Zu Gott Du sagen. Versuche der Gottesanrede von der Antike bis heute
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“Ich gebrauche den Namen N ohne feste Bedeutung”
- Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen §79.
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„Die schönste Weise wäre, dass wir eingestehen:
Wir wissen nichts über die Götter –
weder über ihr Wesen noch über ihre Namen.
Denn klar ist: Sie – und zwar gerade sie – benennen das Wahre.
Die nächstbeste Weise – wie es in den Gebeten Brauch ist –
ist, sie so zu nennen,
wie sie Freude daran haben, genannt zu werden.“
- Platon, Kratylos 400d–e
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Dieses Projekt untersucht, wie verschiedene Anredeformen Gottes das Bild vom Göttlichen verändern – von der Antike bis zur Gegenwart, unter postsäkularen Bedingungen.
Sowohl im antiken Hymnus als auch in den christlichen Liturgien bildet die Anaklese (anáklesis – Anrufung, Anrede) einen festen Bestandteil der Gattungsstruktur: Sie eröffnet den Text als dialogischen Raum, in dem Gott als Gegenüber angerufen wird. Was heißt es jedoch heute - unter postsäkularen Vorzeichen - zu Gott zu sprechen? In einer Welt, in der Gott oft keine Rolle mehr spielt? In einer Welt, in der das Wort “Gott” vereinnahmt wird. Im Angesicht der Möglichkeit, dass Gott vielleicht gar nicht existiert? Oder in der Erfahrung, dass klassische Formen der Gottesanrede – in Kirche, Liturgie und Kunst – nicht mehr greifen? Im Ringen um eine ganz persönliche Sprache und Anredeform.
Im Mittelpunkt stehen Texte, die sich durch eine bewusste Sprachkunst des Du auszeichnen. Sie sind: Benennung ohne festen Namen. Das “Du” steht darin als ein Ort, an dem Stimme und Klangraum, Ruf und Antwort, Gegenwart und Verlust sich berühren. Das Du-Sagen zu Gott ist eine Grenzform des Sprechens, kein Wissen, sondern ein Wissen vom Nichtwissen. Literatur entsteht dort, wo Realität als nachahmbar gedacht wird – und man Sprache als separiert vom Wirklichen betrachtet. Diese Trennung bedeutet jedoch einen Verlust gegenüber archaischeren Formen, bei denen Sprache nicht nachbildet, sondern anwesend macht. In der direkten Anrede der zweiten Person Singular, einer Ur-Form von Sprachhandeln vor jeder Literatur, wird die Beziehung zum Göttlichen neu gestaltet, gestört oder radikal in Frage gestellt. Das "Du" liegt damit näher an der ursprünglichen Sprachkraft als andere Sprachformen, und ermöglicht ein Sprechen, in dem Name und Stimme noch Welt hervorbringen, nicht bloß abbilden, eine Metaphysik im Vokativ.
Analysiert werden u. a. Augustinus (Confessiones), Franz von Assisi (Laudes Dei Altissimi), Ignatius von Loyola (Exerzitien), sowie dichterische Formen bei Novalis, Rilke, Celan, Etty Hillesum, und philosophische Entwürfe von Franz Rosenzweig, Martin Buber und Ferdinand Ebner.
Ebenfalls einbezogen werden zeitgenössische Lyriker:innen, die das Göttliche nicht direkt ansprechen, deren Du-Sagen aber theologisch produktiv wirkt – etwa bei Nasima Sophia Razizadeh.
Ziel ist es, neue Perspektiven auf die Funktion und Bedeutung der Gottesanrede zu eröffnen – zwischen Theologie, Poesie und Gegenwartssprache.
Gottesanrede und Gottesbild – eine Wechselwirkung
Texte und Zeugnisse der DU-Gottesanrede
Gottesanrede ohne Gott? Poetische Sprachsuche im 20. und 21. Jahrhundert
Das ‘Du’ ist zugleich Gottesbild und Gottesanrede – und stellt beides infrage. In seiner sprachlichen Gestalt und der performativen Dynamik der Begegnung entzieht es sich der Feststellung. Eben darin liegt sein theologisches Potenzial: Als Kreuzungspunkt von Bild und Anrede eröffnen die historischen wie gegenwärtigen Zeugnisse der ‚Du‘-Anrede neue Denk- und Erfahrungsräume.
MDR-Beitrag über die Chartula des Franz von Assisi und die Semiotik des Du
Mit Guido Erbrich in der Sendung “Wort am Sonntag" wurde die poetische Kraft der “Chartula” des Franz von Assisi besprochen und das zusammenhängende Projekt “Semiotics of the Franciscan Tau: Language, Visuality and Embodiment issues in Francis’ Chartula” vorgestellt, das zusammen mit Prof. Jenny Ponzo von der Universität Turin durchgeführt wird.
