Unter dem Titel „Von der Reform- zur Profiluniversität?“ hatte die Uni an den historischen Ort, das Collegium maius, eingeladen, um – moderiert von Boris Lochthofen, dem Direktor des MDR-Landesfunkhauses Thüringen, – mit Wegbegleitern und -bereitern der Wiedergründung im Jahr 1994 zu sprechen – allen voran Thüringens Ministerpräsident a.D. Bernhard Vogel, Dr. Josef Lange, Prof. Dr. Dieter Langewiesche, Prof. Dr. Bettina Rockenbach und Prof. Dr. Wolfgang Schluchter. Der „Podiumsriege“ stand eine ganz junge gegenüber: aktuelle Studierende, die sich in kurzen Videobeiträgen über „ihre Universität“ äußerten. Was bedeutet sie ihnen heute, was ist gelungen, was fehlt, auf welchem Weg sind wir gerade und wohin wollen wir weiter? Eine äußerst spannende Mischung. Und ein Abend voller Erinnerungen, Emotionen, aber auch klaren Ansagen für die Zukunft…
„Zunächst einmal blicke ich mit Freude und Dankbarkeit auf die Universität Erfurt“, sagte Bernhard Vogel gleich zu Beginn der Diskussion. Die Uni könne stolz sein auf inzwischen rund 6000 Studierende, die heute zum großen Teil aus anderen Bundesländern oder auch aus dem Ausland kommen. Sie sei ein Ort geworden, an dem interessante Karrieren ihren Anfang nehmen, ein Campus, auf dem sich die Studierenden wohlfühlen. Und dabei sei der Anfang nicht leicht gewesen, erinnert sich der ehemalige Ministerpräsident von Thüringen. „Wir hatten in der Wendezeit ungeheuer viel anderes zu tun und wir hatten kein Geld. Wir wussten zudem, dass eine Neugründung die Auflösung der damaligen Medizinischen Akademie erfordern würde, was natürlich auch auf Widerstand traf. Hinzu kam, dass die bestehenden Hochschulen in Thüringen entschieden gegen eine Neugründung in Erfurt waren. Aber es gab seinerzeit sehr engagierte Menschen, die eine Idee und ein Konzept hatten, für das es sich einzutreten lohnte.“
Einen Bedarf an Studienplätzen in Thüringen auszurufen – das habe als Gründungsargument allein nicht getragen, sagt Wolfgang Schluchter, damals Gründungsdekan des heute international renommierten Max-Weber-Kollegs der Uni Erfurt. „Was zählte, war einzig und allein Innovation. Neues wagen, lautete die Devise. Vor dem Hintergrund, dass es nach der Wiedervereinigung starke Tendenzen gab, die Ost-Universitäten zu ‚verwestlichen‘ und aufgrund der Tatsache dass die Geisteswissenschaften allerorts ‚kränkelten‘, war es unsere einzige Chance, den althergebrachten Konzepten etwas entgegenzusetzen, das auch für andere Hochschulen Marken setzt.“
Also wagten sie Neues. „Ich wäre seinerzeit nicht nach Erfurt gekommen, wenn das hier eine Blaupause bereits existierender Hochschulen geworden wäre“, gibt Dieter Langewiesche, Historiker und Teil der „Gründungsriege“ offen zu. „Für mich war die neue Studienorganisation reizvoll, aber auch das Konzept des ‚Studium Fundamentale‘ als interdisziplinärer Beitrag zur (Persönlichkeits-)Bildung und die Tatsache, dass die Uni neue Schwerpunkte setzte, wo andere mit herkömmlichen Angeboten auf dem Markt waren – zum Beispiel der Blick auf die Weltregionen in der Geschichtswissenschaft.“ Auch die Aussicht auf die Eingliederung des Philosophisch-Theologischen Studiums als Katholisch-Theologische Fakultät (und damit als einzige katholische Fakultät in den neuen Bundesländern) sei eine Besonderheit gewesen. Und ist es bis heute – ebenso wie das Max-Weber-Kolleg als Kombination aus Institute for Advanced Study und Graduiertenkolleg. Nicht zuletzt war auch die Staatswissenschaftliche Fakultät ein Novum in der deutschen Hochschullandschaft – und mit ihr die Interdisziplinarität, die von Beginn an eine bedeutende Rolle an der Universität Erfurt gespielt hat. Bettina Rockenbach, die viele Jahre die Professur für Mikroökonomie an der Staatswissenschaftlichen Fakultät innehatte und später auch Vizepräsidentin für Forschung wurde, erinnert sich gern an die Aufbruchstimmung von damals: „Wir waren eine ganze Reihe von ‚Erstberufenen‘, die in Erfurt in ein neues Konzept ‚hineingeworfen‘ wurden und unsere Aufgabe bestand darin, es mit Leben zu füllen – gemeinsam mit den Studierenden, die ja von Anfang an im Bachelor-/Master-System studierten.“ Auch so etwas, mit dem die Erfurter Universität anderen um Nasenlängen voraus war. „Ich habe einen echten Teamgeist gespürt, und das war ein wunderbare Erfahrung.“ Heute, 25 Jahre nach Wiedergründung der Universität Erfurt, kommen die Studierenden zum Teil von sehr weit her, um hier Staatswissenschaften zu studieren. Ähnlich sieht es in der Kommunikationswissenschaft aus. Aber auch die anderen Studienrichtungen müssen sich nicht verstecken: Die Studierenden kommen gern, fühlen sich wohl und vor allem auf ihr späteres Berufsleben gut vorbereitet.
Uni Erfurt – eine Erfolgsgeschichte? Auf jeden Fall, konstatierte das Podium. Aber auch eine, die auf harter Arbeit und eben jener Bereitschaft beruhe, offen, mutig und wach zu bleiben, immer wieder Neues zu wagen. Und damit das so bleibt, dürften Stichworte wie Profilbildung, Vernetzung, Internationalität keine reine Antragsprosa sein, sondern müssten mit Leben, gefüllt sein, ja, dem Geist der Universität innewohnen. „Harvard an der Gera? Daran habe ich nie geglaubt“ sagt Dieter Langewiesche. „Schon, weil der kleinen Universität Erfurt niemals das Geld, das Harvard hat, zur Verfügung stehen wird.“ Dennoch könne die Uni Erfurt punkten – Exzellenzinitiative hin oder her – indem sie ihre Schwerpunkte pflegt, gute Partner findet und ihr besonderes Profil weiter schärft. Josef Lange ergänzte: „Grundlagen, Methoden, Persönlichkeitsentwicklung und Weiterbildungsfähigkeit – forschendes Lernen und lernendes Forschen, der Blick über den Tellerrand hinaus, das zählt.“ Und am Ende – da waren sich alle einig – gelte nach wie vor: Immer wieder Neues wagen. „Dann“, so Bernhard Vogel, „ist mir auch vor der 50-Jahrfeier der Uni Erfurt nicht bang.“