| Erfurt School of Education, Erziehungswissenschaftliche Fakultät, Philosophische Fakultät, Studium

"Ich bin optimistisch, dass wir im Herbst 2024 mit 40 bis 50 Studienanfänger*innen starten können"

In Thüringen fehlen – wie überall in der Republik – Lehrkräfte an Schulen. Nun sind Ideen gefragt, wie man diesen Mangel beheben kann. Thüringens Bildungsminister Helmut Holter hatte Ende 2022 unter anderem dafür plädiert, auch Fachhochschulabsolvent*innen unbefristete Stellen im Seiteneinstieg zu ermöglichen, die Hürden für Lehrkräfte aus dem Ausland abzusenken und ein duales Studium für Regelschullehrkräfte einzuführen. Das Personal für die Regelschulen in Thüringen wird bislang an der Universität Erfurt und auch in Jena ausgebildet. Wir sprachen mit Prof. Dr. Gerd Mannhaupt, dem Vizepräsidenten für Studienangelegenheiten und Direktor der Erfurt School of Education, über die Pläne…

Was ist denn das Problem mit den Regelschullehrer*innen, Herr Professor Mannhaupt – warum gibt’s in Thüringen so wenige?
Das liegt zum einen daran, dass gerade viele Lehrerinnen und Lehrer in Rente gehen und nicht in gleichem Maße neue an den Schulen starten. Zum anderen aber auch daran, dass das Image der Regelschulen gelitten hat. Wo es nur irgend möglich ist, schicken Eltern ihre Kinder zum Gymnasium. Nicht immer ist das für die Kinder die beste Lösung. Unter anderem vor diesem Hintergrund fehlen uns aber auch die Studienanfänger*innen für das Lehramt an Regelschulen. Rund 90 Prozent von ihnen haben ja selbst keine Regelschule besucht, kennen sie also nicht und können das Image dieser Schulen für sich nicht mit eigenen positiven Erfahrungen korrigieren. Deshalb haben wir in den vergangenen Jahren auch vermehrt um Studienanfänger*innen für das Lehramt an Regelschulen geworben – übrigens mit Erfolg, wie man in diesem Jahr sehen kann, wir haben die Zahl beinahe verdoppeln können.

Dem Mangel an Lehrkräften in den Regelschulen will man im Land jetzt begegnen, in dem man ein duales Regelschullehramtsstudium einführt…
Unter anderem, ja. Zum einen werden seit drei Jahren in nennenswerter Größenordnung Seiteneinsteiger*innen eingestellt. Das sind dann aber Lehrkräfte, die z. B. aus der der freien Wirtschaft kommen, nur ein Fach unterrichten können und in der Regel auch keine pädagogischen oder fachdidaktischen Kenntnisse mitbringen. Deshalb müssen sie diesbezüglich nachqualifiziert und meistens auch noch in einem weiteren Fach ausgebildet werden. Das duale Studium für das Regelschullehramt soll nun einen anderen Weg gehen.

Was ist da genau geplant, Herr Professor Mannhaupt, wie muss man sich das vorstellen?
Ein duales Studium für den gewerblichen Bereich läuft normalerweise so ab, dass die Studierenden zwölf Wochen am Stück im Vollstudium sind und dann ein zwölfwöchiger Block Praxis im Unternehmen folgt. An Schulen würde das aber schulorganisatorisch nicht funktionieren. Deshalb werden wir Schulpraxis und Studium parallel laufen lassen – d. h. die Studierenden gehen zwei Tage in die Schule und drei Tage zur Universität. Und genau das ist für uns auch die große Herausforderung, denn wir wollen ja keine Parallelstrukturen in unserem Lehrbetrieb aufbauen, sondern die vorhandenen Ressourcen, sprich: Lehrangebote, nutzen. Für uns bedeutet das, den Lehrbetrieb so anzupassen, dass montags und freitags keine Pflichtveranstaltungen für Lehramtsstudierende stattfinden, damit die dual Studierenden an diesen Tagen an den Schulen sein können. Dazu haben wir viele Gespräche innerhalb der Universität Erfurt geführt und jetzt wissen wir: Wir kriegen das hin.

Gibt es für unsere Pläne schon Vorbilder in anderen Bundesländern, bei denen wir uns etwas „abschauen“ könnten?
Nein, ein grundständiges duales Regelschulstudium gibt es bislang in Deutschland nicht. Wir wären die erste Universität, die das anbieten würde. Wir erfinden den Studiengang quasi neu. Auch in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz gibt es dazu Pläne, aber die sind auch noch nicht so weit.

Inwiefern unterscheidet sich die duale Variante inhaltlich vom regulären Studium Regelschullehramt?
Inhaltlich im Grunde gar nicht, aber organisatorisch sehr wohl. Und zwar zunächst einmal dadurch, dass die Studierenden im dualen Studium vom ersten Tag an in ihrer Praxisschule angestellt sind (und Geld verdienen) und nicht erst am Ende in die Praxis starten. Die „Bachelor-Phase“ dauert bei ihnen acht Semester, die „Master-Phase“ dagegen nur zwei – nicht sechs plus vier. Die dual Studierenden starten schon zu Beginn des Schuljahres (und nicht erst im Oktober) mit einem Onboarding-Praktikum in den Schulen und absolvieren weitere Praxisanteile in den ersten beiden Semestern während der vorlesungsfreien Zeit. Ab dem dritten Semester sind sie dann zwei Tage pro Woche in der Schule und drei Tage an der Universität. Der Studienumfang insgesamt ist in beiden Varianten gleich, jedoch studiert man in der dualen Variante zunächst einmal nur das Hauptfach und zwar in etwas größerem Umfang. Dies ist u. a. durch den Wegfall des Studium Fundamentale möglich. Das zweite Fach kommt dann erst im 7. Semester hinzu.

