Prof. Dr. Hans Boas

Am 4. September 2020 verstarb Prof. Dr. Dr. Hans Ulrich Boas nach kurzer Krankheit in Erfurt. Von 1991 bis zu seiner Pensionierung 2006 war er Professor für Anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Erfurt.

Hans Ulrich Boas wurde am 13. Oktober 1940 in Esslingen am Neckar geboren. Nach der Reifeprüfung im März 1960 in Esslingen am Neckar nahm er im Sommersemester 1960 das Studium der Anglistik, Romanistik, Allgemeinen Sprachwissenschaft und Philosophie an der Universität Tübingen auf. Außerdem studierte er an der FU Berlin, an der Université de Lyon und der University of Newcastle upon Tyne. Das Staatsexamen legte er in den Fächern Anglistik und Romanistik in Tübingen Ende 1968 ab. Nach einer kurzen Zeit als Gymnasiallehrer erhielt er im September 1969 ein einjähriges DAAD-Promotionsstipendium zum Studium der Englischen und der Allgemeinen Sprachwissenschaft an der Ohio State University in Columbus, Ohio. Dort besuchte er Seminare bei den Professoren Fillmore, Gardner, Zwicky und Stampe und setzte seine Forschungsschwerpunkte in den linguistischen Kernbereichen Kasusgrammatik, generative Syntax und Phonologie.

Vom September 1970 bis zum Mai 1975 war Hans Ulrich Boas wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Englische Philologie der Georg-August-Universität Göttingen. Der Promotion – die Dissertation hatte den Titel Syntactic Generalizations and Linear Order in Generative Transformational Grammar – in den Fächern Anglistik, Romanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft bei den Professoren Gardner und Schmid (Dezember 1974) folgte im Juni 1975 die Ernennung zum akademischen Rat in Göttingen.

Im Jahr 1978 erhielt Hans Ulrich Boas ein Habilitationsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft für einen einjährigen Forschungsaufenthalt als Visiting Scholar an der University of California in Berkeley. Hier besuchte er Seminare bei den Linguisten Fillmore, Lakoff und Zimmer, dem Sprachphilosophen Searle, dem Psycholinguisten Slobin und dem Anthropologen Kay und nahm an einem interdisziplinären Seminar über Cognitive Science teil. Ab dem Wintersemester 1980/81 vertrat Hans Ulrich Boas für fünf Jahre eine C 3-Professur für Englische Sprachwissenschaft am Seminar für Englische Philologie der Georg-August-Universität Göttingen.

Im Dezember 1983 erfolgte die Habilitation im Fach Englische Philologie (Neuere Englische Sprache) mit der Arbeit "Formal versus Explanatory Generalizations in Generative Grammar". Nach der Vertretung einer C4-Professur für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Konstanz im Wintersemester 1985/86 war Hans Ulrich Boas ab dem 1. April 1986 Privatdozent an der Georg-August-Universität in Göttingen, Ende August 1989 erfolgte die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor. Im Herbst 1990 sowie im Sommersemester 1991 hielt Hans Ulrich Boas im Rahmen einer vom DAAD geförderten Teilzeitdozentur Vorlesungen und Seminare zur Generativen Grammatik des Englischen bzw. zur Kontrastiven Grammatik Englisch-Deutsch am neu gegründeten Institut für Anglistik der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Am 1. September 1991 übernahm Hans Ulrich Boas die Vertretung der Gründungsprofessur Anglistik/Amerikanistik (Sprachwissenschaft) an der Pädagogischen Hochschule Erfurt/Mühlhausen und wurde im November 1993 zum Universitätsprofessor an der Pädagogischen Hochschule Erfurt/Mühlhausen, die später in die Universität Erfurt integriert wurde, ernannt.

