Die 4. Generation deutscher MESH-Studierender im Libanon (Februar - Juni 2016)

Anfang Februar hat sich die 4. Gruppe deutscher MESH-Studierender in den Libanon begeben, bereits zum zweiten Mal verteilen sie sich dabei auf die beiden Partneruniversitäten Saint Joseph (USJ) in Beirut und Saint-Esprit de Kaslik (USEK).

Das ganz normale Chaos

Wie kann man sich ein Studentenleben in Beirut vorstellen? Abwechslungsreich, chaotisch, aufregend, entspannt und lustig – und das alles auf einmal.

Allein, um von A nach B zu kommen, gibt es unterschiedlichste Möglichkeiten. Versucht man es zum Beispiel zu Fuß, ruft man Erstaunen bei der einheimischen Bevölkerung hervor, die für einen Weg von 100 m schon in ein Taxi einsteigen würde. Tatsächlich birgt das Laufen in Beirut einige Gefahren. Die Gehsteige sind zugeparkt oder mehr als baufällig, weswegen man gezwungen ist, auf der Straße zu laufen. Findet man doch mal einen Gehsteig, der begehbar ist, kann es durchaus passieren, dass ein etwas verwirrter Soldat einem seinen Schlagstock vor die Brust hält und völlig entgeistert fragt, was man da gerade macht. Es hat eine Weile gedauert bis wir herausgefunden haben, dass man manchen Gebäuden besser nicht zu nahe kommen sollte. Also doch lieber die Straße.

Hier wird man allerdings von jedem zweiten Auto angehupt und es hat gedauert bis wir herausgefunden haben, was dieses Hupen denn nun eigentlich alles bedeuten kann. 1. Einfach nur weil wir zwei europäische Mädels sind, die auf der Straße laufen. 2. Es handelt sich um ein Taxi, was verzweifelt versucht, dich dazu zu überreden, doch nicht mehr zu laufen, sondern einzusteigen. Oder 3. Ein Autofahrer versucht dir mitzuteilen, dass er dich gleich umfährt, wenn du nicht aus dem Weg gehst. Generell gilt, wer unzufrieden ist oder irgendwas mitzuteilen hat, hupt.

Wenn man sich dann doch entschlossen hat, in das hupende Taxi einzusteigen, folgt eine riesige Diskussion mit dem Fahrer über Preis und Ziel. Das mit dem Ziel ist manchmal eine ziemliche Herausforderung, weil sich Taxifahrer an bekannten Gebäuden oder Plätzen orientieren und nicht an Straßennamen. Ist man neu in Beirut (so wie wir) kann eine Taxifahrt durchaus länger dauern, weil der Taxifahrer einfach nicht versteht, wo man hin will. Endlose Diskussionen über den Preis können die Fahrt auch unnötig in die Länge ziehen.

Als Europäer gilt man offenbar automatisch als Tourist und es wird angenommen, dass man ein teures Taxi für 10000–25000 LL nehmen möchte und nicht das landesübliche Service, also ein Sammeltaxi für 2000–40000 LL. Hat man nun dem Fahrer erklärt, dass man nicht bereit ist, zu viel zu zahlen, kann es trotzdem passieren, dass er die Diskussion während der Fahrt mehrmals erneut beginnt. Der wichtigste Satz ist also: Lā, Service! (Nein, Service!). Diese Diskussionen können aber auch in einem netten Gespräch mit Händen und Füßen aus arabischen, französischen und englischen Wortfetzen und einer freien Taxifahrt enden. Einfach nur, weil man aus Deutschland kommt. Generell gilt: Wenn man ein Wort in einer Sprache nicht weiß, versucht man es in den zwei anderen. Dieses Prinzip lässt sich sowohl im Supermarkt als auch in der Universität anwenden.

Das Ankommen in der Universität Saint Joseph, die mitten in Beirut liegt, war weitaus leichter als eine Taxifahrt, da uns die Studenten vom ersten Tag an angesprochen haben, um ihre Hilfe anzubieten. Das Unileben unterscheidet sich nicht groß von dem in Erfurt, außer dass die Kurse etwas kürzer sind. In unseren Kursen lernen wir einiges über den Libanon, sowohl aus historischer als auch aus soziologischer Sicht. Darüber hinaus haben wir gelernt, dass Selfies einen äußerst wichtigen Stellenwert im Libanon haben. Gleich an einem unserer ersten Tage in der Uni wurden wir in der Pause aufgefordert mit auf mehrere Gruppenselfies zu kommen.

Unser auffällig europäisches Aussehen führt auch außerhalb der Uni des öfteren dazu, dass wir von neugierigen und freundlichen Libanesen angesprochen werden. Die Fragen sind meistens, woher wir kommen und was wir hier eigentlich machen.

