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Diversität als Chance

Die Universität Erfurt hat ihre Richtlinie zum Schutz vor Diskriminierung, Belästigung und Gewalt überarbeitet – ein weiterer Baustein hin zu einer diversitätssensiblen Hochschule. Welches Verständnis von Diversität auf dem Campus vorherrschen soll, welche Ziele die Uni damit verfolgt und welche Chancen all dies birgt – darüber spricht der Präsident, Prof. Dr. Walter Bauer-Wabnegg, im Interview.

 

Prof. Dr. Walther Bauer-Wabnegg
Prof. Dr. Walther Bauer-Wabnegg

Herr Prof. Bauer-Wabnegg, die Uni Erfurt hat ihre Richtlinie zum Schutz vor Diskriminierung, Belästigung und Gewalt überarbeitet. Die Richtlinie ist ein weiterer Baustein zu einer diversitätssensiblen Hochschule. Welches Verständnis von Diversität wollen wir denn eigentlich an unserer Universität leben und was genau ist unser Ziel?
Diversität bedeutet zunächst einmal Vielfalt. Und die ist natürlich in all ihren Facetten auch in Bildungsinstitutionen vorhanden und hat gerade in Hochschulen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Dafür gibt es verschiedene Ursachen, vor allem bildungspolitische Entscheidungen, die eine soziale Öffnung der Hochschulen bewirkt haben. Während früher nur eine Minderheit von Schulabgänger*innen in die Universitäten eintreten konnte, ist es heute vielmehr zum Regelfall geworden, studieren zu gehen. In der Folge ist die Studierendenschaft weniger homogen als früher. Oder umgekehrt formuliert: Die Studierendenschaft hat an Vielfalt gewonnen – und damit auch die gesamte Universität. Hinzu kommen weitere Entwicklungen, so z.B. Aktivitäten und Maßnahmen zur Stärkung der Internationalisierung, Angebote zur Unterstützung von Studierenden mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen und natürlich Erfolge der Gleichstellungsarbeit aus den vergangenen Jahren, um nur ein paar Hintergründe zu nennen. Für uns als Universität bedeutet die gewachsene Diversität zunächst einmal, dass wir ein verstärktes Bewusstsein für die Vielfalt unserer Studierenden, aber auch unserer Beschäftigten entwickeln sollten. Ich plädiere hier für ein weit gefasstes Verständnis, das Diversität als Individualität beschreibt – in all ihren Facetten, in der sie in der Universität vorhanden ist. Und damit verbunden ist es mir wichtig, Diversität als Chance zu begreifen. Von einem konstruktiv-fördernden Umgang mit Vielfalt kann die gesamte Universität profitieren.

Und welche Rolle spielt nun der Schutz vor Diskriminierung, Belästigung und Gewalt im Zusammenhang mit Diversität?
Der Schutz vor Diskriminierung, Belästigung und Gewalt ist natürlich von ganz grundlegender Bedeutung und eine zwingende Bedingung für eine diversitätssensible Hochschule. Ein konstruktiver Umgang mit Vielfalt ist nur denkbar an einem Ort, der Diskriminierung, Belästigung und Gewalt keinen Raum bietet – egal von wem sie ausgeht. Ein Instrument stellt dabei die „Richtlinie zum Schutz vor Diskriminierung, Belästigung und Gewalt“ dar, die wir vor kurzem überarbeitet haben. Mit der Richtlinie bringen wir zum Ausdruck, dass wir bestimmte Verhaltensweisen an der Universität nicht dulden. Und sollte es dennoch zu einem Vorfall kommen, so erlaubt die Richtlinie, im Rahmen unserer Möglichkeiten zu reagieren. Wichtig ist uns dabei natürlich, dass Betroffene Unterstützung durch die Universität erfahren. In der Richtlinie sind deshalb auch Beratungs- und Beschwerdestellen festgelegt, auf die wir z.B. auf unserer Webseite aufmerksam machen. Betroffene können sich an diese Stellen wenden. Sie werden dort beraten und unterstützt, auch mit Blick auf ein mögliches Beschwerdeverfahren.

Wie geht die Universität Erfurt denn jenseits vom Schutz vor Diskriminierung, Belästigung und Gewalt mit dem Thema Diversität um?
Es gibt bereits eine Reihe von Aktivitäten und Maßnahmen, die die Vielfalt von Mitgliedern der Universität adressieren. Bezogen auf unsere größte Gruppe, die Studierenden, beginnt dies bereits vor deren eigentlichen Studienbeginn mit Informations- und Beratungsangeboten, die sie dabei unterstützen, das jeweils passende Studienangebot zu finden. Und nach dem Eintritt in die Universität treffen Studienanfänger*innen dann auf ganz verschiedene Aktivitäten und Maßnahmen. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang die Strukturierung unserer Bachelor-Studiengänge in Orientierungs- und Qualifizierungsphase. So bietet die Orientierungsphase einen Rahmen, in dem die individuell heterogenen Voraussetzungen adressiert werden können, die Studienanfänger*innen in die Universität mitbringen. Mit Blick auf Diversität halte ich auch das Mentoringprogramm für wichtig, das eine sehr individualisierte Förderung von Studierenden durch Lehrende ermöglicht.

Natürlich gibt es darüber hinaus noch eine Reihe weiterer Aktivitäten und Maßnahmen, die dazu beitragen, unsere Universität diversitätssensibel zu gestalten. Dazu zählen etwa unterschiedliche Lehr-Lernformate ebenso wie weitere Beratungsangebote für Studierende. Auch stehen bestimmte Unterstützungsstrukturen z.B. zur Gleichstellung aller Geschlechter, für Studierende mit Kind, für Studierende mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen und für internationale Studierende zur Verfügung. Entsprechende Angebote gibt es natürlich vielfach auch für Beschäftigte. Diversität stellt eben ein weites und vielschichtiges Aufgabenfeld dar, bei dem wir alle von- und miteinander lernen können. Vor Kurzem hat etwa im Rahmen unseres akademischen Weiterbildungsprogramms ein Workshop zu „Diversity-Kompetenz in der Hochschullehre“ stattgefunden. Solche Angebote sind wichtig und helfen uns dabei, unsere Universität weiter diversitätssensibel zu gestalten.

Und was sind die nächsten Schritte auf dem Weg zur diversitätssensiblen Hochschule?
Als Präsidium haben wir, wie es unsere Grundordnung ermöglicht, einen Beirat für Diversität eingerichtet. Der Beirat erarbeitet zurzeit unter meinem Vorsitz eine Diversitätsstrategie, die dann im nächsten Schritt in verschiedenen Gremien beraten und beschlossen werden soll. Mir ist bei dem gesamten Prozess wichtig, dass wir gemeinsam den Blick auf die Frage richten, wie wir fördernd mit Vielfalt umgehen können. Denn ein konstruktiver Umgang mit Diversität ist weit mehr als die Vermeidung oder Kompensation von Nachteilen. Klar sollte sein: Je mehr Mitglieder und Angehörige im universitären Alltag diversitätssensibel agieren, desto eher kann es uns gelingen, eine echte Kultur der Vielfalt zu etablieren. Dazu kann jede*r Einzelne von uns beitragen.