Entwicklung von Entscheidungsstrategien über die Lebensspanne

Das Forschungsprojekt startete 2009 als Promotionsprojekt zum Thema „Entscheidungen bei Kindern: (Wie) Entwickeln sich Entscheidungsstrategien?“. Ziel ist die Untersuchung der Entwicklung von Informationssuche und -Integration bei multiattributiven Präferenzentscheidungen. Hierbei stellt sich besonders im Hinblick auf Kinder die Frage, wie diese mit multiplen Informationen umgehen können und wie stark dabei die unterschiedliche Relevanz von Informationen bei der Suche und Integration Berücksichtigung findet. Basierend auf der Annahme, dass die Prozesse der Informationssuche und -integration unterschiedliche Anforderungen an den Entscheider stellen, wird dabei eine differenzierte Betrachtung der Entwicklungs- bzw. Stabilitätspotentiale beider Prozesse vorgenommen.

Derzeit wird diese Entwicklungsperspektive auf die Betrachtung der gesamten Lebensspanne erweitert. Von Interesse ist dabei die Anwendung von Entscheidungsstrategien über die Lebensspanne. Erwerben wir ein immer größeres Set an Entscheidungsstrategien mit zunehmendem Alter? Können wir beim Treffen von Entscheidungen auf fundamentale, relativ altersunabhängige Prozesse zurückgreifen?

Die Gestaltung von Paradigmen, die sich für die Forschung über eine derart breite Altersspanne von der Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter eignen, nimmt einen zentralen Projektteil ein. Dies umfasst zum einen die Evaluation bestehender Paradigmen als auch die Entwicklung neuer Methoden.

Ausgewählte Forschungsergebnisse

Können Kinder viele Informationen integrieren um eine Entscheidung zu treffen?

Können Kinder viele Informationen berücksichtigen, wenn sie Entscheidungen treffen? Viele Entscheidungen im Alltag sind komplex. Um optimale Entscheidungen zu treffen, müssen viele Informationen in den Entscheidungsprozess integriert werden. Um zum Beispiel beim Schuhkauf die richtigen Schuhe auszuwählen, ist nicht nur wichtig, wie man die Farbe findet, sondern auch die Passung, das Material, die Funktionalität und letztendlich auch der Preis sollten berücksichtigt werden.

Wir übertrugen die Struktur solcher, sogenannter multi-attributiver Präferenzentscheidungen auf ein Entscheidungsspiel im Forschungslabor. Sechs– und 7-jährige, 8– bis 10-jährige und 11– und 12-jährige Kinder wählten zwischen zwei Sparschweinen dasjenige aus, mit dem sie am Ende der Studie gerne ihre Belohnungspreise einkaufen würden. Vor dieser Entscheidung konnten sie sich Informationen zu den Sparschweinen auf einer Art Spielbrett ansehen. Wir zeigen anhand dieses Entscheidungsspiels, dass Kinder ab sechs Jahren in der Lage sind, viele Informationen gleichzeitig zu berücksichtigen. Fragt man sie jedoch, wie sie das geschafft haben, können sie darüber nicht richtig Auskunft geben. Im Zusammenhang mit sehr kurzen Entscheidungszeiten bei Kindern legt das nahe, dass automatische Prozesse Kindern erlauben, gute und schnelle Entscheidungen zu treffen.

Artikel: Lindow, S., Lang, A., & Betsch, T. (2017). Holistic information integration in child decision making. Journal of Behavioral Decision Making, 30, 1131–1146. https://doi.org/10.1002/bdm.2029

Können Kinder gezielt nach den wichtigen Informationen suchen?

Schon sehr früh suchen Kinder nach Informationen, um die Welt um sie herum zu verstehen. Man kann beispielsweise beobachten, wie Kinder im Krabbelalter immer wieder aufs Neue Gegenstände zu Boden werfen und gespannt das Ergebnis beobachten. Unvergessen werden Eltern sicherlich auch die fast endlosen Warum-Fragen ihrer 4-Jährigen Kinder in Erinnerung bleiben. Diese Verhaltensweisen sind Beispiele für die ganz natürliche Suche von Kindern nach Informationen. Doch darüber, ob es sich hierbei immer um einen wahllosen Sammelprozess handelt oder auch Kinder gezielt die wichtigen Informationen aufsuchen können, gibt die bisherige Forschung ein inkonsistentes Bild. Dies ist auch dadurch begründet, dass Informationssuche selten einen Selbstzweck erfüllt, sondern eher als ein Teilprozess einer größeren Aufgabe wie beispielsweise dem Lösen von Problemen oder dem Entscheiden verstanden werden muss. Dadurch wird Informationssuche in ganz unterschiedlichen Teilbereichen der Forschung und eingebettet in unterschiedlichste Aufgaben untersucht.