Aktuelle Publikationen
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T. Sojer. Only You: On Saying You to God, Studies in Spirituality, Nr. 33 (2024), S. 91-114
Ein historischer Überblick einer "Spiritualität im Sprachhandeln des Du-Sagen" mit einer linguistischen Einordnung, jüdischen Textzeugnissen, frühen franziskanischen Schriften, Novalis, Rilke und Etty Hillesum
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T. Sojer. DU – Zur Semiotik der Gottesanrede, Beitrag auf feinschwarz.net, 29.7.24
Hinführung zur Frage und Bedeutung der Gottesanrede an der Schnittstelle von Linguistik und Theologie
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T. Sojer. DU – Zur Semiotik der Gottesanrede, Beitrag in Das Magazin. Zeitschrift des Gemeindereferent:innen-Verbands Deutschland, Heft 3 (2024), S. 7-10
Erweiterte und vertiefende Fassung des feinschwarz-Beitrags mit Kritik an instrumentalisierenden Formen der Gottesanrede
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T. Sojer. Modul 23: Gott "duzen". "Nach Gott fragen" MEIN FACH - Religion Sek II - Heft 6 (2024), S. 24
Modul für den Religionsunterricht in der Sek II zu Gottesanrede und Gottesbild
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T. Sojer. I and Thou and the Tau: The Semiotics of Addressing God Directly, Church Life Journal. McGrath Institute for Church Life, University of Notre Dame, 26. 8. 2024
Hinführung zu linguisitschen Überlegungen zur Gottesanrede und historische Beispiele einer Semiotik im Gebet
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T. Sojer. Von der Zeichenhaftigkeit der Wunde(r) – 800 Jahre Stigmatisation des Franz von Assisi, Beitrag auf feinschwarz.net, 17.9.2024
Über eine mittelalterliche "Semiotik" bei Franz von Assisi im Kontext der Stigmatisierung von La Verna
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T. Sojer. Sobre o simbolismo da(s) ferida(s), Instituto Humanitas Unisinos - IHU, São Leopoldo, Brasilien, 19.9.2024
Francisco de Assis é considerado a primeira pessoa a receber os estigmas de Cristo. Os estigmas foram e são um fenômeno inacessível para muitas pessoas e, na linguagem contemporânea, o termo estigma significa exclusão e desvalorização.
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T. Sojer. Vom Atem der Worte: Rilke und die Kunst des (neuen) Sehens, Beitrag auf feinschwarz.net, 2.1.2025)
Beitrag zum doppelten Rilke-Jubiläum (150. Geburtstag und 100. Todestag) unter anderm über die außergewöhnliche Bedeutung des "Du" im Werk Rilkes
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T. Sojer. Lichtdurchlässig. Moderne Erzählungen zu biblischen Begegnungen, Theologischer Verlag Zürich 2025 [Erzählband]
Zum 100. Geburtstag der Buber-Rosenzweig-Übersetzung und zum 60. Todestag von Martin Buber versammelt der Band literarische Annäherung an Bubers Dialogphilosophie und entfaltet das Du-Sagen als radikales Konzept der Begegnung
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J. Ponzo/T. Sojer. Semiotics of the Franciscan Tau: language, visuality and embodiment issues in Francis’ Chartula, in: Visible Nr. 14 (2025), [im Erscheinen]
Der Beitrag untersucht die semiotischen Dimensionen der Chartula – jenes von Hand geschriebene Gebet auf Pergament, das Franziskus von Assisi persönlich für Bruder Leo verfasste. Im Fokus stehen die visuellen Merkmale sowie zentrale Topoi und Figuren, wie sie auch in den Hagiographien von Thomas von Celano erscheinen. Die Analyse zeigt, dass die franziskanische Sprachkunst durch ein kohärent verknüpftes Set visueller Zeichen und Motive geprägt ist, das sich in einer Vielzahl von Texten wiederfindet und eine bis heute wirkmächtige visuelle Kultur formt. Die Verbindung des roten Tau-Symbols mit Bruder Leos roten Anmerkungen ergibt eine visuell eindrucksvolle, dialogische Komposition. In diesem geschichteten Text fungiert die rote Tinte – im Kontrast zum Schwarz des ursprünglichen Textes von Franziskus – nicht nur als erläuternder Paratext, sondern als visuelles Reliquiar, das die sakrale Qualität der Worte rahmt und hervorhebt. Bruder Leos Ergänzungen erweitern den ursprünglichen Text nicht, sondern beglaubigen und intensivieren dessen Autorität. So entstehen durch das Zusammenspiel von Schrift und visueller Gestaltung vielschichtige, auch leiblich fundierte Resonanzen.


