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„Aus dem digitalen Tsunami ist ein frischer Wind geworden“

Das Ende des Wintersemesters steht bevor und mit ihm die Prüfungszeit an den Hochschulen. Mitten im Lockdown – unter erschwerten Bedingungen. Während sich die gesamte Republik auf den digitalen Weg gemacht hat und an den meisten Hochschulen noch diskutiert wird, wie man die Prüfungen so gestaltet, dass sie „Corona-konform“ stattfinden können, ist die Universität Erfurt schon weiter. Und startet bereits in die zweite Runde ihrer Online-Prüfungen. Mit dem Segen der Landesregierung und der Genehmigung des Landesdatenschutzbeauftragten. Ja, des obersten Thüringer Datenschützers!

Hörsaal 3 an der Universität Erfurt
Auch zu den Prüfungen bleiben die Hörsäle in Corona-Zeiten an der Uni Erfurt leer.

„Wir sind hier durchaus Vorreiter und über die Zurückhaltung mancher Hochschulen eher erstaunt“, sagt Prof. Dr. Walter Bauer-Wabnegg, der Präsident der Universität Erfurt. „Und wir haben uns sehr frühzeitig, nämlich bereits nach der ersten Corona-Welle, im Sommersemester 2020, für digitale Fernklausuren entschieden. Denn welchen Sinn ergibt es, wenn das öffentliche Leben heruntergefahren wird, wir alle Studierenden in die Online-Lehre schicken und sie dann zu Präsenzprüfungen wieder in öffentlichen Verkehrsmitteln quer durch das Land fahren und in Hörsälen in Massen zusammenkommen lassen? Nicht nur, dass wir die räumlichen Kapazitäten für Corona-konforme Prüfungen nicht hätten, wir haben da ja auch eine Verantwortung – für die Studierenden wie für die Beschäftigten.“

Dass die Entscheidung eine gute war, zeigte sich bereits in der ersten Prüfungsrunde im Sommer - auch wenn die Zeit für die Suche, Entscheidung, Beschaffung, datenschutzrechtliche Klärung (!!!), Installation und die Qualifizierung aller Beteiligten mehr als „sportlich“ war. „Aber da unsere neuen Prüfungsordnungen unabhängig von der Pandemie ohnehin elektronische Prüfungen als besondere Option vorsehen, war es nur konsequent, diesen Schritt jetzt auch zu gehen“, berichtet Prof. Dr. Gerd Mannhaupt, Vizepräsident für Studienangelegenheiten an der Universität Erfurt. Nicht nur die Dozierenden hatten seit geraumer Zeit die Notwendigkeit von elektronischen Prüfungen angemeldet. Im Sinne einer Weiterentwicklung der Lehre und vor dem Hintergrund der Digitalisierung gab es seit Längerem Überlegungen, ein elektronisches Prüfungssystem nicht nur für elektronische Fernklausuren, sondern vor allem für elektronische Klausuren auf dem Campus und eine datenschutz-, archiv- und prüfungsrechtlich vernünftige Durchführung aller schriftlichen Prüfungsformate einzuführen. „Mit WISEflow, einer Prüfungssofware des Anbieters UNIwise, haben wir jetzt ein System, mit dem schriftliche Arbeiten gestellt werden und die Studierende unkompliziert und sicher digital einreichen können“, sagt Mannhaupt. „Lehrende können die Arbeiten unkompliziert bewerten, die Plagiatsprüfung erfolgt automatisch und für Rückmeldungen zu den Leistungen müssen keine Sprechstunden abgehalten oder Unmengen von E-Mails beantwortet werden. Last but not least werden die Arbeiten sicher archiviert und nach Ende der Archivierungsfrist gelöscht. Perspektivisch können wir damit auch Abschlussarbeiten so verwalten, dass die Stapel von Arbeiten in unseren Büros sich eben nicht langsam, aber sicher der Decke nähern.“

Prof. Dr. Gerd Mannhaupt

Die Akzeptanz der Fernklausuren – immerhin 15.520 Prüfungen mit maximal 1528 Klausuren an einem Tag – war hoch. Nur wenige Studierende nutzen die Möglichkeit, ihre Prüfung an einem der Stillarbeitsplätze unter Aufsicht zu schreiben, die die Uni eigens für diejenigen eingerichtet hatte, die zu Hause kein stabiles Internet haben oder nicht von ihrer Webcam zur Kontrolle während der Prüfung aufgezeichnet werden wollten – mit Blick auf den Datenschutz eine zunächst vielfach geäußerte Sorge (siehe Hintergrund Gesichtserkennung mit biometrischen Daten). Peter Hegemann, Student im Master „Förderpädagogik“, hatte vor allem Bedenken, dass Hardware und Internetverbindung nicht standhalten, berichtet er. „Zum Glück lief alles glatt – nicht zuletzt dank der guten Vorbereitung, die wir unter anderem dadurch hatten, dass uns vorab eine Testklausur angeboten wurde. Hier konnten noch einmal Fragen gestellt und Unsicherheiten ausgeräumt werden.“ Aber eines ändert auch die Fernklausur nicht: „Wer nicht lernt, ‚rasselt‘ durch, auch wenn es in den Corona-Semestern die Möglichkeit eines ‚Freiversuchs‘ bei Nichtbestehen gibt.“ Denn auch zu Hause vor dem Computer sind Hilfsmittel wie Google & Co. nicht erlaubt. Die Prüfungssoftware sperrt sie automatisch für die Dauer der Prüfung. Aber nicht nur die Testklausuren haben dazu beigetragen, dass die Einführung der Prüfungssoftware gelungen ist: Mit der Einstellung der Präsenzveranstaltungen auf dem Campus und dem Start der Online-Lehre hat die Universität Erfurt eine „Taskforce Digitale Lehre“ eingerichtet, die sich nicht nur um die Logistik und die Lösung struktureller Fragen gekümmert, sondern vor allem den Studierenden und Lehrenden umfangreiche Hilfsangebote gemacht hat: mit Online-Schulungen, einer Telefonsprechstunde, einem Online-Stammtisch zum Austausch über technische Probleme sowie jeder Menge Informationen und Dokumenten in eigens eingerichteten digitalen Foren (Moodle) – flankiert von einer Website, auf der die wichtigsten Informationen noch einmal gebündelt abgerufen werden können. Ganz vorn dabei immer Gerd Mannhaupt, der als Vizepräsident für Studienangelegenheiten und Kopf der Taskforce auch immer im engen Austausch mit dem Präsidium und dem Corona-Krisenstab ist.

