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„Eine Verpflichtung, aber auch eine Herzensangelegenheit“

Das audit familiengerechte hochschule – das Instrument, mit dem Hochschulen ihre familiengerechten Arbeits- und Studienbedingungen gestalten – ist 20 Jahre alt geworden. Bereits seit 17 Jahren trägt die Universität Erfurt das Zertifikat. Im folgenden Interview, das zuerst im Blog der berufundfamilie Service GmbH erschienen ist, berichtet das Team des Gleichstellungs- und Familienbüros der Uni Erfurt, was sich auf dem Campus in Sachen Vereinbarkeit getan hat und tut...

berufundfamilie: Die Universität Erfurt ist seit 2005 nach dem audit familiengerechte hochschule zertifiziert. Was sind für Sie die wesentlichen Effekte des Managementinstruments?
Schritt für Schritt wurden Beratungs-, Betreuungs- und Unterstützungsangebote an der Universität Erfurt ausgebaut und sichtbarer gemacht. Maßnahmen, die 2005 neu eingeführt wurden, sind mittlerweile etabliert und selbstverständlich. Es war und ist für uns sehr hilfreich, in jedem Re-Auditierungsverfahren und den inzwischen darauf aufbauenden Dialogverfahren zu reflektieren: Was waren unsere Ziele? Was haben wir geschafft? Was können wir noch besser machen? Einige Beispiele können wir dabei hervorheben, mit denen wir einen wesentlichen und nachhaltigen Effekt für unsere familiengerechte Hochschule erzielt haben:

  • seit 2008: Möglichkeit zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung mit besonderer Berücksichtigung der Familienarbeit und Telearbeitsplätze; Weiterentwicklung seit 2011: Flexible Arbeitsortgestaltung (Home-Office/Mobiles Arbeiten)
  • seit 2011: Verankerung des Engagements für Vereinbarkeit von Beruf/Studium und Familie in der Grundordnung, dem Gleichstellungskonzept und dem Gleichstellungsplan der Universität Erfurt
  • seit 2013: Flexible Kinderbetreuung „Räuberhöhle“ an der Universität Erfurt und „Kinderladen“ an der Fachhochschule Erfurt als Kooperationseinrichtungen gemeinsam mit dem Studierendenwerk Thüringen für den Hochschulstandort Erfurt
  • seit 2018: Schaffung von Möglichkeiten, Kinder bei Betreuungsengpässen an den Arbeitsplatz mitzubringen und Möglichkeit der Nutzung eines Eltern-Kind-Arbeitsraumes in der Universitätsbibliothek; Weiterentwicklung seit 2020: Mobile Spielkisten nach Altersgruppen zur Ausleihe über das Gleichstellungs- und Familienbüro der Universität Erfurt

berufundfamilie: Hochschulbetrieb zu Corona-Zeiten: Was sind Ihre Erkenntnisse? Was wird bleiben zur besseren Vereinbarkeit von Beruf bzw. Studium, Familie und Privatleben?
Mit hohem Engagement aller Beteiligten ist es der Universität Erfurt gelungen, binnen kurzer Zeit den Präsenzbetrieb auf Fern-/Online-Betrieb umzustellen. Dazu beigetragen hat neben den Sonderfinanzierungen für Geräte und Lizenzen auch die Bereitschaft der Mitarbeitenden und Studierenden, sich auf neue Lehr-, Lern- und Arbeitsformate einzustellen. Wir kennen nun alle die Vor- und Nachteile von Videokonferenzen. Für zahlreiche Sitzungen und Besprechungen wird das Online-Format weiterhin genutzt, es entfallen damit Arbeitswege. In Lehrveranstaltungen können Hybrid-Settings ermöglicht werden: Studierende können im Betreuungs- oder Krankheitsfall die Lehrenden bitten, die Veranstaltung per Videokonferenz und Raummikrofon zu übertragen. Für Studierende mit Care-Aufgaben oder für Schwangere in Veranstaltungen mit Maskenpflicht war dies von großer Bedeutung. Das mobile Arbeiten bzw. das Arbeiten im Home-Office ist selbstverständlicher geworden und wird sicherlich in Dienstvereinbarungen erhalten bleiben. Diese Flexibilisierung ist ambivalent, wie so häufig. Das ortsunabhängige Arbeiten kann die Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Pflichten erleichtern. Es besteht aber auch die Gefahr, dass die Belastung gerade von Frauen mit Erziehungsaufgaben in Beschäftigungsverhältnissen oder im Studium weiter steigt, weil sich im Home-Office meist ein Nebeneinander von Betreuungsaufgaben und Arbeit bzw. Studium einstellt. Es wäre zu wünschen, dass die Flexibilisierung der Arbeit auch dazu beiträgt, Betreuungsaufgaben den Wünschen der Elternteile entsprechend aufzuteilen. Nur dann kann die Flexibilisierung auch zur Lebensqualität beitragen.

