Die beteiligten Forscherinnen und Forscher ziehen daraus folgende Schlüsse:
Sorglosigkeit: Risiko und Verhalten
Die Risikowahrnehmung und Akzeptanz der Maßnahmen sinken fast auf das Niveau von vor dem Lockdown und spiegeln die aktuellen Entwicklungen zu mehr Lockerungen wider. Das Schutzverhalten ist weiter auf hohem Niveau, stagniert jedoch bzw. nimmt teilweise leicht ab.
AHA Regel: 88% der Befragten halten 1.5m Abstand (Abstandsregel), 81% waschen sich 20 Sekunden die Hände (Hygiene-Regel), 81% tragen eine Maske (Alltagsmasken-Regel). Personen, die die Maßnahmen übertrieben finden halten sich deutlich seltener an die Maßnahmen als andere, die die Lockerungen übertrieben und zu früh finden, und Personen, die indifferent sind.
Die Empfehlung der Wissenschaftler*innen lautet deshalb: Neue, notwendige Verhaltensweisen sollten zu Routinen und Gewohnheit werden. Dafür sollten verhaltensunterstützende Maßnahmen und Erkenntnisse aus den Verhaltenswissenschaften genutzt werden.
Maßnahmen oder Lockerungen ablehnen
Bei der Einschätzung der Maßnahmen und Lockerungen scheint es zum einen viele Unentschiedene zu geben (47%), aber auch zwei eher polarisierte „Lager“: 31% finden die Lockerungen (eher) übertrieben, während 21% die Maßnahmen für übertrieben halten.
Beim Vergleich dieser Gruppen fällt auf, dass die große Gruppe derer, die indifferent sind und die, denen die Lockerungen zu schnell gehen, ein ähnliches psychologisches „Profil“ aufweisen (z.B. höhere Risikowahrnehmung, ähnlich viel Schutzverhalten).
Personen, die die Corona-Schutzmaßnahmen für übertrieben halten (etwas ein Fünftel), sind schlechter informiert, vertrauen den Behörden weniger, fühlen ein geringeres Risiko, nehmen den Ausbruch als einen „Medien-Hype“ wahr und hängen eher Verschwörungstheorien an (sowohl habituell als auch konkret auf Corona bezogen). Sie haben größere persönliche Sorgen um ihre finanzielle Sicherheit oder den Arbeitsplatz. Hier ist auch der Wunsch nach Demonstrationen höher.
Um diese Gruppe zu erreichen, sollten Strategien der Risikokommunikation entwickelt – ihre Sorgen wahr- und ernstgenommen werden. Maßnahmen, die individuelle Existenzängste reduzieren, können auch für die Unterstützung des künftigen Infektionsschutzes hilfreich sein.
Sorgen
Die Sorgen der Befragten um die Wirtschaftskraft in Corona-Zeitenbleiben stabil hoch. Die Befürchtung, dass die Pandemie die soziale Ungleichheit verstärkt, bleibt nach wie vor bestehen. Die Sorgen um ein überlastetes Gesundheitssystem sind mittelmäßig ausgeprägt und nicht weiter gestiegen.
Das Thema Ungleichheit ist deshalb nach Ansicht der Wissenschaftler*innen ein wichtiger Faktor in der Kommunikation.
Vertrauen
Das Vertrauen in die Wissenschaft, die Bundesregierung und die WHO ist relativ stabil, während das Vertrauen in Behörden, den Gesundheitssektor und die Medien leichten Schwankungen unterliegt.Krankenhäuser und Ärzte genießen weiter hohes Vertrauen, alle anderen Institutionen pendeln sich auf einem etwas niedrigerem Niveau (als Ende März) ein.
Das Vertrauen in die Behörden ist ein wichtiger Einflussfaktor für die Akzeptanz vieler Maßnahmen (z.B. auch Akzeptanz einer Tracing-App, einer möglichen Impfung gegen COVID-19, der Beibehaltung der Maßnahmen etc.) und deshalb besonders schützenswert. Vor diesem Hintergrund bleibt eine transparente Kommunikation wichtig.
