Die neuen Erfurter Augustinus-Predigten

2008 wurden durch Wiener Forscher der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sechs bis dahin unbekannte Predigten des frühchristlichen Kirchenlehrers Augustinus († 430) in einer über 800 Jahre alten Handschrift entdeckt.

Isabella Schiller, Dorothea Weber und Clemens Weidmann gelang die Identifikation von vier gänzlich neuen und zwei bisher nur unvollständig bekannten Predigten des Kirchenvaters Augustinus in einer mittelalterlichen Handschrift der 'Bibliotheca Amploniana' (Dep. Erf. CA. 12° 11). Die Handschrift entstand in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts wahrscheinlich in England und enthält über 70 weitere Predigten spätantiker und mittelalterlicher Theologen. Der Abschnitt der Handschrift mit den neu entdeckten Texten und weiteren bereits bekannten Augustinus-Predigten geht vermutlich auf eine alte Textsammlung zurück, deren Entstehung in Augustinus unmittelbarem Umfeld zu suchen ist.

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Zur Handschrift UB Erfurt, Dep. Erf. CA. 12° 11

Sechs bisher unbekannte Predigten des berühmten frühchristlichen Kirchenlehrers Augustinus († 430), Bischof des heute in Algerien liegenden Hippo Regius (Annaba), wurden im Sommer 2007 in der Universitäts- und Forschungsbibliothek in Erfurt in einer mehr als 800 Jahre alten Pergamenthandschrift entdeckt.
Der Codex Dep. Erf. CA. 12° 11 entstand in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts wahrscheinlich in England und enthält insgesamt über 70 Predigten verschiedener spätantiker und mittelalterlicher Theologen.
Isabella Schiller, Dorothea Weber und Clemens Weidmann von der Kirchenväterkommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gelang die Entdeckung im Zuge eines vom  Österreichischen Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung geförderten Projekts zur handschriftlichen Überlieferung der Werke des heiligen Augustinus.

Das äußerlich unscheinbare Buch (12,5 x 10 cm) kam wohl bereits im 15. Jahrhundert in die Sammlung des bibliophilen Mediziners und Theologen Amplonius Rating de Berka († 1435). Zusammen mit seiner umfangreichen Handschriftensammlung gelangte 1412 auch die Handschrift mit den Augustinus-Predigten an das von Amplonius in Erfurt gegründete Collegium Porta Coeli

Der Einband der Handschrift stammt gleichfalls aus dem 12. Jahrhundert. Hierbei handelt es sich um einen sogenannten "Koperteinband", d. h. einen flexiblen Bucheinband - hier aus Leder. Diese Einbandform war in Mittelalter und früher Neuzeit sehr gebräuchlich. Sie leitet ihren Namen von lateinisch "coopertorium" ab: das Verhüllende, das Bedeckende. Manchmal wird diese Einbandform auch als "liber sine asseribus", als Buch ohne festen (Holzdeckel)-Einband, bezeichnet.

Inhaltlich setzt sich die Handschrift aus drei großen Textblöcken zusammen.
Der erste Block (fol. 1r-64v und 225r-264v) enthält Predigten zur Fastenzeit.

In einem zweiten Textblock (fol. 65r-126v) finden sich Predigten verschiedener Autoren, vorwiegend zu Fast- und Festtagen im Monat September.

Der dritte Textblock (fol. 127r-224r) enthält etwa 20 bereits bekannte echte und unechte Augustinus-Predigten zu Märtyrerfesten und zum Kirchjahr von der Fastenzeit bis Pfingsten und die 6 jetzt neu entdeckten Augustinus-Predigten.

Angeschlossen hieran sind Exzerpte aus dem Apokalypsenkommentar des Ambrosius Autpertus sowie eine mittelalterliche Kreuzeslegende.

Die Texte des Augustinus-Blocks wurden von einer einzigen Hand niedergeschrieben und dürften im Kern auf eine alte Textsammlung zurückgehen, die wohl in Nordafrika, also im unmittelbarem Wirkungsumfeld des Augustinus, entstanden ist.
 