berufundfamilie: Um Vereinbarkeitsangebote bekannt zu machen und ihre Tragfähigkeit zu stärken, bedarf es zielgerechter Kommunikation. Aufgrund der verschiedenen Statusgruppen (nichtakademische Beschäftigte, wissenschaftliche Mitarbeitende, Studierende) kann das eine Herausforderung sein. Wie meistern Sie diese?
Wir machen über verschiedene Kanäle auf Vereinbarkeitsangebote aufmerksam, um so unsere verschiedenen Statusgruppen gezielt anzusprechen: Studierende erhalten Angebote im Lernmanagementsystem Moodle. Veranstaltungshinweise und Informationen für die in der Wissenschaft und Lehre Tätigen werden von uns an die Dekanate der Fakultäten übermittelt und von dort weitergeleitet. Für nichtakademische Beschäftigte stellen wir Informationen im Intranet oder per E-Mail bereit. Darüber hinaus wird in universitären Gremien auf Neuigkeiten hingewiesen. Natürlich werden alle Informationen und Hinweise auf Angebote auch auf den Webseiten des Gleichstellungs- und Familienbüros eingepflegt. Für Printmaterial (Postkarten, Flyer) nutzen wir verstärkt auch QR-Codes, um direkt zum Online-Angebot zu verweisen.

berufundfamilie: Im Zuge von #IchbinHanna gibt es immer wieder Diskussionen um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) und das darin enthaltene Sonderbefristungsrecht. Ist die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft so überhaupt möglich? Welche Möglichkeiten sehen Sie als Hochschule?
Mit dem Hashtag #IchbinHanna wurde eine längst überfällige Debatte in die Öffentlichkeit getragen. Das im Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) verankerte Sonderbefristungsrecht verschärft besonders die Situation von Wissenschaftler*innen mit Familienverantwortung. Zwar kann die Höchstbefristungsdauer für Personen mit Betreuungsaufgaben verlängert werden. Doch die Praxis der kurzen Vertragslaufzeiten stellt mit der damit verbundenen Unsicherheit über die Perspektiven in der Phase der Familiengründung eine besondere Hürde dar. Ein Umzug in eine andere Universitätsstadt stellt sich eben bei einer in Aussicht gestellten Vertragslaufzeit von zwei Jahren mit einem Kind oder Kindern wegen des familiären Unterstützungssystems und der Suche nach einer Wohnung sowie Betreuungseinrichtungen anders dar als für Menschen ohne Kinder, die in solchen Anstellungsphasen oft fernpendeln. Sind beide Partner in der Wissenschaft tätig, wird die Koordination äußerst schwierig.
Wo die Länder und Hochschulen Gestaltungsspielräume haben, junge Wissenschaftler*innen in dieser Phase zu unterstützen, etwa bei den Vertragslaufzeiten, sollten sie genutzt werden. Doch letztlich ist es die Aufgabe der Politik, zum einen das WissZeitVG zu evaluieren und zu novellieren und zum anderen die Ressourcen bereitzustellen, um fähige Nachwuchskräfte in der Wissenschaft zu halten und die Attraktivität des Wissenschaftsstandorts Deutschland zu erhalten. Daran zu erinnern, ist offenbar dringend nötig.

