Im Jahr 1893 ließen Kolonialbeamte aus 13 verschiedenen Ländern ihre imperiale Rivalität hinter sich. Sie gründeten das Internationale Kolonialinstitut (ICI), das zur weltweit wichtigsten kolonialen Denkfabrik des 20. Jahrhunderts wurde. Am Beispiel des ICI zeigt Florian Wagner in seinem neuen Buch, dass die internationale Zusammenarbeit im ICI den Kolonialismus von einem nationalistischen zu einem transnationalen Unterfangen machte. Weil westliche Nationen als Imperien agierten, entstand ein transimperiales und gouvernementales Projekt, das koloniale Strukturen bis heute kennzeichnet.
Das Buch zeigt zunächst, dass die Strategie des ICI, indigene Institutionen und Rechstraditionen zu nutzen, um die „Entwicklung“ der Kolonien zu fördern, lediglich dazu diente, die koloniale Herrschaft auch nach dem offiziellen Ende der Imperien in den 1960er-Jahren aufrechtzuerhalten. Angesichts der Dekolonisierungsbewegung wurde die selektive Mitgliedschaft von Loyalisten unter den Kolonisierten im ICI zugelassen, während gleichzeitig radikalere Forderungen nach Unabhängigkeit delegitimiert wurden. Die Publikation bietet zudem eine detaillierte Studie zur Entstehung des ICI, der transkolonialen Aktivitäten seiner prominenten Mitglieder, seine Zusammenarbeit mit dem Völkerbund und den faschistischen Regierungen sowie seine Rolle bei der Schaffung der Grundlagen für die strukturelle und diskursive Abhängigkeit des Globalen Südens nach 1945. Dabei kombiniert Florian Wagner transnationale und koloniale Geschichte, um erstmals die Geschichte des Internationalen Kolonialinstituts zu erforschen. Er zeigt die lange Kontinuität des Kolonialismus auf, indem er den Internationalismus der 1890er Jahre mit der internationalen Entwicklungspolitik der Zeit nach 1945 verbindet und ermöglicht einen Einblick in den strukturellen Rassismus und Kolonialismus, der die meisten westlichen Aktivitäten im globalen Süden prägte.