurt hatten solche Fragen lange Zeit wenig Relevanz. Geht es nach Prof. Dr. Dr. Csaba Földes, Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erfurt, sollte sich das jedoch schnellstmöglich ändern. In einem Sprachprojekt mit eingeschulten Flüchtlingskindern können seine Studierenden schon einmal erproben, wie sie auf deren besondere sprachliche Bedürfnisse eingehen können.

"Viele Erwachsene verfallen dem Irrtum, dass Kinder eine Sprache nur um ihrer selbst willen lernen wollen. Dabei ist Sprache für sie vielmehr Mittel zum Zweck. Ein Werkzeug zum Handeln, heißt: Sie erwerben eine Mutter- und eine Zweitsprache, um handlungsfähig zu sein", erklärt der Professor. "Nun zielt der schulische Kontext vor allem auf Wissensvermittlung. Sprache ist aber mehr, sie ist Identität, ist die Fähigkeit zu agieren. Der reguläre Unterricht kann diese sprachliche Handlungsfähigkeit aber nicht hinreichend vermitteln. Zwanglose außerschulische Angebote können das umso besser." An diesen Gedanken knüpft auch das Sprachprojekt an, das Csaba Földes gemeinsam mit dem Großelterndienst Erfurt e.V. ins Leben gerufen hat und das er fachlich leitet. Im Rahmen eines Praktikums betreuen dabei 12 Studierende etwa 30 Kinder – größtenteils aus Syrien – von sechs Erfurter Schulen. Zuvor hatten Földes und der Verein sowohl an Schulen als auch an der Universität zur Teilnahme an dem Projekt aufgerufen. Während manche Schulen verhalten reagierten, war der Germanistik-Professor jedoch von der Zahl der interessierten Studierenden überwältigt. "Wir hatten keine Vorstellungen, ob überhaupt jemand von unseren Studierenden mitmachen möchte, selbst, wenn sie dafür einen Praktikumsschein bekommen können. Aber es haben sich viele bereit erklärt, die das sogar ohne Schein, aus purem Engagement, machen wollten." Die ausgewählten Studierenden, die alle Germanistik und/oder Förderpädagogik studieren, geben nun in regelmäßigen Nachmittagseinheiten, bei denen auch je eine Großmutter teilnimmt, Einzel- und Kleingruppenunterricht, der den normalen Deutschunterricht ergänzt, sich aber auch bewusst von ihm abgrenzt. "Die Studierenden bringen die fachliche Kompetenz mit, die Großmütter eine zusätzliche soziale Kompetenz. Denn wir haben Wert darauf gelegt, dass dieser Unterricht Elemente der Sprachentwicklung mit spielerischen und Freizeitelementen paart und dass über diese Kombination auch das Gefühl des Willkommenseins vermittelt wird." Deshalb gibt es zwar eine Art Lehrplan und Unterrichtsmaterial für die Studierenden, was sie davon aber letztlich realisieren, bleibt ihnen überlassen. "Wir bieten ihnen eine Orientierung, aber keinen festen Plan, dem sie zwingend folgen müssen", erklärt Földes. "Das richtet sich stark nach den Bedürfnissen der Kinder." Und die unterscheiden sich bei ausländischen Kindern noch einmal stark von denen anderer nachhilfebedürftiger Kinder. Deshalb wird das Team aus Uni Erfurt und Großelterndienst e.V. von einer syrischen Englischlehrerin unterstützt, die die nötige kulturelle Kompetenz mitbringt und die den Studierenden in einer Auftaktveranstaltung grundsätzliche Informationen und Tipps zu den kulturellen Hintergründen der Kinder gegeben hat und auch während des Projektes als kulturelle Beraterin zur Verfügung steht. "Das beginnt ja schon bei den Keksen, die neben der Grundausstattung für den Unterricht Teil des Willkommenspakets der Schüler waren, bis hin zu den Möglichkeiten, wie unsere Studierenden beispielsweise das Taschengeld, das ihnen der Großelterndienst zur Verfügung stellt, für die Betreuung der Kinder ausgeben können. Hier sind kulturelle Erfahrungen bzw. Kompetenzen gefragt, die sich die Studierenden ja jetzt auch erst aneignen."

Solche kulturellen Kompetenzen sind auch zukünftig im Lehrerberuf gefragt. Globales Ziel von Csaba Földes ist es deshalb, ein Programm an der Universität Erfurt auf die Beine zu stellen, das langfristig auch Teil der Lehramtsausbildung in Erfurt werden soll. Wie das genau aussehen wird, ist noch zu besprechen, aber bis dahin hat Professor Földes schon einmal ein Zeichen gesetzt, mit einem Projekt, von dem schon jetzt Studierende, Schulen und natürlich die Flüchtlingskinder profitieren. Die erste Projektrunde endet im Januar, Földes ist sich aber sicher: Es wird weitergehen. Aufbauend auf dem Feedback der ersten Runde soll eine zweite Projektphase geplant werden. Bleibt zu hoffen, dass sich dann noch mehr Schulen trauen, teilzunehmen. Vielleicht überzeugen sie ja die Erfahrungsberichte der jetzigen Praktikanten, die neben der sprachlichen Weiterentwicklung bei den Flüchtlingskindern vor allem eines beobachten: tiefe Dankbarkeit.