In einem neuen Informationssuchspiel, dem „Finde das Geschenk!“ Spiel, begaben sich 5- und 6-jährige und 9- und 10-jährige Kinder auf die Suche nach einem Geschenk. Dieses war in einer von drei Schachteln versteckt. Vier Informationskarten verrieten den Kindern, in welcher Schachtel das Geschenk versteckt ist. Die Informationskarten waren unterschiedlich informativ – bspw. halfen manche Karten gar nicht weiter, während andere Karten genau die Geschenkschachtel verrieten. Dieses Informationssuchspiel wurde mit dem Ziel entwickelt, eine möglichst einfache Suchaufgabe zu gestalten. Damit können die Grundfähigkeiten von Kindern gezielt untersucht werden. Die Daten zeigen, dass auch wenn 9- und 10-jährige Kinder die Suchaufgabe besser bewältigen als die Jüngeren, können auch 5- und 6-jährige Kinder sehr gezielt nach Informationen suchen und die Geschenk-Aufgabe gut meistern. Allerdings sind sie besonders erfolgreich, wenn die Aufgabe ganz einfach ist, indem z.B. nur eine Informationskarte informativ ist.

Diese Erkenntnis ist wichtig, denn sie zeigt, dass wir bereits Kindern im Alter von 5 und 6 Jahren zutrauen können, sich selbstständig einen guten Überblick über die Situation zu verschaffen. Um allerdings genau einschätzen zu können, wann wir ihnen vertrauen können und wann sie auf unsere Unterstützung angewiesen sind, benötigen wir noch ein besseres Verständnis der Faktoren, die dies beeinflussen.

Artikel: Lindow, S. (2021). On searching and finding: The development of information search abilities. Cognitive Development. https://doi.org/10.1016/j.cogdev.2021.101011

Was uns eine Lebensspannenperspektive bei der Entscheidungsforschung bringt – oder – Wie verändert sich das Entscheiden im Laufe des Lebens?

Verschiedene Situationen erfordern unterschiedliche Vorgehensweisen beim Entscheiden. In zwei Studien und einer Reanalyse einer Datensammlung aus unserem Forschungsprojekt betrachten wir die Entwicklung adaptiven Entscheidens (querschnittlich) über die Lebensspanne.

In der ersten berichteten Studie spielten Viertklässler, jüngere Erwachsene im Alter von 20 bis 39 Jahren und ältere Erwachsene über 60 Jahren das Sparschwein-Entscheidungsspiel. Zudem wurde kristalline Intelligenz mittels Wortschatztest erfasst. Es zeigte sich, dass alle Altersgruppen gute Entscheidungen trafen und ihre Informationssuche an die Aufgabenstruktur der Entscheidung anpassen konnten. Auffällig waren allerdings alterstypische Verhaltensweisen auf der Prozessebene. Ältere Erwachsene, und zwar besonders jene mit niedriger kristalliner Intelligenz, zeigten Schwierigkeiten bei der Vernachlässigung irrelevanter Informationen und suchten übermäßig viele Informationen bevor sie ihre Entscheidung trafen. Da eine informationsintensive Herangehensweise in der vorliegenden Studie durchaus auch gute Entscheidungsergebnisse ermöglichte, konnten ältere Erwachsene in unserer Studie eine hohe Entscheidungsqualität erzielen. Allerdings war diese informationsintensive Herangehensweise nicht für alle Aufgaben notwendig. Für die anderen untersuchten Altersgruppen zeigte sich dementsprechend auch eine informationssparsamere Herangehensweise. Die gefundenen Altersunterschiede im Prozess des Entscheidens könnten dadurch erklärt werden, dass mit dem Alter der Aufwand, der mit Planungsaktivitäten im Entscheidungsprozess einhergeht, eine andere Bedeutung erhält. Studie 2 deutet darauf hin, dass Altersunterschiede bei der Einschätzung der Entscheidungssituation und der damit verbundenen Auswahl an Strategien eine Rolle spielen könnten.

Im Gegensatz zu den älteren Erwachsenen zeigten die in unserer Studie untersuchten Kinder und jüngeren Erwachsenen eine eher sparsame Herangehensweise an die Informationssuche. Die Reanalyse eines aus den Projektstudien zusammengeführten Datensatzes erlaubt eine über die vorliegende Studie hinausgehende Betrachtung der Kindheit von dritter bis sechster Klassenstufe. Unsere Renanalyse macht Entwicklungspotential im Laufe der Kindheit deutlich. Die größte Herausforderung bei der Entwicklung adaptiven Entscheidens scheint die Fähigkeit zu sein, systematisch eine gute Informationsauswahl zusammenstellen zu können. Sobald Kinder diese Herausforderung meistern können, können sie ihre informationssparenden Entscheidungsstrategien effektiv für gute Entscheidungen einsetzen.

Insgesamt verdeutlicht unsere Arbeit, dass der direkte Vergleich von Entscheidungsverhalten über eine möglichst breite Altersrange einen wertvollen Beitrag für das Verständnis von Entwicklungsverläufen leisten kann.

