„Der Welsche Gast“ wurde von Thomasin von Zerklaere, einem Kleriker, um 1215/6 verfasst. Es ist mit knapp 15.000 Versen das erste monumentale Lehrgedicht des Mittelalters und zugleich eine der bedeutendsten Überlieferungen eines mittelhochdeutschen Versepos. „Welsch“ verweist auf den romanischen Sprachraum, aus dem der Verfasser selbst stammt. Es handelt sich hier also um einen Blick von außen auf die Zustände im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Das Gedicht ist Lehrwerk, Anstandsbuch und Liebesratgeber in einem, ein Werk, geschrieben für Adlige, die davon überzeugt werden sollten, wie ein geglücktes, moralisches tadelloses Leben zu führen wäre. Der Verfasser beklagt den sittlichen Verfall einer Gesellschaft, die von Tugend, Erziehung und Bildung nichts mehr wissen wollte.
Die Forschungsbibliothek Gotha besitzt die wohl schönste Ausgabe dieser mittelalterlichen Handschrift. Mit insgesamt 120 originellen Miniaturen ist diese Handschrift äußerst reich an Darstellungen, die die Gedankenwelt des Mittelalters für den Leser lebendig werden lassen. Die Bilder zeigen gestikulierende Figuren mit geschwungenen Spruchbändern, die als Sprechblasen fungieren. Man sieht ferner Ritter auf Pferden beim Kampf, Jünglinge beim Lernen, Menschen bei den unterschiedlichsten Tätigkeiten, die moralisch bewertet werden, kleine Tiere, himmlische Engel, aber auch finstere Gestalten wie den Teufel.
Detlef Goller studierte Deutsch, Sozialkunde und Geschichte auf Lehramt in Bamberg. Anschließend war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Halle-Wittenberg, wo er 2002 über intertextuelle Verweise zu den Werken Hartmanns von Aue im „Tristan“ Gottfrieds von Straßburg promoviert wurde. Aktuell ist er als akademischer Oberrat am Lehrstuhl für deutsche Philologie des Mittelalters an der Universität Bamberg beschäftigt.
Vor dem Vortrag findet um 16.30 Uhr eine Sonderführung durch die Schauräume der Forschungsbibliothek Gotha statt. Der Eintritt ist frei. Um eine Spende für den Freundeskreis der Forschungsbibliothek Gotha e.V. wird jedoch gebeten.