BMBF fördert Projekt zur DDR-Forschung mit rund vier Millionen Euro

Mit rund vier Millionen Euro fördert das Bundesforschungsministerium in den kommenden Jahren ein Verbund-Forschungsprojekt der Universität Erfurt in Kooperation mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der Stiftung Ettersberg und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Es trägt den Titel „Diktaturerfahrung und Transformation: Biografische Verarbeitungen und gesellschaftliche Repräsentationen in Ostdeutschland seit den 1970er-Jahren“.

Rund ein Million Euro aus diesen Fördermitteln wird die Universität Erfurt fließen, denn mit Prof. Dr. Christiane Kuller, Prof. Dr. Sandra Tänzer, Prof. Dr. Alexander Thumfart und Prof. Dr. Jörg Seiler sind gleich mehrere Erfurter Professuren und Disziplinen am Projekt beteiligt. Das Vorhaben zielt unter anderem darauf, die beteiligten Institutionen längerfristig zu einem dauerhaften Zentrum universitärer Forschung und Lehre zu DDR und Transformationszeit zusammenzuführen.

„Die Erforschung der DDR-Diktatur und ihrer Herrschaftsmechanismen bleibt in unserer Zeit hochaktuell“, sagt dazu Thüringens Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee. „Sie kann helfen, den liberalen, demokratischen Rechtsstaat vor den Versuchungen autoritärer Herrschaftsausübung zu schützen, die mit ihren scheinbar einfachen politischen Antworten und Mechanismen in der Vergangenheit schon zu oft ins Verderben geführt hat. Diese Forschung trägt zugleich dazu bei, das Wissen über das DDR-Unrecht lebendig zu halten und damit zu verdeutlichen, welchen hohen Wert Freiheit und Demokratie heute haben.“

Nahezu zwei Drittel der Thüringer haben heute eine „positive Einstellung“ zur DDR. Das sind zehn Prozentpunkte mehr als bei einer Befragung im Jahr 2005. Zwar wird das politische System der SED-Diktatur mehrheitlich als „Unrechtsstaat“ abgelehnt, der vermeintliche „gesellschaftliche Zusammenhalt“ jedoch wird positiv erinnert. Diese Sichtweise teilen die Zeitgenossen mit den Nachgeborenen, deren Urteil nicht auf persönlicher Erfahrung beruht, sondern durch Familienerzählungen geformt wird; Schule und Gedenkstätten spielen bei der Ausprägung von Geschichtsbildern hingegen eine deutlich nachgeordnete Rolle. Die Urteilsbildung über die DDR basiert so in erheblichem Maße nicht auf kritisch-reflektiertem Wissen, sondern auf lebensweltlichen Erfahrungen, die im Familiengedächtnis bewahrt und tradiert werden. Dieser im Thüringen-Monitor 2015 diagnostizierte Befund der „Diktaturverharmlosung“ ist ein gesamt-ostdeutsches Phänomen. Es steht in scharfem Kontrast zu der Fülle an wissenschaftlichen Forschungen zur Geschichte der SBZ/DDR. Was diese an Einsichten etwa zur Geschichte der SED, zum Aufbau und zum Vorgehen des Ministeriums für Staatssicherheit, zur Wirtschafts-, Sozial- und Alltagsgeschichte der DDR und zu ihren außenpolitischen Rahmenbedingungen erbracht haben, spielt in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Debatte eine vergleichsweise geringe Rolle. Daneben sehen sich Museen und Gedenkstätten einer medialen und privatwirtschaftlichen Konkurrenz gegenüber, die DDR-Geschichte als vermeintlich unpolitischen Alltag behandelt und deren Erfolg auf gesellschaftliche Befindlichkeiten verweist, die mit dem strapazierten Begriff der Aufarbeitung nicht zu fassen sind und diesem nicht selten zuwiderlaufen.

Ausgangspunkt des nun geförderten Forschungsprojektes ist die Annahme, dass nicht allein individuelle und kollektive Erfahrungen während der DDR selbst, sondern ebenso die tiefen biografischen Umbruchserfahrungen der Nachwendezeit die Erinnerung an die DDR prägen. Aus den politischen Debatten der Jahre 1989/90 erwuchs im darauffolgenden Jahrzehnt ein Erinnerungskonflikt, der bis heute nachwirkt. Daraus ergibt sich der zeitliche Zuschnitt des Vorhabens, das die beiden letzten Jahrzehnte der DDR und die beiden nachfolgenden Jahrzehnte der Transformation zusammen in den Blick nimmt und die historische Zäsur von 1989/90 bewusst überschreitet. Hieraus resultieren auch die beiden leitenden Forschungsfragen. Erstens: Aus welchen konkreten Erfahrungen der späten DDR und der Transformationszeit speisen sich gegenwärtige Erinnerungen, wie werden sie artikuliert und tradiert? Zweitens: Wie verhalten sich diese Erinnerungen zu den vielfältigen öffentlichen Repräsentationen der DDR, und wie unterstützen oder verhindern letztere differenzierte Formen historischer Urteilsbildung?

Die im Rahmen des Projekts betriebene Forschung soll jedoch nicht im viel zitierten „Elfenbeinturm“ stattfinden. Die Verbundpartner wollen mit zahlreichen Formaten die Ergebnisse ihrer Arbeit in die Öffentlichkeit tragen. So sind beispielsweise Lehrerfortbildungen geplant. Neben verschiedenen Workshops soll es zudem Foren mit Medienvertretern, Lehrern und anderen Multiplikatoren, Künstlern sowie der interessierten Öffentlichkeit geben. Weitere Ideen sind Citizen-Science-Projekte, Lesungen, Ausstellungen, Künstlergespräche, die Spurensuchen an historischen Orten als Wanderungen oder Fahrradtouren sowie ein ost-west-deutscher Schüleraustausch. Didaktiker, Lehrer und Studierende werden darüber hinaus gemeinsam Bildungsmaterialien entwickeln, die über ein Online-Portal zugänglich gemacht werden sollen. Und vor dem Hintergrund, dass ein großer Teil der Forschungsarbeit auf Zeitzeugeninterviews basieren wird, ist geplant, an der Universität Erfurt eine Forschungsstelle Zeitzeugenbefragung (FSZB) einzurichten, die unter anderem Lehrangebote an den beteiligten Universitäten und Institutionen sowie Fortbildungen für Lehrer und interessierte gesellschaftliche Kräfte anbieten soll. Und in einem Pilotprojekt wird die Stiftung Ettersberg eine Online-Plattform zur Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße entwickeln. Sie soll 2019 mit dem Schwerpunkt „Erste Stasi-Besetzung in Erfurt“ starten und stetig um alle weiteren relevanten Bereiche der Hausgeschichte erweitert werden.