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Im Dialog zwischen Herkunft und Zukunft: Sommerakademie auf Schloss Hersberg bringt junge Erwachsene am Bodensee zusammen

Bodenseekreis – Wie lassen sich die Erfahrungen der Vergangenheit nutzen, um den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu begegnen? Mit dieser Leitfrage kamen vom 27. Juli bis zum 2. August Teilnehmende der diesjährigen Sommerakademie auf Schloss Hersberg zusammen. Die Veranstaltungswoche stand unter dem Titel „Herkunft & Zukunft“ und war Teil der Akademiereihe Koordinaten Europas, die von Martin W. Ramb (Bistum Limburg) und Prof. Dr. Dr. Holger Zaborowski (Universität Erfurt) konzipiert wurde.

Foto: Andreas List

Die 17 Teilnehmenden aus verschiedenen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Feldern – darunter Philosophie, Biologie, Medizin, Geographie und Theologie, aber auch Lehrerinnen und Lehrer – setzten sich gemeinsam mit anthropologischen, historischen und politischen Perspektiven auseinander. Der Rahmen bot Raum für persönliche Begegnungen, intellektuellen Austausch und interdisziplinäre Impulse.

 

Gemeinsames Lernen in vielstimmiger Runde

Die Akademie begann mit einer Einführung und einem ersten Austausch bei gemeinsamem Abendessen. An jedem Morgen leitete ein spiritueller Impuls den Tag ein, bestehend aus Gebet und ausgewählten Texten aus der Enzyklika Fratelli tutti von Papst Franziskus. Bereits der erste Vortrag von Holger Zaborowski lenkte den Blick auf das komplexe Verhältnis von Herkunft und Zukunft: Er sprach von der „eigentümlichen Verwobenheit von Vergangenheit und Zukunft“ und eröffnete Zugänge zu einer anthropologischen Konstante, die tief im menschlichen Selbstverständnis verankert ist.

Der Austausch darüber zog sich durch die Woche und wurde in verschiedenen Formaten weitergeführt. So zeigte ein Beitrag von Prof. Dr. Gabriela Signori (Universität Konstanz), wie eng im Mittelalter Wissen und gesellschaftliche Macht miteinander verknüpft waren. Solche historischen Perspektiven ergänzten die philosophischen, politischen und persönlichen Zugänge und luden dazu ein, über das gegenwärtige Verhältnis von Bildung und Verantwortung nachzudenken.

Konkrete gesellschaftliche Gestaltungsansätze brachte Annika Reifschneider mit ihrem Beitrag über Genossenschaften ein. Sie erläuterte, wie demokratische Teilhabe in wirtschaftlichen Zusammenhängen konkret gelingen kann und machte deutlich, wie solidarische Wirtschaftsmodelle sowohl individuelle als auch kollektive Perspektiven auf Zukunft eröffnen. Eine Weinprobe in der Winzergenossenschaft Hagnau rundete die Überlegungen zu den Potentialen genossenschaftlichen Handelns ab.

Einen weiteren praktischen Akzent setzte Eva-Maria McCormack mit ihrem interaktiven Workshop zur „Hoffnung“. Sie zeigte, dass Hoffnung nicht nur ein innerer Zustand ist, sondern eine handlungsleitende Kraft – mit konkretem politischem und gesellschaftlichem Potenzial. In Gruppenarbeit und Diskussionen wurde deutlich, dass hoffnungsvolles Handeln Verantwortung bedeutet – und dabei keineswegs naiv ist, sondern Ausdruck von Gestaltungskraft und Vertrauen in Veränderbarkeit.

 

Gespräche, Erinnerungen und neue Perspektiven

Neben dem akademischen Programm bot die Akademie auch viele Gelegenheiten zur Auseinandersetzung mit konkreten Lebens- und Erfahrungswelten. Dazu gehörten eine Lesung und ein Gespräch mit dem Autor Marko Martin, der aus seinem jüngsten Buch Und es geschieht jetzt – Jüdisches Leben nach dem 7. Oktober las. Persönliche Erzählungen jüdischer Freundinnen und Freunde vermittelten einen berührenden Eindruck davon, was der Terroranschlag der Hamas auf Israel für jüdisches Leben in der Gegenwart bedeutet. 

Ein weiterer literarischer Akzent wurde durch den Schriftsteller Arnold Stadler gesetzt, der aus einigen seiner Romane las. In seinen poetischen Reflexionen wurde spürbar, wie eng Sprache, Erinnerung und Weltwahrnehmung miteinander verwoben sind – eine Erfahrung, die viele Teilnehmende tief bewegte. Seine Worte ermöglichten einen neuen Zugang zu der Frage, wie die Herkunft eines Menschen seine Sicht auf die Welt formt – und welche Kraft im Erzählen selbst liegt.

Luciana Santos Barbosa, promovierte Neurowissenschaftlerin aus Brasilien, brachte ihre Eindrücke in ein afrikanisches Symbol:

„Adinkra ist ein System aus Symbolen der Akan-Kultur in Ghana. Eines dieser Symbole ist Sankofa – ein Vogel, der vorwärtsgeht und auf seinen Schwanz blickt. Es bedeutet: Wir müssen in die Vergangenheit blicken, um in die Zukunft zu gelangen. Diese Idee war für mich die Grundlage dieser Akademie.“

 

Historische Orte und gemeinschaftliche Erfahrungen

Die Akademie verband Theorie und Praxis, Reflexion und Anschauung: Bei einer Fahrt nach Meßkirch lernten die Teilnehmenden Leben und Denken Martin Heideggers kennen, besuchten das Martin-Heidegger-Museum und sprachen mit dem Bürgermeister über den Ort und dessen Geschichte. Ein Besuch im Campus Galli ließ mittelalterliches Leben erfahrbar werden. Denn dort wird mit den technischen Mitteln des Mittelalters ein großer Klosterkomplex errichtet. Auch die Stille des Klosters Beuron, wo die Gruppe an einer Vesper teilnahm und von Erzabt Tutilo empfangen wurde, trug zur atmosphärischen Dichte der Woche bei.

Einen feierlichen Abschluss fand das Programm durch ein gemeinsames Abendessen im Slow-Food-Restaurant Seegut Zeppelin in Friedrichshafen. So verband sich das Nachdenken über das große Ganze mit den Sinnen und mit dem Miteinander im Kleinen.

Thomas Herrig, Kulturjournalist, brachte seine Eindrücke auf den Punkt:

„So viele gute Gespräche, philosophische Impulse und spannende Vorträge – für mich ein absolutes Highlight. Ich freue mich sehr, dass ich dabei sein durfte.“

 

Ein lebendiger Ort der Begegnung

Mit einem letzten gemeinsamen Morgenimpuls und einem offenen Singen klang die Sommerakademie aus. Was bleibt, sind Begegnungen, Gedanken und Erinnerungen – an eine Woche, in der sich Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinander verbunden haben. In der Rückschau zeigt sich: Herkunft und Zukunft sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Frage – nämlich der, wie wir als Menschen heute gemeinsam leben wollen.