In Erfurt hat Hans Ulrich Boas die Entwicklung der anglistischen Sprachwissenschaft, des Instituts für Anglistik/Amerikanistik, der Philosophischen Fakultät und der Pädagogischen Hochschule Erfurt/Mühlhausen sowie die Eingliederung letzterer in die Universität, den Umbau der Fakultät, die institutsinternen Strukturen und die Arbeit in der anglistischen Sprachwissenschaft selbst entscheidend geprägt. Hans Ulrich Boas wirkte in zahlreichen universitären Gremien, war Institutsdirektor, Dekan, war leitend bei der Akquisition von Lektor*innen aus England und den USA, stellte neue Mitarbeiter*innen ein und holte viele der ab den 1990er-Jahren am Institut arbeitenden Professor*innen nach Erfurt.

Professor Boas initiierte und vertiefte viele wichtige Verbindungen zu west- und osteuropäischen Universitäten und nach Übersee, u.a. war er an der Einrichtung der Partnerschaften mit der University of California, Berkeley, der University of Texas, Austin und der University of Mary Washington in Fredericksburg, Virginia, maßgeblich beteiligt. Unter seiner Leitung wurden Forschungsprojekte durchgeführt, die u.a. vom DAAD, aber auch vom Thüringischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst unterstützt wurden.

Hans Ulrich Boas war Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen Fachverbänden und war als ein umtriebiger akademischer Lehrer und Forscher bekannt, der mit feinem Gespür für herausragende wissenschaftliche Arbeiten und spitzer Zunge stets ein interessanter und wichtiger Gesprächspartner war.

Er hat sich auch viele Jahre als einer der Vertreter des DHV Standorts Erfurt für die Interessen der Hochschullehrer*innen im Deutschen Hochschulverband eingesetzt und dazu beigetragen, dass Themen, die insbesondere für Beschäftigte an ostdeutschen Hochschulen sowie auch für Mitglieder im Ruhestand von Wichtigkeit waren, dort gehört wurden.

Bei allem Pioniergeist und großem Einsatz für die Universität Erfurt hat Hans Ulrich Boas seine schwäbische Herkunft nie verleugnet. Seine charakteristische Freude am „Schaffen“ wirkte motivierend auf sein Umfeld. Doch auch Genussfreude und Belohnung für harte Arbeit kamen bei den traditionellen Anglistik-Flur-Partys auf dem „sixth floor“ nie zu kurz.

Die von ihm betreuten Wissenschaftler*innen wurden von ihm mit viel Engagement begleitet, wobei er ihnen als Betreuer eine gelungene Balance zwischen Beratung und Raum zur eigenen Kreativität bot.

Wir werden Hans Ulrich Boas mit seinem besonnenen Wesen, seinen Lebensleistungen und seinem unermüdlichen Einsatz für die Universität Erfurt in ehrendem Angedenken behalten.

Publikationen

Bücher

  • Adjectival Suffixes in Transpositional and Semantic Function in English, unveröffentlichtes Manuskript, Tübingen 1967, 83 Seiten.
  • Syntactic Generalizations and Linear Order in Generative Transformational Grammar, Dissertation, Göttingen 1974, erschienen als Tübinger Beiträge zur Linguistik 56, Tübingen 1975, 253 Seiten. Rezensiert von P. H. Matthews in Journal of Linguistics 12 (1976), S. 367-368 und von A. P. ten Cate in Germanistik 18, (1977), S. 22-23.
  • Formal versus Explanatory Generalizations in Generative Transformational Grammar, Habilitationsschrift, Göttingen 1983, erschienen als Linguistische Arbeiten 150, Tübingen 1984 (Niemeyer), 478 Seiten.

