| Forschungszentrum Gotha

Internationale Tagung: Berleburg zur Zeit von Dippel und Edelmann. Radikaler Pietismus, Alchemie und Freidenkerei (1729–1741)

Am 7. und 8. Juli 2022 findet am Forschungszentrum Gotha eine Tagung über die Grafschaft Sayn-Wittgenstein-Berleburg während der Regierungszeit des reformierten Grafen Casimir (1712-1741) statt.

Die Tagung möchte, auf der Basis der kürzlich analysierten Tagebücher des Grafen und zahlreicher unveröffentlichter Dokumente, den Allianzen, aber auch den Friktionen der unterschiedlichen Spiritualisten und Intellektuellen am Hof nachgehen; insbesondere den Friktionen in den 1730er-Jahren, die durch freigeistigere Separatisten verursacht wurden, denen Bibelfrömmigkeit allein nicht genügte. So hat sich etwa der Mediziner, Alchemist und Radikalpietist Johann Konrad Dippel von 1729 bis zu seinem Tod 1734 in Berleburg aufgehalten, wo er Konflikte mit dem Grafen Zinzendorf wie auch mit seinem Medizinerkollegen Johann Samuel Carl ausfocht; Johann Christian Edelmann war von 1736-1741 in Berleburg und überwarf sich mit den Inspirierten unter Rock, indem er den johanneischen Logos als die Vernunft interpretierte. Die Tagung will die intellektuelle Dynamik herausarbeiten, die diese Friktionen erzeugt haben. Gibt es eine Dialektik von radikalpietistischem Individualismus und Freigeisterei?

Dabei werden auch die Überschneidungen von Disziplinen und deren Praktiken im Fokus stehen, die den Hessischen Radikalpietismus kennzeichnen: von Medizin und Theologie, Alchemie und Frömmigkeit, Pädagogik und Jurisprudenz. Auch traditionelle Geschlechterrollen und Standesgrenzen wurden ja in diesen Kontexten überschritten. Welche Innovationen sind aus diesen Transgressionen hervorgegangen?

Die Dynamiken sind nicht zuletzt auch eine Folge der physischen Mobilität der Akteure. An den nonkonformistischen Intellektuellen und religiösen Suchern lässt sich studieren, wie die Zirkulation von Personen und Informationen zwischen Berleburg und Separatistengemeinden im Umfeld beschaffen war und welche Folgen sie zeitigte. Das schließt die Verbindung der Grafen von Sayn-Wittgenstein-Berleburg mit der Grafschaft Ysenburg-Büdingen ein, Schwarzenauer Neutäufer, die Radikalpietisten in Laasphe, Schloß Hayn, Hirnbach, Saßmannshausen, Homrighausen, Neuwied, Idstein, Frankfurt und Offenbach. Damit wird eine Einordnung der gedanklichen Entwicklungen in die vielfältige und unübersichtliche Gesamtlage im Wittgensteinischen, im Siegerland, im Westerwald und in der Wetterau gegeben - bis hin zu einem Blick auf die transnationalen Verbindungen des Separatismus in die Niederlande, nach Frankreich oder nach Amerika.

Internationale Tagung unter Leitung von Vera Faßhauer, Martin Mulsow (beideErfurt/Gotha) und Hermann Stockinger (Wien).

Bitte beachten Sie auch den öffentlichen Abendvortrag "Philadelphia in Berleburg. Nikolaus Ludwig von Zinzendorfs Besuch in der Grafschaft Sayn-Wittgenstein-Berleburg" am 7. Juli um 18:15 Uhr von Wolfgang Breul (Mainz).

Die Veranstaltung wird aufgezeichnet und ist über die Kanalseite der Universität Erfurt abrufbar: https://www.youtube.com/unierfurtlive