Neue Publikation: „Katholische Schriftstellerinnen“

Seit September 2016 gibt es an der Universität Erfurt ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt, das die Weiblichkeitszuschreibungen in Prosawerken katholischer Schriftstellerinnen in der Zeit zwischen dem katholischen Literaturstreit (1908/1910) und dem Zweitem Vatikanum (1962–1965) untersucht. Es trägt den Titel: „Katholische Schriftstellerinnen als Produkte und Produzentinnen ‚katholischer Weiblichkeit‘?“ und ist an der Professur für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit angesiedelt.

Mit diesem Projekt sollen innerkatholische Pluralisierungsdynamiken aufgezeigt werden. Am Beispiel von Schriftstellerinnen wird die Vielfalt der Differenzen und Identitäten in der Sozialgruppe schriftstellerisch tätiger Katholikinnen untersucht, die nicht verbandlich an die Kirche gebunden waren. Diese Vielfalt drückt sich in zäher Beharrung, schleichendem Wandel und (un-)gleichzeitigen emanzipativen Entwicklungen von Vorstellungen über eine katholische Geschlechterordnung aus. Mit Hilfe einer vergleichenden, datenbankgestützten Auswertung ausgewählter Prosawerke dieser Schriftstellerinnen wird nach einer „katholischen Weiblichkeit“ und geschlechtlich codierter Religion gefragt.

Die beeindruckende Diversität der Lebensläufe katholischer Schriftstellerinnen im Untersuchungszeitraum im Zusammenspiel mit der Analyse der Gestaltung weiblicher Figuren in den Prosawerken der Referenzgruppe lässt eine wesentlich größere Pluralität im Katholizismus bereits der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermuten als bislang in der Forschung angenommen. Hierbei geht das Projekt von einem programmatisch offenen Katholizismus-Begriff aus: Er meint zunächst formal die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche in einer bestimmten Phase oder als beständiges Kontinuum einer Biografie. Er beschreibt dann aber auch den „Eigensinn“ katholischer Laien am Beispiel verbandlich nicht (ein-)gebundener katholischer Schriftstellerinnen, dessen gestalterisch-innovative und/oder bewahrend-konservative Wirkmächtigkeit auf den Katholizismus im gesellschaftlichen (und nicht nur kirchlichen) Resonanzraum zum Ausdruck kommt und erforscht werden soll. Denn wer „katholisch“ ist, ist nicht nur geprägt durch eine konfessionelle Selbstbindung oder durch ein kirchenamtliches Gebundensein, sondern in mindestens gleichem Maße auch durch die Resonanz, die das Katholischsein im öffentlichen Raum und im privaten Leben hat und bewirkt.

Um das Projekt einer Fachöffentlichkeit vorzustellen, fand im Januar 2018 eine Tagung statt, deren Ergebnisse nun Prof. Dr. Jörg Seiler vorgelegt hat. Der Band widmet sich neben einzelnen Autorinnen, wie z. B. Annette Kolb, Gertrud von le Fort, Ruth Schaumann, Ilse Aichinger, bislang wenig beachteten Forschungsfeldern, etwa katholischen Lyrikerinnen in Anthologien der Nachkulturkampfära, der Covergestaltung und musikalischen Adaptionen entsprechender Prosawerke. Für das Projekt von besonderer Bedeutung sind die programmatischen Beiträge. Sie führen in die Anlage der erstellten Datenbank ein, erläutern die theoretischen und methodischen Grundannahmen des Projektes und geben am Beispiel der Erzählung „Wera Njedin“ (1925) von Annette Kolb Einblicke, wie ausgewählte Werke analysiert werden. Die Bedeutung und Funktion der Genderperspektive für die Katholizismusforschung wird besonders unter Berücksichtigung des Intersektionalitätsansatzes erörtert.

Jörg Seiler (Hrsg.)
Literatur – Gender – Konfession: Katholische Schriftstellerinnen I: Forschungsperspektiven

Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2018
ISBN: 978-3-7917-3003-5
216 Seiten
29,95 EUR