Aufsätze

  • "On Halle's 'Prolegomena to a Theory of Word Formation' or What is a Linguistic Generalization?", in Linguistics 134 (1974), S. 5-8.
  • Artikel "Stratifikationstheorie" in H. L. Arnold und V. Sinemus (eds.), Grundzüge der Literatur- und Sprachwissenschaft, Bd. II, München 1974, S. 294-308.
  • "Argumente gegen die Annahme linear geordneter syntaktischer Tiefenstrukturen in einer universellen Grammatik", in K. Braunmüller und W. Kürschner (eds.), Akten des 10. Linguistischen Kolloquiums, Tübingen 1975, Band 2, Tübingen 1976, S. 129-138.
  • "'Perceptual Constraints' and Prenominal Modification in English and German", in D. Chitoran (ed.), 2nd International Conference of English Contrastive Projects, Bucharest 1976, S. 91-100.
  • "Some Remarks on Case Grammars as Bases for Contrastive Studies", in Papers and Studies in Contrastive Linguistics 7 (1977), S. 21-32 und in J. Fisiak (ed.), Theoretical Issues in Contrastive Linguistics, Amsterdam 1980 (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science, Series IV - Current Issues in Linguistic Theory, Vol. 12), S. 71-82.
  • "Transpositional and Semantic Adjectives Revisited", in H. E. Brekle und D. Kastovsky (eds.), Perspektiven der Wortbildungsforschung. Beiträge zum Wuppertaler Wortbildungskolloquium vom 9.-10. Juli 1976. Anläßlich des 70. Geburtstages von Hans Marchand am 1.10.1977, Bonn 1977, S. 20-31.
  • "Deep- and Surface-Structure Problems of Restrictive and Non-Restrictive Constructions", (Paper given at the 10th Annual Meeting of the SLE in Salzburg, August 28-30, 1976), in Folia Linguistica XI 1/2 (1977), S. 39-56.
  • "Lexical Entries for Verbs in a Contrastive Lexicon English-German", in W. Abraham (ed.), Valence, Semantic Case and Grammatical Relations, Amsterdam 1978, (Studies in Language, Companion Series, Vol. 1), S. 191-216, in Papers and Studies in Contrastive Linguistics (1979), S. 97-112 und in J. Fisiak (ed.) (1980), S. 309-324.
  • "Conflicting Generalizations of Linguistic Models and Their Relevance to Foreign Language Teaching", in G. Nickel and D. Nehls (eds.), Models of Grammar, Descriptive Linguistics and Pedagogical Grammar, (Papers from the 5th International Congress of Applied Linguistics, Montreal 1978), Heidelberg 1980, S. 1-21.
  • "(R)REST) - Chomskys Annäherung an Saussures 'langue' - Konzeption?", in H. Aarsleff, L. G. Kelly und H.-J. Niederehe (eds.), Papers in the History of Linguistics. Proceedings of the Third International Conference on the History of the Language Sciences (ICHOLS III), Princeton, August 19-23, 1984, Amsterdam/Philadelphia 1987, S. 665-676.
  • "Zur Notwendigkeit lexikalischer Lücken", in A. Burckhardt und K.-H. Körner (eds.), Pragmantax. Akten des 20. Linguistischen Kolloquiums, Braunschweig 1985, Tübingen 1986, S. 147-157.
  • "Contrastive Grammar and the 'Government-and-Binding' Theory", in W. Kühlwein und B. Spillner (eds.), Sprache und Individuum. Kongreßbeiträge der 17. Jahrestagung der Gesellschaft für angewandte Linguistik, GAL e. V., Tübingen 1988, S. 127-128.
  • "The Internal Structure of Lexical Entries: Structural and/or 'Definitional' Semantics", in W. Hüllen und R. Schulze (eds.), Understanding the Lexicon. Meaning, Sense and World Knowledge in Lexical Semantics, Tübingen 1988, S. 50-61.
  • "Parametrization in Generative Grammar", in Hans-W. Ludwig, (ed.), Anglistentag 1987, Tübingen. Vorträge, Gießen 1988, S. 406-409.
  • "Wie konfigurational sind das Deutsche und das Englische?", in Klagenfurter Beiträge zur Sprachwissenschaft 15-16 (1989/90), S. 24-34.
  • "Linguistic Prerequisites for Machine Translation", in M. P. Line und J. Wallmannsberger (eds.), Computer und Sprache, Papiere des Workshops, Universität Saarbrücken 23.-25.11.1989 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Anglistische Reihe Band 3), Innsbruck 1991, S. 95-105.
  • "Reflexives in English and German", (Paper given at the 9th World Congress of Applied Linguistics" (AILA) in Thessaloniki, Greece, April 15-21, 1990).
  • "On Explaining the Historical Development of English Genitives", in M Rissanen, O. Ihalainen, T. Nevalainen, I. Taavitsainen (eds.), History of Englishes: new methods and interpretations in historical linguistics (Topics in English linguistics; 10), Berlin; New York 1992, S. 225-240.
  • "Contrasting Construction Types or Fixed parameters?", (Plenary lecture given at the International Conference 'New Departures in Contrastive Linguistics'), in C. Mair, M. Markus, J. Wallmannsberger (eds.), New Departures in Contrastive Linguistics, Proceedings of the Leopold-Franzens-University of Innsbruck, Austria, 10-12 May 1991, Innsbruck 1992, Vol. I, pp. 93-104.
  • "Misconceptions and Overinterpretations: Chomsky's Views on the Saussure", in G. Blaicher and B. Glaser (eds.), Anglistentag 1993, Eichstätt, Proceedings, Tübingen 1994, pp. 116-131.
  • "Preposition Stranding im Englischen (und Deutschen?)" in 
  • D. Haumann und S.J. Schierholz (eds.), Lexikalische und grammatische Eigenschaften präpositionaler Elemente (Linguistische Arbeiten 371) Tübingen, 1997, pp. 185-206.
  • "Locational Verbs. in a Lexicon Grammar of English"
  • in B. Caron (ed.) Proceedings of the 16th International Congress of Linguists, Paris July 20-25, 1997 Elsevier Science, 1998 (CD-ROM)
  • "Theoretical vs. Empirical Syntax: Locational Verbs in English and German": "Workshop 'The Electronic Corpus: Literary and Linguistic'", in F.-W. Neumann/S. Schülting (eds.), Anglistentag 1998, Erfurt. Proceedings, Trier 1999, pp. 509-519. 

