Vorgestellt: Dr. Katrin Ott ist neue Koordinatorin für Digital Humanities an der Uni Erfurt

Was haben der IBM-Gründer Thomas J. Watson (1874—1956), der italienische Jesuitenpriester Roberto Busa (1913—2011) und der einflussreiche mittelalterliche Geistliche Thomas von Aquin (1225—1274) gemeinsam? Alle drei spielen eine Schlüsselrolle in der Begründung der sogenannten Digital Humanities (DH) – eine Disziplin und Praxis, die die Geisteswissenschaften und die Informatik zusammenbringt und so der Forschung ganz neue methodische Zugänge eröffnet hat und noch eröffnen wird. Busa und Watson taten sich bereits in den 1950er-Jahren zusammen mit dem damals noch tollkühnen Vorhaben, das Gesamtwerk von Thomas von Aquin automatisiert zu analysieren. In 30 Jahren Arbeit wurden die Texte – zunächst mittels Lochkarten – maschinenlesbar gemacht und sprachwissenschaftlich untersucht. Das Ergebnis war nicht nur die erste maschinell durchsuchbare Textsammlung, veröffentlicht im sogenannten Index Thomisticus, sondern auch die Erkenntnis seitens vieler Geisteswissenschaftler, wie hilfreich und fruchtbar technische Methoden für die geisteswissenschaftliche Erkenntnisgewinnung sein können. Seitdem wurde immer wieder an der Verquickung der beiden Disziplinen gearbeitet, einen richtigen Aufschwung brachten jedoch erst das Aufkommen der digitalen Medien und die rasche Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten in den vergangenen beiden Jahrzehnten. Heute sind die Digitalen Geisteswissenschaften allgegenwärtig und gerade erst dabei, ihr wahres Potenzial zu finden und auszuschöpfen. Auf der ganzen Welt haben sich DH-Arbeitsgruppen gegründet; es gibt DH-Netzwerke, DH-Professuren, DH-Studiengänge, Konferenzen und Workshops. Und während die erste Generation der "Digital Natives", für die der Umgang mit den digitalen Medien in den unterschiedlichsten Lebensbereichen seit jeher Alltag ist, ihr Studium beginnen, haben auch die Hochschulen das Thema ganz oben auf ihre Agenda gesetzt. Der Universität Erfurt war dabei daran gelegen, mit einer DH-Koordinatorin das Thema auch institutionell zu verankern. Seit diesem Herbst ist hier nun die Theologin und Informationswissenschaftlerin Dr. Katrin Ott für die Implementierung, Weiterentwicklung und Beratung rund um die Digital Humanities zuständig.

