Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Independent Postdoc) der Forschungsgruppe Freiwilligkeitder Universität Erfurt im Bereich Alte Geschichte.
Forschungsschwerpunkte:
Geschlechtergeschichte, Geschichte der Männlichkeit, Politische Geschichte der Römischen Republik und des Klassischen Griechenland, Ordnungsvorstellungen und Organisation des Zusammenlebens in antiken Gesellschaften, Römische und Griechische Historiografie
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Athen – die bedrohte Demokratie / Athens – the threatened democracy (english version below)
Seminar S3, möglichst Fr 10-12 Uhr, max. 35 Teilnehmende
Die Athenische Demokratie ist – mit einigen Konjunkturen – eines der meist erforschten Themenfelder der Alten Geschichte. Dabei verraten die Forschungsfragen bei aller Betonung der Andersheit oftmals Bezüge zu aktuellen Diskursen und Betrachtungen moderner Demokratien: Während nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Francis Fukuyama die liberale westliche Demokratie als „final form of human government“ (Fukuyama 1998, xi) beschrieb und das Ende der Geschichte gekommen sah, wurde seitdem nicht nur die These Fukuyamas, sondern auch das falsche Gefühl der Zeitlosigkeit in westlichen Demokratien kritisiert (u.a. von Ross 2012, 112) und besonders auf die Gefahren neoliberaler „Entthronung der Politik“ (Engartner 2007, 87) und des Demos (Brown 2012, 59) hingewiesen. Nachdem westliche Demokratien unter den Schlagworten Eigenverantwortung und Risiko neoliberal umgedeutet worden waren, geraten sie nun auch zunehmend durch autoritäre Diskurse, Parteien und Regierungen unter Druck – das rationale Subjekt des Liberalismus wird offen hinterfragt, das Vertrauen in die hegemoniale politische Ordnung erodiert.
Die umkämpfte und bedrohte Demokratie sowie ihre immanenten Widersprüche zu verstehen, ist das Anliegen des Seminars. Es historisiert, ausgehend von den aktuellen Diskursverschiebungen, die Bedrohung der Demokratie und wird zeigen, dass die Bedrohtheit nicht nur ein wiederkehrendes Motiv demokratischer Gesellschaften, sondern diesen eingeschrieben ist. Unser Blick auf das klassische Athen wird geprägt sein von der Erfahrung der Erosion liberaler Demokratien – in dem Bewusstsein, dass Bilder der Vergangenheit nicht nur in jedem Moment der Geschichte und aus verschiedenen Personen heraus anders gelesen werden, sondern vielleicht manche ihrer Facetten überhaupt nur in gewissen Momenten und aus bestimmten Blickwinkeln lesbar sind (Agamben 2010, 35). Dieser Blick zielt auf die grundlegenden Regierungs- und Subjektivierungsweisen der athenischen Demokratie und die Momente ihrer (gefühlten) Bedrohung.
Vor diesem Hintergrund wird das Seminar untersuchen, wie Menschen im klassischen Athen regiert wurden und wie sie sich selbst regierten. Auf methodischer Ebene wird es sich dem Komplex des Regierens über einen gouvernementalen Zugriff nähern und so die Perspektive der Forschung verschieben. Bisher lag der Fokus in der Betrachtung dieser Demokratie meist auf der institutionellen Ebene oder auf den in den Quellen formulierten Idealen demokratischen Handelns. Der Blick auf die Handlungs- und Seinsweisen von Menschen wurde dadurch gerahmt und stark begrenzt. Ein gouvernementaler Ansatz hingegen ermöglicht es, die athenische Demokratie als ein Regieren über Freiheit zu betrachten. Regierung meint in diesem Sinne nicht nur staatliche Institutionen oder Ämter, sondern einen spezifischen Machttypus mitsamt seinen Wissensformen und Instrumenten, der Menschen zugleich unterwirft und ermächtigt, sie als frei adressiert, integriert, zur Reflexion eigenen Handelns und freiwilliger Teilhabe aufruft (Schubert 2018, 70; 93; 106). Praktiken von Führung und Selbstführung sowie damit einhergehende Lebensformen im Spannungsfeld von Freiheit und Pflichterfüllung, von agency und Eigen-Sinn werden besprochen und es werden neue Fragestellungen aufgeworfen und neue Themenfelder etabliert, die quer zu den klassischen Forschungsbereichen und Betrachtungsweisen liegen.
The Athenian democracy is one of the main research topics in ancient history. With all the emphasis on otherness, the research questions often reveal references to current discourses and considerations of modern democracies: While after the collapse of the Soviet Union, Francis Fukuyama described liberal Western democracy as the “final form of human government” (Fukuyama 1998, xi) and marked the end of history, since then, not only Fukuyama's thesis, but also the false feeling of timelessness in Western democracies has been criticized (Ross 2012, 112), and especially the dangers of neoliberal “dethroning of politics” (Engartner 2007, 87) and the demos (Brown 2012, 59) have been pointed out. After Western democracies have been reinterpreted under the neoliberal buzzwords personal responsibility and risk, they are now increasingly under pressure from authoritarian discourses, parties and governments – the rational subject of liberalism is openly questioned, trust in the hegemonic political order is being eroded.
The aim of the seminar is to understand the contested and threatened democracy and its immanent contradictions. Based on the current shifts in discourse, we will historicize the threats on democracy and show that these threats are not just a recurring motif of democratic societies, but an inherent aspect of democracy itself. Our view on classical Athens is shaped by the experience of the erosion of liberal democracies – in the awareness that images of the past are not only read differently in every moment of history and from different people, but perhaps some of its facets are only readable at certain moments and from certain angles (Agamben 2010, 35). This view focusses on processes of governance and subjectivation in the Athenian democracy – and on the moments of their (perceived) threat.
With this in mind, the seminar will examine how people were governed in classical Athens and how they governed themselves. On a methodological level, it will approach the complex of governmentality and thus shift the perspectives of research. So far, the focus has mostly been on the institutional level or on the ideals of democratic action. A governmental approach enables us to describe the Athenian democracy as a governance via freedom. In this sense, government does not just mean state institutions or offices, but a specific type of power with its instruments and forms of knowledge, which subordinates and empowers people at the same time, addresses them as free, integrates them, calls on them to reflect on their own actions and voluntary participation (Schubert 2018, 70; 93; 106). Practices of leadership and self-management as well as the associated forms of life in the area of tension between freedom and the fulfillment of duties, agency and Eigen-Sinn will be discussed and new questions will be raised.
Literatur / Bibliography:
Leistungsnachweis / Credit requirement: Aktive Teilnahme, Hausarbeit / Active participation, Hausarbeit
Kontakt / Contact:
Dr. Daniel Albrecht - LG 4 / 131, Tel. 4402, daniel.albrecht@uni-erfurt.de
Sprechstunde in der Vorlesungszeit Do 10-11 Uhr / direct contact during term every Thursday 10-11 am