Rezensionen

  • F. R. Palmer, A Linguistic Study of the English Verb, London 1966, in Indogermanische Forschungen 77 (1972), S. 359-363.
  • G. Stein, Primäre und Sekundäre Adjektive im Französischen und Englischen, Tübingen 1971, in Indogermanische Forschungen 82 (1977), S. 373-381.
  • H. Pilch, Phonemtheorie (1. Teil), dritte, vollstädnig neu bearbeitete Auflage, Basel 1974, in Indogermanische Forschungen 84 (1979), S. 280-291.
  • R. Emons, Valenzgrammatik für das Englische. Eine Einführung, Tübingen 1978 (Anglistische Arbeitshefte 16), in Anglia 99 (1981), S. 438-444.
  • H. L. Meyer, Einführung in die Englische Kasusgrammatik. Darstellung - Erweiterung - Anwendung des Fillmore-Modells, Frankfurt/M. 1983, in Anglia 106 (1988), S. 157-169.
  • S. Romaine, Pidgin and Creole Languages, London (New York 1988 (Longman Linguistic Library) erscheint in Matatu, Zeitschrift für afrikanische Kultur und Gesellschaft.

Grundmanuskript

"Lexik" zum 11. Studienbrief des Fernstudienlehrganges für Englischlehrer an Hauptschulen. Didaktik und Methodik des Englischunterrichtes, Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen, Tübingen 1970; als Beitrag "Lexik" außerdem erschienen in H. Gutschow (ed.), Englisch-Didaktik, Methodik, Sprache, Landeskunde, Berlin 1974, S. 126-144.

Übersetzung

U. Weinreich, "Problems in the Analysis of Idioms", (in J. Juvel (ed.), Substance and the Structure of Language, Berkeley und Los Angeles 1959), erschienen in F. Kiefer (ed.), Semantik und Generative Grammatik, Band II, Frankfurt 1972, S. 415-474.