Wann endet das Sammeln? Vielleicht dann, wenn eine Sammlung komplett, ein Ziel erreicht, ein Profil hinreichend ausgebildet ist? Aber ist das jemals der Fall? Etwas fehlt immer. Und nicht weniger störend ist es, dass zugleich immer zu viel da ist. Etwas, das sich unbeabsichtigt angesammelt hat, das übriggeblieben ist von früheren, nicht erreichten Zielen oder nicht hinreichend klar definierten Profilen, von dem Exzess, der jedem Sammeln inhärent ist. Sammeln bedeutet nicht nur eine Akkumulation und ein Sortieren von Dingen, sondern auch ein Entsammeln und Aussortieren.
Die Qualität einer Sammlung steht in einem ständigen Widerstreit mit ihrer Quantität. Das Entsammeln aber stellt sich wie auch das Sammeln in der Praxis als weitaus kontingenter und ungeregelter dar, als es in theoretischen Reflexionen erscheinen mag. Manche Dinge entsammeln sich selbst, indem sie zerfallen, manche finden keinen Platz mehr in überfüllten und teuer zu unterhaltenden Depots. Manche passen vielleicht gut in das Sammlungskonzept, sind aber unrechtmäßig, etwa als Beutekunst, in die Sammlung gelangt, manche werden ihrerseits gestohlen oder müssen verkauft werden, um Geld zu beschaffen. Und schließlich: Sammlungskonzepte wandeln sich mit gesellschaftlichen Wertsetzungen und Erwartungen. So kommen Sammlungen niemals zur Ruhe, und Sammeln wie Entsammeln erweisen sich als dynamische Prozesse, die niemals vollständig zu kontrollieren sind.
Allen Leitfäden und museologischen Empfehlungen zum Trotz ist Entsammeln eine selten umgesetzte Praxis in den Sammlungsinstitutionen. Institutionelle Sammlungen müssen große sammlungspraktische, institutionenbasierte, juristische und kulturelle Hürden nehmen, um entsammeln zu können. Die Verfahren des Entsammelns sind nicht immer gleich und haben keine durchgängigen Standards. So gilt auch der Tausch als Entsammeln, die Abtretung, das Übereignen, das Verkaufen und schließlich die Entsorgung. Die Formen und Phänomene des Entsammelns führen daher die Betrachtung auf ähnlich kontingente Prozesse wie sie dem Sammeln selbst eigen sind. Die Gründe des Entsammelns sind vielfältig und haben nur teilweise mit der Profilierung von Sammlungen zu tun: Es kann zu teuer sein, Sammlungssegmente zu unterhalten, Objekte können zu singulär sein, um sich einem Sammlungskontext zu fügen, sie können zu sehr vom jeweiligen Sammlungskonzept abweichen, es kann aber auch umgekehrt das Sammlungskonzept selbst fragwürdig geworden sein. Der Zustand einzelner Objekte kann zu schlecht sein, um eine weitere Konservierung zu ermöglichen, ihre Provenienz kann belastet oder ungeklärt sein.
Die Ringvorlesung “ENT-SAMMELN” fragt nach praktischen Erfahrungen und interdisziplinären theoretischen Fassungen der ständigen Bewegung sowohl in institutionellen Sammlungen als auch in prä- oder parainstitutionellen Formen der Ansammlung. Mit der Konzentration auf das Entsammeln nimmt sie jene Entscheidungsmomente in den Blick, an denen sich die Entschiedenheit des Sammelns durch Entsammeln in ihren Paradoxien und Kontingenzen zeigt. Denn auch im Entsammeln kommt das Sammeln nicht ans Ende, sondern bleibt in Bewegung.
Die weiteren Termine der Ringvorlesung finden Sie jeweils rechtzeitig auf der Website des Kooperationsprojektes sowie im Veranstaltungskalender der Universität Erfurt.