Die Vereinten Nationen – mit 75 Jahren in der Risikogruppe?

// Sergey Sistiaga – 26.03.2020

Schwerter zu Pflugscharen, Skulptur von Jewgeni Wiktorowitsch Wutschetitsch - 1959. Geschenk der Sowjetunion an die UNO - Garten im  Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York City. © BY-SA 3.0 by Neptuul.
Schwerter zu Pflugscharen, Skulptur von Jewgeni Wiktorowitsch Wutschetitsch - 1959. Geschenk der Sowjetunion an die UNO - Garten im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York City. © BY-SA 3.0 by Neptuul.

Das Ziel der West Windows ist es, zufällig aufgefundene Sachen oder Ereignisse – also Fundstücke – mit dem Westen in Beziehung zu setzen und zur Reflexion über diesen anzuregen, also noch vorwissenschaftlich. Die Vereinten Nationen sind dabei an einer Schnittstelle, wo das spezifisch Westliche der Möglichkeit nach über sich hinausweisen und zu wahrem Universalismus voranschreiten kann und soll, also zu einer Verbindung des jeweils Partikulären und dem Allgemeinen. Ideale aus der aufklärerischen westlichen Tradition prägen die UN-Charta. Kants Idee vom ewigen Frieden, die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der Großen Französischen Revolution sowie soziale und wirtschaftliche Rechte, die unter dem Druck sozialistischer Staaten hinzugefügt wurden. Inwiefern diese auf dezidiert westlichen Rechtsvorstellungen basierende Konzeption mit anderen großen und kleinen Rechtsvorstellungen- und Praktiken in Einklang gebracht werden kann, bleibt ein äußerst wichtiges Thema, an dem sich die Fortentwicklung einer wahren Weltgesellschaft messen lassen muss.

Das ist aber nicht der Anlass dieses West Windows, sondern die verblüffende und nachdenklich machende Tatsache, dass der dringliche Appel zum Schweigen der Waffen des UN-Generalsekretärs António Guterres vom 23. März dieses Jahres mit dem Schweigen der Medien beantwortet wird. Das business as usual der Krönung der Schöpfung steht wegen der Corona-Pandemie nur scheinbar und teils still.

Die Vereinten Nationen sind also tatsächlich zum Fundstück degradiert, zu einer Rarität, die nur noch Spezialisten interessiert, nicht aber den westlichen Teil der Weltöffentlichkeit. Dort wo die Waffen morden, mag das anders sein. Der Tagesschau war die Rede am 23. und 24. März kein Bericht wert – anders als die Debatte um die Verschiebung der Olympischen Spiele, deren Friedensidee selbst aber längst nur noch Althistorikern bekannt ist.

Weil die Vereinten Nationen ein Thermometer für den Zustand der westlichen wie der Weltgesellschaft sind, thematisieren wir sie in diesem West Window. Dass gleich zitierte Rede kein Echo findet, lässt Rückschlüsse gerade über den Westen zu, der die UN auch deshalb mitgründete, um den unsagbaren Schrecken zweier unvorstellbar brutaler – Menschen und das Menschliche selbst vernichtenden – Weltkriege auf immer zu verhindern – auf immer! Dass nun aber folgende Rede nicht verfängt, dass die Vereinten Nationen kein Gehör mehr finden, dass der Krieg nicht nur denkbar, sondern da ist, das muss vor allem den Westen als Hauptakteur dieser Kriege zum Nachdenken und Stellen folgender Frage veranlassen: Warum Krieg?

 

“Our world faces a common enemy: COVID-19.  

The virus does not care about nationality or ethnicity, faction or faith.  It attacks all, relentlessly. 

Meanwhile, armed conflict rages on around the world. 

The most vulnerable — women and children, people with disabilities, the marginalized and the displaced — pay the highest price.

They are also at the highest risk of suffering devastating losses from COVID-19. 

Let’s not forget that in war-ravaged countries, health systems have collapsed. 

Health professionals, already few in number, have often been targeted.  

Refugees and others displaced by violent conflict are doubly vulnerable. 

The fury of the virus illustrates the folly of war. 

That is why today, I am calling for an immediate global ceasefire in all corners of the world. 

It is time to put armed conflict on lockdown and focus together on the true fight of our lives. 

To warring parties, I say: 

Pull back from hostilities.   

Put aside mistrust and animosity.  

Silence the guns; stop the artillery; end the airstrikes.  

This is crucial… 

To help create corridors for life-saving aid. 

To open precious windows for diplomacy.  

To bring hope to places among the most vulnerable to COVID-19.  

Let us take inspiration from coalitions and dialogue slowly taking shape among rival parties in some parts to enable joint approaches to COVID-19.  But we need much more. 

End the sickness of war and fight the disease that is ravaging our world. 

It starts by stopping the fighting everywhere. Now. 

That is what our human family needs, now more than ever.”[1]