Sermo Erfurt 1 trägt den Titel "De Perpetua et Felicitate".
Die Predigt handelt von den frühchristlichen Märtyrerinnen Perpetua und Felicitas. Diese Predigt lag in der Spätantike noch in vollem Umfang vor. Vor Beginn des Mittelalters war sie jedoch bereits durch eine stark gekürzte Version verdrängt worden. Durch den Erfurter Fund ist der Predigttext nunmehr wieder vollständig bekannt.
Gehalten wurde diese Predigt von Augustinus wohl am 7. März (dem Heiligenfest) in einem unbekannten Jahr in Karthago.

Sermo Erfurt 5 "De resurrectione mortuorum in natali Marcellini martyris" handelt von der Auferstehung der Toten.
In dieser Predigt fordert Augustinus seine Zuhörer dazu auf, an die Wahrheit der biblischen Prophetien zu glauben, da die vorhergesagten Ereignisse zum Teil bereits eingetroffen seien - wie beispielsweise die Abkehr der Menschen vom Heidentum.
Auch diese Predigt wurde wohl in Karthago gehalten.
Der Hinweis auf die Sündenvergebung in der Taufe könnte darauf hindeuten, dass sich unter den Zuhörern frisch getaufte Christen befanden, vor denen Augustinus in der Osterzeit predigte.

Bei Sermo Erfurt 6 handelt es sich um eine bisher gleichfalls nur lückenhaft überlieferte Märtyrerpredigt auf Cyprian: "In natali martyris Cypriani".
In seiner Predigt auf diesen 258 hingerichteten Märtyrerbischof von Karthago geißelt Augustinus die Unsitte, Märtyrerfeste mit ausgiebigen Trinkgelagen zu begehen.  Daher scheint diese Art, ein Märtyrerfest zu begehen, zu dieser Zeit wohl durchaus nicht ungewöhnlich gewesen zu sein. 

Datiert werden kann diese Predigt, aufgrund verschiedener Indizien, zwischen die Jahre 397 und 401.
Die neu entdeckten Predigten sind in der österreichischen Fachzeitschrift  "Wiener Studien. Zeitschrift für Klassische Philologie, Patristik und lateinische Tradition" veröffentlicht. Die Sermones Erfurt 1, 5, und 6 erschienen in Bd. 121 (2008), S. 227-284. Die Sermones Erfurt 2, 3 und 4 in Bd. 122 (2009), S. 171-213.

Als weltweit größte in ihrem Kernbestand noch geschlossen erhaltene Büchersammlung eines mittelalterlichen Gelehrten wird die "Bibliotheca Amploniana" heute in der Universitätsbibliothek Erfurt aufbewahrt und in Zusammenarbeit mit der Katholisch-Theologischen Fakultät wissenschaftlich betreut.

Blick auf die Handschrift Dep Erf. CA. 12° 11
Vollbild liegend: Vorderdeckel
Kapital und oberer Schnitt
F. 1r der Handschrift CA. 12° 11
F. 64v aus Dep. Erf. CA. 12° 11 ...
F. 65r
F. 127r
F. 132v: Sermo Erfurt 1 trägt den Titel "De Perpetua et Felicitate"
F. 133r
Die Predigt handelt von den frühchristlichen Märtyrerinnen Perpetua und Felicitas.
F. 133v
F. 133v
F. 134r
F. 134r
F. 134v
F. 134v
F. 135r
Gehalten wurde diese Predigt von Augustinus wohl am 7. März in einem unbekannten Jahr in Karthago
F. 169
F. 169: Sermo Erfurt 5 "De resurrectione mortuorum in natali Marcellini martyris" handelt von der Auferstehung der Toten
F. 170r
F. 170r
F. 170v
F. 170v
F. 171r
F. 171v
F. 172r
F. 172v
F. 184v: Bei Sermo Erfurt 6 handelt es sich um eine bisher gleichfalls nur lückenhaft überlieferte Märtyrerpredigt auf Cyprian
F. 185r
F. 185v
Rückdeckel der Handschrift CA. 12° 11