Straße des Friedens: Internationale Solidarität 30 Jahre nach der „friedlichen Revolution“ von 1989

// Sergey Sistiaga – 08.10.2019

„Statt Sternchen mit Kreuzchen“ oder mit „geschlechterneutraler“ Sprache in den Krieg“. Erfurt, Deutschland in der Nacht vom 31. September, Straße des Friedens

Am 23. September erklärte die Bundesregierung gemeinsam mit den Regierungen Macron und Johnson ihre „uneingeschränkte Solidarität“ mit Saudi-Arabien, das seit 2015 Krieg im Jemen führt.[1] Weiteres zu Saudi-Arabien ersparen wir uns an dieser Stelle.

Angesichts dieser Solidarisierung und dem zurzeit guten Dutzend[2] an Kriegseinsätzen der Bundeswehr, aber auch der stillschweigenden Tolerierung der völkerrechtswidrigen Besetzung Afrins[3] im Frühjahr 2018 durch die Türkei (zuvor Teil der basisdemokratisch verwalteten und vorwiegend kurdischen Provinz Rojava, was nicht nur Sonnenuntergang oder Westen heißt, sondern tatsächlich ein am wirklichen Realisieren westlicher Werte arbeitendes Experiment darstellt), scheint es durchaus angebracht, jegliche Art von Hinweisen auf westliche Werte, die es im Osten und Westen noch gibt, auf ihre Zeitgemäßigkeit hin zu hinterfragen. Zur Erinnerung an jene Werte sei aus der Präambel der NATO zitiert:

"Die Parteien dieses Vertrags bekräftigen erneut ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und Regierungen in Frieden zu leben. Sie sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten. Sie sind bestrebt, die innere Festigkeit und das Wohlergehen im nordatlantischen Gebiet zu fördern. Sie sind entschlossen, ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zu vereinigen. Sie vereinbaren daher diesen Nordatlantikvertrag." [4]

„Feministische Satire: Von der Geburtsmaschine zur Tötungsmaschine.“ Erfurt, Deutschland in der Nacht vom 31. September, Straße des Friedens.

Dieses Fundstück soll nicht als weiterer Beleg der heute gerne breitgeschlagenen sogenannten Heuchelei des Westens dienen, das wäre wohlfeil. – Nein, das Fundstück will zeigen, dass man in der Analyse nicht stets bei dieser faktischen Kontrastierung zwischen Wert und Wirklichkeit stehen bleiben kann, die viele kritische Geister in eine antiwestliche Schlagseite bringt. Die sogenannten westlichen Regierungen sind keine Vertreter dieser Werte, wenn sie sich nicht an sie halten.

Es gibt im Westen durchaus Regierungen, die sich an ihnen orientieren mögen, aber woanders dürfte man in diesen Zeiten häufiger fündig werden. Wer Werte wie Frieden, Demokratie und Freiheit mit Füßen tritt, steht schlichtweg nicht für diese Werte. Man sollte also nicht beim Feststellen der Heuchelei stehen bleiben oder gar den fatalen Fehlschluss ziehen, dass damit in Rede stehende Werte selbst ihre Geltung einbüßten – nur, weil ausgerechnet Regierungen sich als Vertreter westlicher Werte stilisieren, die dann umsonst in der antiokzidentalen Propaganda als „Wertewesten“ lächerlich gemacht werden können. Wer im Namen des Westens dessen Werte missbraucht, den kann man nicht westlich nennen. Damit lassen sich dann zwar keine Texte unter der Rubrik „Heuchelei“ mehr schreiben, aber das sind einige westliche Werte vielleicht doch wert.

Womöglich erkennen das irgendwann auch wieder Regierungen an, die sich ohne Heuchelei zum Westen bekennen wollen. Die Worte des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhowers zumindest zeigen, dass dies – auf einer Ebene des gesunden Menschenverstandes – kein Ding der Unmöglichkeit ist:

"Jede Kanone, die gebaut wird, jedes Kriegsschiff, das vom Stapel gelassen wird, jede abgefeuerte Rakete bedeutet letztlich einen Diebstahl an denen, die hungern und nichts zu essen bekommen, denen, die frieren und keine Kleidung haben. Eine Welt unter Waffen verpulvert nicht nur Geld allein. Sie verpulvert auch den Schweiß ihrer Arbeiter, den Geist ihrer Wissenschaftler und die Hoffnung ihrer Kinder." [5]


[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/gemeinsame-erklaerung-der-staats-und-regierungschefs-von-frankreich-deutschland-und-dem-vereinigten-koenigreich-23-september-2019-new-york-1674336

[2] Da die Zahl sich ändern wird, sind wir Brecht folgend aus Präzisionsgründen ungenau: „Die Schriftsteller können nicht so schnell schreiben, wie die Regierungen Kriege machen; denn das Schreiben verlangt Denkarbeit (B. Brecht).“

[3] Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestages:Völkerrechtliche Bewertung der „Operation Olivenzweig“ der Türkei gegen die kurdische YPG in Nordsyrien.

[4] https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_17120.htm?selectedLocale=de

[5] Dwight D. Eisenhower: Adress to the American Society of Newspaper Editors (16.04.1953): "Every gun that is made, every warship launched, every rocket fired signifies, in the final sense, a theft from those who hunger and are not fed, those who are cold and are not clothed. This world in arms is not spending money alone. It is spending the sweat of its laborers, the genius of its scientists, the hopes of its children." https://www.americanrhetoric.com/speeches/dwighteisenhowercrossofiron.htm