Nutzung von Tracing-Apps
Die Bereitschaft zur Nutzung einer Tracing-App ist unter den Befragten weiter stabil. 50% (Vorwoche 47%) sind eher bereit oder bereit, sich eine datenschutzkonforme App zu installieren. Das Vertrauen in die Behörden spielt dabei nach wie vor eine Rolle bei der potenziellen Akzeptanz der App.
Hypothetische Impfung gegen das Coronavirus
63% würden sich (eher) gegen COVID-19 impfen lassen, Mitte April waren es noch 79%, seitdem sinkt die Bereitschaft wieder. Aber das Vertrauen in die Impfung und die Behörden ist wesentlich für die Impfbereitschaft. Denn: Bei einer angenommenen Basisreproduktionsrate von R0 = 3 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html) und einem perfekt wirksamen Impfstoff würde eine Impfbereitschaft von 66% nicht ausreichen, um die Verbreitung des Virus zu stoppen. Deshalb ist eine transparente Risikokommunikation zu erwarteten Nutzen und Risiken einer Impfung gegen COVID-19 ist wichtig.
Immunitätspass
Immunität ist die Bedingung für einen Immunitätspass. Das Wissen hierzu ist nicht stark ausgeprägt, das zeigt sich auch in der Bevölkerung, in der noch viele eher skeptisch gegenüber einem Immunitätspass eingestellt sind: 24% denken, dass man nach einer COVID-19 Infektion immun ist; dieser Anteil sinkt seit April. 45% aller Befragten sind der Meinung, dass ein Immunitätsausweis nicht eingeführt werden soll (Vorwoche 45%). Die Wissenschaftler*innen empfehlen deshalb: Sollte ein Immunitätspass eingeführt werden, sollte sehr klar der Nutzen des Passes kommuniziert werden.
Verschwörungstheorien
Über Corona sind bereits einige Verschwörungstheorien aufgetaucht. Zwei gegensätzliche Theorien (Corona ist menschengemacht vs. ist ein Schwindel) sind nur gering verbreitet, jeweils 17% der Befragten stimmen (eher) zu. Diese Anteile sind seit der Vorwoche praktisch gleich geblieben; das allgemeine Verschwörungsdenken hat seit Ende März leicht nachgelassen.
Wer allerdings an die eine Theorie glaubt, glaubt auch eher an die andere; 10% der Befragten glauben an beide Theorien. Anhängern von Verschwörungstheorien scheint es weniger um die absolute Überzeugung von einer Ansicht zu gehen als um die Ablehnung einer “offiziellen“ Sichtweise. Wer diesen alternativen Sichtweisen anhängt, hält sich weniger an die Regeln, vertraut weniger der Regierung und der WHO und lehnt Maßnahmen eher ab.
Verschwörungstheorien sind dabei besonders unter Personen verbreitet, die die Maßnahmen ablehnen.
Eltern und Kinder
Bei der Frage, inwieweit Eltern sich in der aktuellen Situation überfordert fühlen, zeigt sich, dass sich eher Eltern mit Kindern im Alter von 3 bis unter 6 Jahren überlastet und überfordert fühlen als Eltern mit älteren Kindern. In allen Kinderaltersgruppen, v.a. aber zwischen 3 und 6 Jahren, wird beispielsweise die maximal empfohlene Fernsehdauer überstiegen.
Vor diesem Hintergrund sollten besonders für Eltern jüngerer KinderUnterstützungsmöglichkeiten erarbeitet und niederschwellig verfügbar gemacht werden.
Corona, Europa und die Welt
27% der Befragten waren in dieser Woches (eher) bereit, zu spenden, um zur Corona-Bewältigung in anderen Ländern beizutragen. Mehr als 50% stimmen dabei der Aussage zu, Deutschland sollte verstärkt mit internationalen Organisationen – wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der EU – zusammenarbeiten, um gemeinsam Entwicklungsländer zu unterstützen. Aber auch wenn den Befragten die prekäre Situation in Entwicklungsländern bewusst ist und globale Solidarität befürwortet wird, sieht ein deutlich geringerer Anteil der Befragten Deutschland als moralisch verpflichtet, zu helfen.
Weitere Informationen / Kontakt:
Prof. Dr. Cornelia Betsch
E-Mail: cornelia.betsch@uni-erfurt.de