Wenn man in der dualen Variante schon eine Anstellung hat, also auch Geld verdient, warum sollte man denn dann überhaupt noch in der regulären Variante studieren?
Das ist eine berechtigte Frage, aber nur auf den ersten Blick. Denn man muss schon klar sagen, dass dieses duale Studium kein „Spaziergang“ wird. Es hat neben der Fahrbelastung (wegen des Pendelns zwischen Universität und Schule) sowie durch die Zweigleisigkeit auch einen deutlich höheren „Workload“ und verlangt den Studierenden sicherlich einiges ab. Und im Gegensatz zum regulären Studiengang sind auch die Gestaltungsmöglichkeiten im dualen Studium geringer – nicht zuletzt hinsichtlich der Fächerkombinationen. Das duale Studium wird sich auf die Fächer Deutsch, Mathematik, Englisch, Sport und Technik beschränken, wobei hier alle Zweierkombinationen möglich sind.

Aber womöglich sind es auch nicht in erster Linie die Abiturienten, die diese Variante wählen werden, sondern eher „Spätentscheider“, also Personen, die schon erste berufliche Erfahrungen im Bereich Bildung/Pädagogik gesammelt haben und nun den Lehrerberuf ergreifen wollen. Oder Personen, die schon älter sind, Kinder haben und auf ein monatliches Gehalt nicht verzichten können. Aber ich denke, auch für Erstakademiker, also Personen, die als erste in ihrer Familie studieren, könnte das ein attraktives Angebot sein. Das wissen wir aus vielen Gesprächen mit Studieninteressierten. Denn durch das Gehalt und die frühe Festanstellung haben sie eine gewisse Sicherheit, die in Nicht-Akademiker-Familien doch oft eine Rolle spielt.

Und könnten Studierende, die jetzt bereits im Lehramt Regelschule studieren, in das duale Studium wechseln, um früher in den Beruf zu kommen?
Nein, das ist nicht möglich. Sie müssten praktisch neu anfangen, nicht nur wegen der Asymmetrie der Studienanteile in beiden Varianten. Sie müssten ja auch in eine Anstellung beim Land bzw. dem zuständigen Schulamt kommen.

Wie siehts denn mit der Qualität des Unterrichts bei den dual Studierenden aus – wie kann sie sichergestellt werden? Diese Kandidaten bringen ja zunächst erst einmal viel weniger Erfahrungen mit in die Schule. Läuft man da nicht Gefahr, Lehrer „2. Klasse“ zu produzieren?
Nein, das wäre ja auch fatal. Für das duale Studium gelten insgesamt dieselben Studienumfänge wie für das reguläre Lehramtsstudium. Dabei halten wir uns ganz klar an das Thüringer Lehrerbildungsgesetz. Und da die dual Studierenden auch erstmal nur ein Fach unterrichten (und studieren) sind sie darin natürlich auch schneller fit. Und es ist ja auch nicht so, dass die dual Studierenden vom ersten Tag an allein vor einer Klasse stehen. Mit dem Unterrichten starten sie im 3. Semester und dies auch immer begleitet von einer Lehrkraft der Praxisschule. Erst mit zunehmender Erfahrung, mit umfangreicheren Fach- und didaktischen Kenntnissen sollen sie dann auch selbstständiger unterrichten. Zugleich bieten wir den dual Studierenden auch eine intensivere fachdidaktische Begleitung an der Universität an.

Und wenn sie feststellen, dass das mit dem Lehrerberuf doch keine gute Idee war und sie das Studium in dieser Form nicht packen?
Dann können die Studierenden immer noch in unsere regulären BA-Fächer wechseln und den Bachelor-Abschluss für einen anderen Beruf anstreben. Der Zeitverlust wäre dabei überschaubar, denke ich.

Für diejenigen, die jetzt neugierig geworden sind: Wann können die sich an der Uni Erfurt bewerben und wie funktioniert das mit der Bewerbung?
Zunächst brauchen die Studienbewerber*innen einen Studienvertrag mit der Schule, in der sie unterrichten werden, bzw. mit dem zuständigen Schulamt. Das heißt, zunächst muss man sich dort bewerben. Dafür wird es nach jetzigem Stand eine Online-Bewerbungsplattform geben. Mit dem Studienvertrag werden wir sie dann bei uns immatrikulieren. Und diejenigen, die Sport unterrichten wollen, benötigen darüber hinaus, ebenso wie die regulär Studierenden, den Nachweis über eine bestandene Sport-Eignungsprüfung.

Wann könnte es denn mit dem dualen Studium an der Uni Erfurt losgehen, und was muss noch an Hausaufgaben gemacht werden, um die Idee in die Tat umsetzen zu können?
Wir planen aktuell, zum Wintersemester 24/25 zu starten. Bis dahin müssen die notwendigen Studien- und Prüfungsordnungen erarbeitet, der Studiengang muss akkreditiert werden und es braucht entsprechende Kooperationsverträge mit den Praxisschulen bzw. den Schulämtern. Aber ich bin optimistisch, dass wir dann wirklich mit 40 bis 50 Studienanfänger*innen starten können.

Kontakt:

Vizepräsident für Studienangelegenheiten
(Präsidium)
Lehrgebäude 2 / Raum 202
Sprechzeiten
Dienstag 16 - 17 Uhr
sowohl in Präsenz als auch über Webex
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