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Freiwilligkeit und Martyrium. Diskurs und Praktik im Europäischen Hoch- und Spätmittelalter

Teilprojekt der Forschungsgruppe "Freiwilligkeit". Das Teilprojekt analysiert Martyrium als Diskurs und als Praktik von Männern und Frauen in hoch- und spätmittelalterlichen Jahrhunderten.

Laufzeit
10/2020 - 09/2023

Projektleitung

Prof. Dr. Sabine Schmolinsky
Inhaberin der Professur für Mittelalterliche Geschichte (Historisches Seminar)

Hauptprojekt

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Ein Märtyrer oder eine Märtyrerin zu werden, bedeutet sich selbst für etwas bis über die Grenze des eigenen Lebens hinaus einzusetzen. Meist ist es religiöser Glaube, der rahmende Muster und Inhalte für ein Martyrium bereithält, in dessen Kern zugleich die Freiwilligkeit des Handelns steht. Das Konzept christlicher Martyria entwickelte sich im spätantiken Römischen Imperium des 2. bis 4. Jahrhunderts. In mittelalterlichen Jahrhunderten konnte sich ein Martyrium mit der Verbreitung des christlichen Glaubens verbinden. Es konnte dabei auch virtuell sein, indem es sich in besonderen spirituellen Erfahrungen manifestierte oder postmortal zugeschrieben wurde.

Im Teilprojekt wird Martyrium als Diskurs wie als Praktik von Männern und Frauen in hoch- und spätmittelalterlichen Jahrhunderten analysiert. Es wird davon ausgegangen, dass es zumindest zweier Akteursgruppen bedurfte: der Märtyrer*innen sowie anderer postmortal oder auch prämortal Agierender, die das Martyrium (mit-)konstruiert haben. Dem Teilprojekt liegt ein Martyriumsbegriff zugrunde, der jenseits spätantiker und mittelalterlicher Kategorienbildung Martyria in allen Glaubensrichtungen festzustellen erlaubt, das heißt es werden auch die Tode von Mitgliedern religiös dissidenter, opponierender Gruppen, die von der Römischen Kirche verketzert wurden, einbezogen. Insbesondere in diesen Fällen kann Freiwilligkeit wie unter einem Brennglas beobachtet werden, als Norm wie als Ressource gewinnt sie dann eine eigene Tiefenschärfe.

Freiwilligkeit lässt nach agency, Subjektbildung und Eigen-Sinn bei Märtyrerinnen und Märtyrern fragen. Martyria und Freiwilligkeit haben zudem ein Geschlecht. Zu den Hypothesen des Teilprojekts zählt, dass Martyria in hoch- und spätmittelalterlichen Jahrhunderten vielleicht deutlicher als zuvor geschlechterspezifischen Vorgaben unterliegen. Deren Verschränkung mit dem Diskurs der Freiwilligkeit wird zu untersuchen sein. Ein Schwerpunkt wird auf der Darstellung der gewaltsamen Tode skandinavischer Herrscher der späten Wikingerzeit liegen. Anhand dieses Beispiels lässt sich das Martyrium von anderen Formen des mehr oder weniger freiwilligen Todes wie Suizid und Heldentod abgrenzen. Das Quellenkorpus umfasst historiographische und hagiographische Texte sowie Sagas. Die Untersuchung von Variationen, unterschiedlichen Versionen oder Kommentierungen in der handschriftlichen oder gedruckten Überlieferung trägt dazu bei, diskursiven Wandel analysieren zu können.