Lateinamerikanische und Atlantische Geschichte

Dr. Sebastian Dorsch

Sebastian Dorsch beschäftigt sich als Lateinamerika- und Globalhistoriker mit den raum-zeitlichen Positionierungen lateinamerikanischer Akteure innerhalb der atlantischen Welt. In seiner Dissertation arbeitete er zur Ausbildung einer eigensinnigen politischen Kultur in der west-mexikanischen Provinz Michoacán im Zeitalter der Atlantischen Revolutionen (ca. 1760er–1830er Jahre). Im Anschluss warb er ein Forschungsprojekt zu „Kulturellen ZeitRäumen“ im São Paulo der Jahrzehnte um 1900 bei der DFG ein. In diesem Rahmen setzte er sich beispielsweise aus umwelt- und bildhistorischen Perspektiven mit dem Topos der Neuen Welt und der Insel-Vorstellung von „Brasilien“ innerhalb Lateinamerikas auseinander sowie mit der Entwicklung des für das katholische Latein-Amerika zugrundeliegenden Konzepts der Latinité als raum-zeitliche Alternative zur angel-sächsisch-protestantischen Moderne. Er entwickelte an Hand der Untersuchung der im Norden (oder Westen?) „erfundenen“ Modernekrankheit Neurasthenie in der vermeintlichen „Yankee City São Paulo“ und in Auseinandersetzung mit philosophischen und politischen Welt-Ordnungspraktiken das Konzept der „Verzeitlichung des Atlantiks“. Raum-zeitliche Lokalisierungspraktiken Paulistaner Akteure stellten auch in seinen historiographie- und kartographiehistorischen Studien den Schwerpunkt dar.

Mit dem derzeitigen Projekt fokussiert er das spannungsreiche Verhältnis zwischen ästhetisch-ordnender Weltaneignung und Lokalisierungs- sowie Abgrenzungspraktiken. Zusammen mit Achim von Oppen und Angelika Epple arbeitet er dazu am Konzept „Geschichte translokal“ und damit an methodischen Grundlagen für eine lokal verortete und empirisch ausgerichtete Globalgeschichtsschreibung. Das konkrete Projekt behandelt einen vielschichtigen Grenzkonflikt im Amazonas-Raum. Um 1900 kulminierte in den sagenumwobenen Guyanas ein jahrhundertealter Grenzstreit zwischen Frankreich und Brasilien. Zur Lösung riefen die Streitparteien den Schweizer Bundesrat als Schiedsrichter an, der sich für ein „wissenschaftliches“, kartographisch-historisches Verfahren entschied – Grenzgänge, über die sich der Anspruch des europäisch-westlichen kolonialen Denkens in verschiedener Weise hinterfragen lassen. Das Projekt analysiert anhand sehr dichten Materials aus Brasilien, der Schweiz, Frankreich und Deutschland dieses westliche Welt-Ordnen aus translokal-südlichen sowie aus wissens-, alltags- und umweltgeschichtlichen Perspektiven.

2011 gründete Sebastian Dorsch zusammen mit Susanne Rau die Erfurter RaumZeit-Forschung (ERZ) und initiierte und koordinierte seitdem als Co- Vorstand zahlreiche einschlägige Workshops und Publikationen. Er ist Mit-Herausgeber der neuen Reihe „SpatioTemporality. Practices – Concepts – Media“ bei de Gruyter Oldenbourg. Seit 2014 ist er stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreises Außereuropäische Geschichte im VHD, seit 20218 Vorsitzender des nach einer intensiven Debatte umbenannten AK Weltregionale und Globale Geschichte.

Die aktuelle Liste an Publikation, Vorträgen, Veranstaltungen sowie Downloads finden sich auf der Academia.edu-Seite

Themenrelevante Publikationen

  • Verfassungskultur in Michoacán (Mexiko): Ringen um Ordnung und Souveränität im Zeitalter der Atlantischen Revolutionen (Lateinamerikanische Forschungen 37). Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag, 2010.
  • Mit-Herausgeber von Space/Time Practices and the Production of Space and Time. Special Issue "Space/Time Practices", Historical Social Research 3 (2013).
  • Translokale Wissensakteure: Ein Debattenvorschlag zu Wissens- und Globalgeschichtsschreibung, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 64 (2016), Heft 9, S. 778–795.
  • „Brasilien“ zwischen Insel-Topos und „Neuer Welt“: Ein raum-zeitlicher Versuch über Weltbilder und Welterfahrungen im frühen Anthropozän, in: Olaf Breidbach u.a. (Hrsg.): Welt-Anschauungen. Interdis- ziplinäre Perspektiven auf die Ordnungen des Globalen, Stuttgart 2015, S. 15–41.
  • Die "Yankee City" São Paulo im verzeitlichten Atlantik: Die Nerven- und Modernekrankheit Neuras- thenie, in: Georg Fischer u.a. (Hrsg.): Brasilien in der Welt. Region, Nation und Globalisierung 1870- 1945 (Globalgeschichte, Bd. 14), Frankfurt/M. / New York 2013, S. 296–319.

Kontakt

Sebastian Dorsch
Dr. Sebastian Dorsch
Mitglied, Fachrichtung "Lateinamerikanische Geschichte, ZeitRäume einer Metropole"
(Erfurter RaumZeit-Forschung)