In den Digitalen Geisteswissenschaften gehe man von geisteswissenschaftlichen Fragen aus und bearbeite sie mit digitalen Methoden. Und das eröffne eine Fülle an neuen Möglichkeiten, erläutert Katrin Ott. „Stellen Sie sich vor, ich setze mich als Wissenschaftler mit einem gedruckten Buch hin und muss den ganzen Text aufs Genaueste durcharbeiten, um ihn auf einen bestimmten Aspekt hin zu untersuchen.“ Ott rührt bedächtig in ihrer Tasse Tee. „Und dann stellen Sie sich vor, ich setze mich an einen Computer und kann den gleichen Text in digitaler Form, aber auch alle anderen Texte eines Autors oder die anderer Autoren zum gleichen Thema, also riesige Datenmengen, mit einem Mal analysieren. Dadurch kann ich nicht nur die Geschwindigkeit erhöhen, sondern manchmal völlig neue Entdeckungen machen und zu überraschenden Schlussfolgerungen kommen.“ Ott lächelt und legt ihren Löffel neben der Tasse ab. In unaufgeregter Begeisterung bringt sie mit diesem einfachen Vergleich die Vorteile der digitalen Textanalyse, einem wichtigen Arbeitsgebiet der Digital Humanities, auf den Punkt. In digitalen Editionen könne man zudem Texte zusammenführen, die in ihrer analogen Form räumlich weit verstreut sind – oder eben Objekte in digitalen Ausstellungen, die dadurch zu einem gemeinsamen Untersuchungsgegenstand werden können. „Ein wunderbares Beispiel, das ich immer gern heranziehe, um zu erläutern, was mit DH wirklich möglich ist, zeigt eine Datenbank zur jüdischen Grabstein-Epigrafik. Denn ein ganz wichtiger Baustein der Digital Humanities ist die interdisziplinäre Arbeit in Projekten. Und in diesem Forschungsprojekt werden Fragestellungen aus der Epigrafik, der Bau- und Kunstgeschichte, aus der Denkmalpflege und weiteren Fachgebieten behandelt und die daraus resultierenden Daten werden digital aufbereitet und visualisiert.“ Das Ergebnis ist für Ott ein Vorzeigeprojekt der Digital Humanities: eine Datenbank, die neue Zugänge zu historischen Quellen bietet, in der nach Orten, Künstlern und nach Symbolen, Volltexten oder indexbasiert gesucht werden kann, in der Bildvergleiche, Kartenansichten und Visualisierungen möglich sind. Das dokumentiert nicht nur die bisherige Forschung in dem Projekt, sondern schafft weitere Impulse, die Forschung voranzutreiben. Das begeistert Katrin Ott merklich. Und mit dieser Begeisterung möchte sie nun auch Wissenschaftler der Uni Erfurt anstecken. Dass sie selbst in ihrer Doktorarbeit zum Alten Testament mit digitalen Methoden gearbeitet hat, sich dem Thema dann noch in einem Studium der Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der HU Berlin weiter näherte und letztlich über zehn Jahre als Publikationsmanagerin und Wissenschaftslektorin ständig an der Schnittstelle zum Forschungsbetrieb tätig war, macht sie zur idealen Verbündeten von hiesigen Forschern, die mit digitalen Verfahren arbeiten wollen. „Mit meiner Erfahrung kann ich gut einschätzen, was die Fragestellungen sind, welche Methoden sich eignen, welche Probleme auftreten können und wo Beratungsbedarf herrscht.“ Die Informationswissenschaftlerin nimmt einen letzten Schluck aus ihrer Tasse und blättert in ihren Notizen. Eine Sache möchte sie noch ansprechen: „Als DH-Beauftragte ist meine Aufgabe nun vor allem koordinatorischer Natur. Aber ich kann mich natürlich in die Geisteswissenschaften hineindenken. Ich möchte mit den Wissenschaftlern der Uni Erfurt Projektideen entwickeln und bestehende Projekte von der Antragstellung bis zur Publikation begleiten. Ich möchte dahingehend beraten und informieren – und das an einer Universität mit diesem einzigartigen geisteswissenschaftlichen Profil zu tun, darauf freue ich mich besonders.“

In diesem Sinne sieht sich Dr. Katrin Ott in erster Linie als Servicemitarbeiterin und als Schnittstelle zwischen den Fachwissenschaften, dem Stabsbereich Pro Uni – Forschung und Nachwuchsförderung, der Universitätsbibliothek und dem Universitätsrechen- und Medienzentrum. Gerade ist sie noch dabei, alle internen und die wichtigen externen Akteure der Digitalen Geisteswissenschaften kennenzulernen und sich mit ihnen zu vernetzen, um zukünftig auch hier gut vermitteln zu können. Perspektivisch wird sie gemeinsam mit einer neuen Mitarbeiterin für das Forschungsdatenmanagement eine Serviceeinheit bilden. Denn jenseits von Busas und Watsons Lochkarten fallen heute bei jeder Forschung Daten an. Diese zu organisieren und dauerhaft zu archivieren, ist die eine Seite der raschen medialen Entwicklung. Sie öffentlich bereitzustellen, sie zeit- und raumunabhängig abrufen und durch andere Methoden in weitere Untersuchungen einbringen zu können, die andere. Professoren und Nachwuchswissenschaftler der Universität Erfurt zu ermutigen, dieses sich ihnen dadurch eröffnende, wachsende Potenzial zu nutzen, das hat sich Katrin Ott nun zur Aufgabe gemacht.

Kontakt:
Dr. Katrin Ott
Wissenschaftliche Koordinatorin Digital Humanities
Universitätsbibliothek, Raum 055
Tel.: +49 (0)361 737-5705
E-Mail: katrin.ott@uni-erfurt.de

www.uni-erfurt.de/bibliothek/kontakt
www.uni-erfurt.de/stabsstelle-forschung/team

Veranstaltungshinweis:
Dr. Katrin Ott bei den „Instant Coffee Lectures – Kurz aber stark“
Thema: „Digital Humanities – Forschen im digitalen Zeitalter“
15. November 2018 | 14 Uhr
Campus Café Hilgenfeld