Bericht vom Studientag der European Graduate School zu Transformationsprozessen

Die Forschungsgruppe „European Graduate School: Theology in religious, cultural and political Processes of Transformation“ traf sich am 21. März 2022 in einem virtuellen Arbeitsraum zu einem Studientag. Das universitätsübergreifende Projekt der theologischen Fakultäten der Universität Erfurt, der Paris Lodron Universität Salzburg und der Katholieke Universiteit Leuven bearbeitet kirchliche und theologische Transformationsprozesse in unterschiedlichen Facetten.

VIELFÄLTIGE PERSPEKTIVEN AUF TRANSFORMATIONSPROZESSE

Am Vormittag präsentierten Forschende aus allen drei Standorten Forschungsprojekte im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Rahmenthema. Gregor Maria HOFF (Salzburg) stellte ausgehend von den vielfachen globalen, sozialen und kulturellen Verschiebungen die Frage nach der Auflösung des römischen Katholizismus. Diskutiert wurde nicht nur über die prozesshafte Form dieser Auflösung, sondern auch über die Offenlegung des Universalitätsanspruchs des römischen Katholizismus als einer bestimmten Ausformung des Katholischen.

Judith GRUBER (Leuven) präsentierte das Projekt „Dissenting Church“, in dem das Konzept des „Dissenses“ als epistemologisches und ekklesiologisches Prinzip entwickelt wird. Ausgehend vom Dissens-Begriff des französischen Philosophen Jacques Rancière stehen die Vielstimmigkeit und Ambiguität kirchlicher Tradition, kirchlichen Handelns und Lebens sowie deren Relevanz für die Ekklesiologie im Fokus.

Benedikt KRANEMANN (Erfurt) reflektierte anhand aktueller theologischer Sammelbände über eine „Erfurter Theologie“, die sich seit mehreren Jahrzehnten mit dem Spannungsfeld von kirchlichen Entwicklungen und einem säkularen Umfeld auseinandersetzt. Kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen verändern theologische Diskurse. Verschiedene Dissertations- und andere Forschungsprojekte der Theologischen Fakultät der Universität Erfurt be-schäftigen sich mit Teilaspekten dieser kirchlichen und theologischen Transformations- und Auflösungsprozesse.

In Kleingruppen wurden im Anschluss daran Beobachtungen zu religiösen und kirchlichen Transformationsprozessen diskutiert. Im Zentrum stand eine Leitkategorie der Forschungs-gruppe: jene der Transformation. Inwiefern ist der Begriff geeignet, die wahrnehmbaren Ver-änderungs- und Auflösungsprozesse zu beschreiben? Theologische Forschung muss dafür neue hermeneutische Ansätze entwickeln. Während wir uns in der Vormittagseinheit mit Transformationsprozessen aus einer allgemeineren (theologischen) Perspektive beschäftigten, stand in der Nachmittagseinheit des Studientages die Amazonien-Synode und ihre weltkirchliche Bedeutung als Spezialaspekt im Mittelpunkt.

DIE AMAZONIEN-SYNODE UND IHR TRANSFORMATIVES POTENTIAL

Eine Vorstellung des Sammelbandes „Laboratorium Weltkirche. Die Amazonien-Synode und ihre Potenziale“ (nähere Informationen hier), welcher in der Reihe Quaestiones Disputatae erschienen ist, war die theoretische Grundlage für den vertieften Austausch. Die Beiträge des Bandes diskutieren die Amazonien-Synode aus einer ekklesiologischen (Verhältnis von Orts- und Weltkirche), kulturellen (Inkulturation), sozialen (Befreiungstheologie) und ökologischen Perspektive (postkolonialer Diskurs), wobei von den Herausgebenden insbesondere die wech-selseitige Bedingtheit dieser Aspekte ins Bewusstsein gerufen wird.

Die Bedeutung der Synode für das eigene theologische Denken, länderübergreifende Thematiken sowie die Herausforderungen und Grenzen einer Synode, die weltweit rezipiert wird, waren zentrale Aspekte der Diskussion. Die praktische Relevanz dieser Fragestellungen konnte Professorin Sr. Birgit WEILER (Jesuitenuniversität in Lima, Peru) deutlich machen: Sie nahm an der Amazonien-Synode im Vatikan (Oktober 2019) teil. Durch ihre vielzähligen Erfahrungen und ihren persönlichen Einsatz konnte sie einen besonders guten Einblick in die Situation der Kirche im Amazonasgebiet geben. Als Hauptthemen ihrer Erzählungen und der anschließenden Diskussion kristallisierten sich folgende Themenfelder heraus: Die klimatischen Verände-rungen des Amazonasgebietes zeigen zentrale ökologische Kipppunkte auf, deren theologi-sche Relevanz durch eine Verschränkung von Lebensraum und religiösem Raum (alles ist miteinander in Beziehung) nochmals verschärft wird. Die ökologische Frage ist eng an die Macht-frage und an die nur unzureichend wahrgenommen Interessen der indigenen Völker gebunden. Es sei Aufgabe der Kirche von Lateinamerika, weltweites Bewusstsein für die Situation im Amazonasgebiet zu schaffen sowie eine Plattform zu bieten, wo die Menschen vor Ort ihre eigene Kultur und Stimme einbringen können. Insbesondere im Schlussdokument der Synode ist die Stimme der indigene Völker stark präsent. Die Synode in Rom hätte nicht so eine Tiefe gehabt, wenn vorher nicht die territorialen Treffen stattgefunden und die indigenen Völker sich nicht so stark für ihre Interessen eingesetzt hätten. Zudem wurde auch immer wieder für eine stärkere Rolle von Frauen in Leitungsämtern plädiert.

Die spannenden Berichte von Prof. Sr. Birgit Weiler bereicherten unseren Studientag sehr und erweiterten unsere Wahrnehmung und theologische Reflexion hinsichtlich der Amazonien- Synode im Speziellen und synodaler Prozesse im Allgemeinen.

Sarah Pieslinger und Elisabeth Höftberger
für das Team der European Graduate School