Was waren die Ziele der Tagung und mit welchen Erwartungen sind Sie in die Veranstaltung gegangen?
Ich hatte zwei Ziele: Das eine war, das Research Centre würdig zu eröffnen. Und zweitens wollte ich, dass wir direkt in die Arbeit und damit in die Diskussion einsteigen. Und ich meine, das ist uns absolut gelungen. Wir haben wunderbare Vorträge und Debatten erlebt – eine sehr lebendige und fruchtbare Tagung.
…die auch schon erste Ergebnisse zutage gefördert hat?
Oh ja, ich denke schon. Im Mittelpunkt stand ja der Tempel in Jerusalem, der im Jahr 70 zerstört wurde und als Heiligtum ein bleibendes Thema in Judentum und Christentum ist. Er war zentraler Kultort Israels, ist Identifikationsort geblieben und hat bis heute politische Bedeutung. Er wird als Gottesberg und als Berührungspunkt von Himmel und Erde betrachtet. Er ist mit Leben und Wirken Jesu verbunden. Nicht zuletzt ist der Tempelberg bis heute ein Ort der Auseinandersetzung im Nahost-Konflikt. Im Rahmen der Tagung haben wir nun beispielsweise danach gefragt, wie man Rituale durchführen kann, wenn der eigentliche Ritualort – in diesem Fall der Tempel – gar nicht mehr existiert. Dazu gab es sehr interessante Beispiele, die unter anderem gezeigt haben, dass sich bereits in der Antike jüdische und christliche Rituale gegenseitig befruchtet haben. Judentum und Christentum hatten und haben mehr miteinander gemein als man das vielleicht auf den ersten Blick erwarten würde.
Was war denn aus Ihrer Sicht der Höhepunkt der Tagung?
Für mich ganz persönlich war es bereits der Eröffnungsvortrag von Prof. Günter Stemberger aus Wien, der in der Staatskanzlei vor zahlreichen Gästen, darunter auch Minister Wolfgang Tiefensee, sprach. Stemberger hat auf eine ganz wundervolle Weise gezeigt wie sich Christentum und Judentum gegenseitig beeinflusst und voneinander profitiert haben. Er hat beispielweise eindrucksvoll beschrieben wie sich durch das christliche Verständnis von Jesus Christus auch das Verständnis der Juden von Mose verändert hat und wie Judentum und Christentum aufeinander reagiert haben – im Sinne eines Gebens und Nehmens. Das hat mich sehr beeindruckt. Und ich denke, damit war ich im Publikum in bester Gesellschaft.
Was geschieht denn jetzt mit den Ergebnissen der Tagung und was sind die nächsten Schritte für die Erfurter Forschergruppe?
Wir möchten die Ergebnisse der Tagung gern veröffentlichen, denken aber noch über eine geeignete Form nach. Und was die nächsten Schritte betrifft, da gilt: Nach der Tagung ist vor der Tagung. Denn die nächste haben wir bereits im Blick. Unter dem Titel „Describing and Explaining Ritual Dynamics“ erwarten wir im Oktober wieder internationale Gäste in Erfurt. Dann werden wir danach fragen wie sich Ritualorte verändern, wenn sich die Menschen ändern, die sie nutzen. Darüber hinaus planen Prof. Dr. Benedikt Kranemann und ich ein Seminar im Studium Fundamentale, bei dem es um Rituale und Ritualorte geht. Und aufgrund des enormen Interesses und des großen Gesprächsbedarfes ist auch zur „Wolfram“-Statue im Erfurter Dom eine weitere Veranstaltung geplant – ein Studientag, zu dem wir mit zahlreichen Experten, unter anderem Vertretern der Erfurter UNESCO-Weltkulturerbe-Bewerbung, ins Gespräch kommen wollen.
Eine letzte Frage an die Organisatorin: Was war für Sie persönlich die besondere Herausforderung der Tagung in Erfurt?
In der Tat war es für mich zunächst eine große Herausforderung, für unseren Gast, Naftali S. Cohn Cohen, einen orthodoxen Juden aus Montreal, koscheres Essen zu organisieren. Das ist in Erfurt gar nicht so einfach. Denn man kann ja nicht einfach ins Restaurant oder in den Supermarkt gehen, einkaufen und kochen. Es gibt da strenge Regeln, mit denen ich mich erst einmal auseinandersetzen musste. Am Ende fanden wir einen Online-Shop in Antwerpen, der uns mit koscheren Speisen für unseren Gast versorgt hat. Und für die warmen Mahlzeiten hat Benjamin Kochan, der Erfurter Rabbiner, angeboten Cohen zu sich zum Essen einzuladen. Das war wunderbar, denn es war uns sehr wichtig, ihn bei uns als Gast begrüßen zu können und zugleich seine Bedürfnisse bzw. Rituale zu achten. Ich habe dabei auch persönlich etwas gelernt. Nicht nur über das orthodoxe Judentum, sondern auch etwas über die Achtung voreinander, die Toleranz und auch ein bisschen über das wundervolle Staunen übereinander. Und das ist doch ein sehr aktuelles Thema in unserer Gesellschaft, finden Sie nicht?
Hintergrund zum Research Centre:
Das Research Centre wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert und in Kooperation von Max-Weber-Kolleg, Theologischem Forschungskolleg und Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt sowie der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar betrieben. Damit hat die Universität Erfurt ein internationales und interdisziplinäres Forum für historische, kulturwissenschaftliche wie theologische Forschungen zum Judentum geschaffen. Es soll der in Deutschland im 19. Jahrhundert entstandenen, aber durch die nationalsozialistische Judenvertreibung und -vernichtung weitgehend abgebrochenen Erforschung jüdischer religiöser Praktiken und daran anknüpfender Diskurse einen Ort bieten, der zentrale Fragen der jüngsten Forschung in einen interdisziplinären Forschungskontext einbettet. Darüber hinaus soll das Research Centre neue Impulse für eine vergleichende wie verflechtungsgeschichtliche Herangehensweise schaffen, indem konsequent nach religiös, intellektuell und kulturell pluralistischen Kontexten und Wechselwirkungen gefragt wird.
Lesen Sie dazu auch unser Interview mit Prof. Günter Stemberger!