„Karten produzieren, Wissen verkaufen“ – Arbeitsstelle Verlagsgeschichte

Bilder (v.l.n.r): Darstellung des Verlagsgebäudes 1822-1856; Teilgrundriss der Verlagsanstalt (Petermanns Geographische Mitteilungen 2/1911, Tafel 21); Messefotographie des VEB Hermann Haack 1965 (Sammlung Perthes der Forschungsbibliothek Gotha, SPA-BA).

Gemeinsam getragen durch das Forschungskolleg Transkulturelle Studien und die Sammlung Perthes (Forschungsbibliothek Gotha) rückt die Arbeitsstelle „Verlagsgeschichte“, am Forschungscampus Gotha die „lange Geschichte“ des 1785 gegründeten Verlagshauses Justus Perthes Gotha und seiner Nachfolger in den Mittelpunkt der Forschung. Das Ziel ist es, die Geschichte der Gothaer Verlagsproduktion künftig aus einer Vielzahl von Perspektiven genauer zu erkunden, schließlich birgt die herausragende Gothaer Überlieferung eine Fülle an Forschungspotentialen. Das Verlagsarchiv wurde 2003 vom Freistaat Thüringen mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder erworben und ist als Sammlung Perthes (Forschungsbibliothek Gotha) zugänglich.

Die Arbeit fokussiert zunächst sowohl auf die Kartenproduktion als auch auf den Verkauf und die Rezeption der Gothaer Kartenwerke; den Gothaer Almanach und seine Derivate bezieht sie mit ein. Damit verbindet sich das Anliegen, über die etablierten Ansätze der klassischen Kartographiegeschichte sowie der Verlagsgeschichte hinauszugehen und die Verlegerperspektive zu dezentrieren. Im Fokus steht deshalb der Verlag als wirtschaftlich agierendes Unternehmen und damit auch der Betrieb und der Alltag: das Kartenmachen wie das Kartenverkaufen, die Verleger mit ihrer Familie ebenso wie die Belegschaft. Weiterhin interessiert das städtische Umfeld der Residenz Gotha und deren zunehmende Industrialisierung, die Reichseinigung mit ihren Folgen sowie nicht zuletzt der lange Aufbruch in das Zeitalter neuer kolonialer Globalität und Territorialität. All dies veränderte das Geschäft des Kartenmachens im Verlauf des 19. Jahrhunderts erheblich. Mit Blick auf den Verlag gilt es daher das Verlagsschaffen im Sinne einer politischen Wissensgeschichte zu fassen, die die jeweilige politische Gemengelage und die dazugehörigen Dynamiken explizit nicht außen vorlässt.

Im Mittelpunkt aktueller Forschung steht derzeit auch die Entwicklung der „Gothaer Kartenproduktion“ in den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts: Dazu gehört die Geschichte des Verlags Justus Perthes Gotha vom Beginn des Ersten Weltkriegs, der Weimarer Zeit und der Zeit des Nationalsozialismus, sowie die des VEB Hermann Haack in der DDR und seines westlichen Parallelverlags, Justus Perthes Geographische Verlagsanstalt Darmstadt, in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit Blick auf die Systemkonkurrenz des Kalten Krieges interessieren hier nochmals die politischen Dimensionen und die changierenden Bedingungsgefüge der Verlagsproduktion sowie insbesondere die Neuprofilierungen der jeweiligen Verlage in den beiden deutschen Staaten. Die Produkte, mithin Karten und Kartenwerke, und das dazugehörige kartographische Wissen, werden hier abermals als Ergebnis politischer Aushandlungsprozesse analysiert. Auf diese Weise rücken die zeitgenössisch spezifischen Wissensökonomien, die mit ihnen verbundenen Infrastrukturen und Netzwerke sowie nicht zuletzt die dazugehörigen materiellen Bedingungen der Verlagsproduktion explizit in den Blick. Der deutsch-deutschen Geschichte mitsamt ihren Verknüpfungen und Verwerfungen wird hierbei eine besondere Aufmerksamkeit zuteil. Überdies interessieren die internationalen und globalen Verflechtungen der jeweiligen Verlagshäuser, die sowohl das Karten machen als auch das Karten verkaufen im ausgehenden 20. Jahrhundert bestimmen sollten.