Auch beim Erkunden des Beiruter Nachtlebens haben wir schon so manche interessante Bekanntschaft gemacht -die Einheimischen halten sich nicht zurück mit ihren persönlichen Meinungen über Politik und Gesellschaft, was schon öfter zu Diskussionen geführt hat. Vor allem die Flüchtlingssituation in Deutschland scheint ein Thema zu sein, das viele Libanesen interessiert und beschäftigt. Erstaunt haben wir festgestellt, dass die Menschen in Beirut trotz ihrer Geschichte und der gegenwärtigen politischen Situation, immer bereit sind, rauszugehen und Spaß zu haben. Und die Libanesen wissen, wie man Spaß hat: Straßen mit unzähligen Kneipen/Clubs findet man in vielen verschiedenen Stadtteilen. Die Menschen stehen dort auf der Straße und tanzen zur Musik, die aus den verschiedenen Lokalitäten schallt.

Trotzdem hat jeder Stadtteil seine eigenen Besonderheiten. Recht schnell lässt sich feststellen, von welcher Religion, Mentalität und Bevölkerungsgruppe ein Teil dominiert ist. Das heißt aber nicht, dass die unterschiedlichen Menschen nicht miteinander interagieren. Im Gegenteil: Es finden sich die für uns ungewöhnlichsten Kombinationen.

Wir sind begeistert von der Vielfalt der Stadt und versuchen an den freien Wochenenden immer ein Stück Kultur mitzunehmen. Diverse Ausflüge, zum Beispiel in die Berge in den Schnee, oder zu der nahe gelegenen Grotte haben wir schon gemacht. Kurz: Wir genießen das ganz normale Chaos mit viel Herzlichkeit, gutem Essen und Kultur.

Johanna und Stella

Ahlan Wa Sahlan Fi Kaslik

Auf dem Campus

Große grüne Berge des Libanongebirges und ein kleiner Hafen direkt am Mittelmeer – dieses Bild erschließt sich uns, wenn wir aus den Kursräumen der Université Saint-Esprit de Kaslik schauen. Christina und ich sind nun schon der zweite MESH-Jahrgang, der hier in Kaslik studiert.

Während ich in Kaslik ein Appartement gefunden habe, ist Christina noch fleißig auf der Suche nach einem Zimmer in Beirut. Obwohl Kaslik nur ein paar Kilometer nördlich von Beirut entfernt ist, kann sich die Strecke von der Hauptstadt bis zur Universität manchmal ganz schön ziehen. Da es im Libanon weder Zug noch Straßenbahn gibt, ist der Verkehr natürlich immens und Staus sind vorprogrammiert. Doch durch die ein oder andere lustige Taxi- oder Busfahrt lässt sich der Weg von Beirut zur Uni auch für Christina mehr als gut verkraften.

Bereits während meines ersten Kurses – Lebanon in the Contemporary Period – konnte ich ein kleines Stück Heimat wiederfinden: Max Weber. Wir befassten uns mit der Staatstheorie des bekannten Erfurter Soziologen. Unser Kursplan an der USEK ist eine bunte Mischung aus geschichtlichen, politischen und soziologischen Seminaren. So beschäftigen wir uns beispielsweise mit dem Libanon im Mittelalter und in der späten Neuzeit, internationaler Migration oder Geopolitik. Ein Großteil der Seminare ist sehr praktisch orientiert; zusammen mit libanesischen Studierenden arbeiten wir in Projekten. Nicht nur die Dozent*innen, sondern auch die Studenten*innen sind hier unglaublich hilfsbereit.

Die Universität glänzt nicht nur mit spannenden Kursen, sondern auch mit ihrer tollen Lage. Sie liegt nur etwa 300m Luftlinie vom Meer entfernt und ist umgeben von schönen Restaurants und Shops, in denen man gerne seine Pause verbringt.

Unsere freien Tage haben wir bisher zumeist in Beirut verbracht. So waren wir beispielsweise einen Tag bei der Familie einer libanesischen MESH-Studentin und wurden vom feinsten verköstigt. Für sie war es das letzte große Essen vor dem Fastenbeginn am Aschermittwoch. Vor allem Jounieh ist sehr christlich geprägt. In vielen Ecken findet man Vitrinen mit Heiligendarstellungen. Bei den vielen Gesprächen mit Libanesen*innen in meinem Alter, ist mir allerdings aufgefallen, dass die Rolle der Religion im Leben doch etwas in den Hintergrund gedrungen ist.

Für die nächsten Wochen haben wir uns vorgenommen, in neue Gefilde aufzubrechen und die zahlreichen tollen Orte zu besichtigen, die der Libanon zu bieten hat. Nächste Station: Harissa.

Lisa M.

Eine alte osmanische Eisenbahnbrücke
Ausflug nach Beirut
Die aktuelle MESH-Gruppe mit dem Vater einer libanesischen Austauschstudentin