Artikel: Lindow, S., & Lang, A. (2021). A lifespan perspective on decision-making: A cross-sectional comparison of middle childhood, young adulthood, and older adulthood. Journal of Behavioral Decision Making. Advance online publication. https://doi.org/10.1002/bdm.2268

Forschungsparadigma: Entscheidungsspiel "Sparschweine"

Das Sparschweinspiel ist ein Entscheidungsspiel zur Untersuchung von Entscheidungsverhalten bei Kindern und Erwachsenen, das ähnlich dem „Mouselab“ Paradigma (Payne, Bettman, & Johnson, 1988) aus der Entscheidungsforschung mit Erwachsenen gestaltet wurde.

Die Aufgabe im Sparschweinspiel besteht darin, sich für eines von mehreren Sparschweinen zu entscheiden. Diese Sparschweine enthalten unterschiedlich viel Spielgeld. Man kann herausfinden, was die Sparschweine enthalten, indem man Türen auf einem Spielbrett öffnet, hinter denen sich Informationen zum Inhalt verbergen. Doch welche Türchen sind wirklich wichtig, welche weniger wichtig? Und welches Sparschwein ist das Beste? Die Versuchspersonen können das in ihrem ausgewählten Sparschwein enthaltene Spielgeld am Ende des Spieles gegen Preise eintauschen.

Mit diesem Entscheidungsspiel kann untersucht werden, wie die Versuchspersonen beim Treffen von Entscheidungen mit verschiedenen Informationen umgehen und ob sie diese gezielt suchen können. Im Unterschied zum Schatzsuchespiel, das wir in unserem DFG-Projekt entwickelt haben, können mit dem Sparschweinspiel sichere Präferenzentscheidungen untersucht werden, für die kein Verständnis von Wahrscheinlichkeiten erforderlich ist. Durch die einfache, bildbasierte Darstellung kann das Sparschweinspiel schon bei Kindern ab dem Vorschulalter verwendet werden. Der Entscheidungskontext des Einkaufens von Preisen erlaubt zudem eine Verwendung bis ins hohe Erwachsenenalter.

Forschungsparadigma: Informationssuchspiel "Finde das Geschenk!"

Mit dem Spiel „Finde das Geschenk“ wird untersucht, ob Kinder gezielt nach Informationen suchen können. Das Spiel wurde auf Grundlage etablierter Informationssuche-Paradigmen aus verschiedenen Domänen wie bspw. der Problemlöse-, Lern- und Entscheidungsforschung entwickelt.

Im Spiel „Finde das Geschenk!“ werden den Kindern drei verschlossene Schachteln vorgelegt. In einer der Schachteln ist ein Geschenk versteckt. Wenn die Kinder dieses finden, dürfen sie es behalten. Für diese Aufgabe können die Kinder bis zu vier Informationskarten umdrehen, die ihnen etwas über das Aussehen der Schachtel mit dem Geschenk verraten. Auf jede der vier Ecken der Schachteln ist ein Bild geklebt. Jeweils eine Informationskarte verrät das Bild auf einer der Ecken. Durch unterschiedliche Konstellationen der Bilder auf den Schachteln, sind die Informationskarten unterschiedlich aussagekräftig. Manche Informationskarten sind z.B. völlig unwichtig, da alle drei Schachteln in der entsprechenden Ecke das gleiche Bild aufweisen.

Ziel bei der Entwicklung dieses Spieles war es, in einer möglichst einfachen Suchumwelt trotzdem alle Teilschritte einer systematischen Informationssuche untersuchen zu können. Zentral ist dabei die Frage, ob Kinder bei Ihrer Suche berücksichtigen können, dass Informationen unterschiedlich wichtig sind. Durch die sehr einfache, bildbasierte Darstellung kann das Informationssuchspiel schon bei Kindern ab dem Vorschulalter verwendet werden.

Publikationen

Lindow, S., & Lang, A. (2021). A lifespan perspective on decision-making: A cross-sectional comparison of middle childhood, young adulthood, and older adulthood. Journal of Behavioral Decision Making. Advance online publication. https://doi.org/10.1002/bdm.2268

Lindow, S. (2021). On searching and finding: The development of information search abilities. Cognitive Development. https://doi.org/10.1016/j.cogdev.2021.101011

Lindow, S., & Betsch, T. (2019). Children's adaptive decision making and the costs of information search.  Journal of Applied Developmental Psychology, 60, 24–34. https://doi.org/10.1016/j.appdev.2018.09.006

Lindow, S., & Betsch, T. (2018). Child decision-making: On the burden of predecisional information search. Journal of Cognition and Development, 19, 137–164. https://doi.org/10.1080/15248372.2018.1436057

Lindow, S., Lang, A., & Betsch, T. (2017). Holistic information integration in child decision making. Journal of Behavioral Decision Making, 30, 1131–1146. https://doi.org/10.1002/bdm.2029

Lindow, S. (2014). Entscheidungen bei Kindern: (Wie) Entwickeln sich Entscheidungsstrategien?. Göttingen: Optimus.

Beteiligte Wissenschaftler