berufundfamilie: In § 6 des Thüringer Hochschulgesetzes ist festgelegt, dass Hochschulen Gleichstellungspläne zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und der Erhöhung des Anteils von Frauen am wissenschaftlichen und künstlerischen Personal aufstellen. Inwieweit nutzen Sie die Maßnahmen im audit zur Erfüllung Ihres Gleichstellungsplans?
Die Weiterentwicklung eines barrierefreien, familiengerechten und diversitätssensiblen Umfelds macht den Campus und das Arbeitsleben für alle inklusiver und wertschätzender. Die spezifischen Situationen von Wissenschaftler*innen mit Care-Aufgaben werden als Teil der Maßnahmen im audit verstärkt berücksichtigt und gut kommuniziert, so dass die Universität Erfurt schon vor der Einstellung bzw. Bewerbung als attraktive Arbeitgeberin wahrgenommen wird.

berufundfamilie: Die Uni Erfurt verfügt über eine Richtlinie zur „Guten Arbeit in der Wissenschaft“. Wie trägt diese – ergänzend zum audit familiengerechte hochschule – zu einer familiengerechten Wissenschaft und Lehre bei?
In der Richtlinie sind Mindestbeschäftigungsdauern und -umfänge für z.B. Qualifizierungsstellen geregelt. Gerade die uniinterne Mindestbefristungsdauer von vier Jahren für Promotionsstellen kann für mehr Verlässlichkeit und Planungssicherheit sorgen.
Ein konkretes Beispiel ist die sogenannten Verlängerungsautomatik: In § 2 WissZeitVG ist geregelt, dass sich die Befristungsdauer für Zeiten von Mutterschutz und/oder Elternzeit verlängert. An der Universität Erfurt erhalten die Beschäftigten schon bei Antragstellung der Elternzeit die Option, der Vertragsverlängerung zuzustimmen (vgl. § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 WissZeitVG).
Aber auch die Vorgaben des Thüringer Gleichstellungsgesetzes tragen dazu bei, dass Stellenausschreibungen grundsätzlich den Hinweis enthalten, dass eine Teilzeitbeschäftigung möglich ist und geprüft wird.

berufundfamilie: Stichwort „zusammen“: Zusammen mit dem Studierendenwerk Thüringen und der FH Erfurt betreiben Sie die flexible Kinderbetreuung „Räuberhöhle“ und organisieren regelmäßig Veranstaltungen für Familien. Wie kam es zu dieser Kooperation?
Für unsere Studierenden mit Kind(ern) in Erfurt ist es den Hochschulen und dem Studierendenwerk Thüringen eine Verpflichtung, aber auch eine Herzensangelegenheit, einen chancengerechten Zugang zum Studium zu bieten. Besonders für alleinerziehende Elternteile, die aufgrund ihrer Care-Aufgaben von einem Studium absehen oder es abbrechen würden, soll die flexible Kinderbetreuung eine Absicherung sein und ihnen damit ein Studium in Erfurt ermöglichen. Studierende Eltern können die „Räuberhöhle“ auf dem Campus unserer Universität oder den „Kinderladen“ an der Fachhochschule Erfurt mit ihren einzeln buchbaren Blockzeiten als zusätzlichen Betreuungsbaustein während der Seminarzeiten nutzen. Aus diesen guten Gründen entstand die Kooperation am Hochschulstandort Erfurt, von der (nicht nur) die studentischen Familien profitieren und die sich seit Jahren einer hohen Nachfrage erfreut.

berufundfamilie: Eine beispielhafte Vereinbarkeitsmaßnahme für Studierende ist der Ausweis „Erziehen und Studieren“. Erläutern Sie uns bitte, was es damit auf sich hat?
Mit Vorlage der Geburtsurkunde des Kindes können studierende Mütter und Väter im Studiendezernat den Ausweis „Erziehen und Studieren“ beantragen. Zusammen mit diesem wird ein Begleitschreiben der Hochschulleitung zur Vorlage bei den Lehrenden ausgehändigt, das ausdrücklich dazu auffordert, die Doppelbelastung der Studierenden im Studienalltag zu berücksichtigen. Damit können Studierende beispielsweise um Priorisierung bei der Aufnahme in Lehrveranstaltungen bitten. Der Ausweis „Erziehen und Studieren“ leistet somit einen Beitrag zur hochschulweiten Sensibilisierung für die Belange von Studierenden mit Familienverantwortung.