Auch wenn Peter Hegemann mit dem Online-Studium und den Fernklausuren mittlerweile gut zurechtkommt – „der Austausch mit anderen Studierenden davor und danach fehlt einfach“, sagt er. Und deshalb freut er sich, wie viele seiner Kommilitonen schon heute auf die „Zeit nach Corona“ – auf das gemeinsame Lernen auf dem Campus, das gemeinsame Mittagessen in der Mensa, den persönlichen Austausch auch mit den Lehrenden und natürlich das Campusleben mit Partys an lauen Sommerabenden. „Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir auf dem Campus heftige Diskussionen über das Thema Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen hatten“, erinnert sich Gerd Mannhaupt. „Heute können es die meisten gar nicht erwarten, wieder in die Hörsäle zurückkehren zu können.“ Insofern müsse niemand befürchten, dass aus der Präsenzuni Erfurt langfristig eine „Fern“-Uni wird. „Ich denke, ich übertreibe nicht, wenn ich mich als jemanden bezeichne, der der digitalen Welt nicht feindselig gegenübersteht. Allerdings nutze ich digitale Werkzeuge und Formate auch nur dort, wo sie tatsächlich Unterstützung bieten. Den direkten Austausch und die unmittelbare Diskussion um Sichtweisen und Erklärungen werden wir wieder im sozialen Miteinander auf dem Campus führen. Da reicht digitale Kommunikation allein nicht aus, wenngleich der Landtag – sicherlich auch vor dem Hintergrund unserer intensiven Bemühungen –  die Möglichkeit der Online-Prüfungen inzwischen im Corona-Mantelgesetz verankert hat und eine Aufnahme ins Thüringer Hochschulgesetz zu erwarten ist. Der Campus wird der reale Raum sein, in dem wir langfristig unsere Netzwerke knüpfen und pflegen. Informelles Austauschen und Lernen benötigt eben das zufällige aneinander Vorbeigehen und Innehalten und gemeinsame Zusammensitzen und Kaffeetrinken. Ich bin da sehr zuversichtlich, dass wir, sobald es die gesundheitliche Situation wieder erlaubt, uns unseren realen Campus zurückerobern werden, wenngleich wir unter dem Corona-Druck sicherlich einen guten Schritt in Richtung Digitalisierung gemacht haben, von dem wir auch künftig profitieren werden. Insofern bin ich froh, dass aus dem ‚digitalen Tsunami‘ zu Beginn des Sommersemester 2020 inzwischen ein ‚frischer Wind‘ geworden ist.“

Hintergrund: Gesichtserkennung mit biometrischen Daten
Die automatisierte Gesichtserkennung wird eingesetzt, um die Studierenden zu identifizieren und Täuschungsversuche bei der Durchführung von Prüfungen außerhalb des Campus zu reduzieren. Um eine hohe Akzeptanz bei Dozierenden und Studierenden zu gewährleisten, müssen technische Maßnahmen implementiert werden, die dies sicherstellen können. Zur Identifizierung der zu prüfenden Person wird bei der ersten Anmeldung für eine Prüfung mit Gesichtserkennung ein Referenzfoto erstellt. Dieses wird auf WISEflow-Servern gespeichert. Mittels Amazon Face Recognition werden daraus biometrische Werte ermittelt. Die Genauigkeit der Werte wird aus Gründen der Datensparsamkeit dabei auf ein mittleres Maß begrenzt. Während der Prüfung werden in unregelmäßigen Abständen Fotos des Prüflings erstellt, mittels algorithmischen Abgleichs mit den Referenzdaten wird ein bestimmter Wert errechnet. Bei einem niedrigen Wert liegt der Anfangsverdacht eines Täuschungsversuchs nahe. Alle Fotos bis auf das Referenzfoto werden spätestens nach sechs Monaten gelöscht. Beabsichtigt ist eine Verkürzung der Löschfrist auf einen Zeitraum direkt nach der Auswertung. Nur die Verdachtsfälle würden dann bis zur Aufklärung länger gespeichert werden (Rechtsgrundlage ist Art. 9 Abs. 2 lit g) DSGVO).

Taskforce Digitale Lehre (Ansprechpersonen)
Prof. Dr. Gerd Mannhaupt – Vizepräsident für Studienangelegenheiten
(Universität Erfurt)